Die Dingefinderin

8.6.2010, 00:00 Uhr
Die Dingefinderin

© Thomas Scherer

Dem Unbekannten einen Namen zu geben, ist ein erster Schritt, wenn alles fremd erscheint. Vielleicht ist das ein Grund, warum die Titel, die Andrea Sohler zu ihren Fotografien stellt, weit mehr sind, als pointierte Anmerkungen. »Heul doch« steht bei der Aufnahme einer Hausfront, die Regenspuren zeigt. Die »Braut« entpuppt sich als eine Tanne, in der sich eine große Folie wie ein Schleier verfangen hat. Bloß eine Gardine ist die »Prinzessin«, doch sie wird von zauberhaftem Licht umworben.

Bis Bild und Überschrift zueinander finden, müssen sie eine harte Prüfung durchlaufen. Manchmal, sagt die Fotografin, fallen ihr die passenden Worte zwar spontan ein. Meist jedoch schaut sie »Wochen oder sogar Monate lang immer wieder einmal« nach ihren Arbeiten und prüft, ob sie »noch interessiert«, was sie sieht. Aus dieser Ruhe heraus, entstehen dann die doppelbödigen Bezüge, die ihre Arbeiten kennzeichnen.

Foto und Text, daran lässt die sehenswerte Ausstellung im Kulturort Badstraße 8, keinen Zweifel, gehören zusammen. Gemeinsam eröffnen sie dem Betrachter den Weg in eine fremde Welt, die nur scheinbar vertraut anmutet. Eine Pfütze, Ölschlieren, ein Farbmal an der Wand - nichts davon erschüttert uns spontan. Es sei denn, man lässt sich ein auf Sohlers Sicht in einen Mikrokosmos, der nicht weniger enthüllt als das große Ganze.

Denn »die kleinen Dinger« - auch das ein Sohler’scher Titel - entfalten unversehens einen Charme, wie ihn auch Alice in ihrem Wunderland entdeckt. Nichts ist mehr vertraut. Beängstigend kann das sein - und Spaß machen.

Sohler, die in Szatmárnémeti in Siebenbürgen geboren wurde, wuchs in Nürnberg auf. An der Hochschule für Angewandte Künste in Budapest studierte sie bei Pulitzer-Preisträger Imre Benkö klassische Fotografie. Mit dem Meisterdiplom in der Tasche und der Erkenntnis, keine Lust zu haben, sich in »technischen Raffinessen zu verlieren«, kam sie nach Nürnberg. Ihre Jahre als Meisterschülerin Ottmar Hörls an der Akademie erlebte sie als »sehr befreiend«. Hörl habe sie, erklärt die 41-Jährige, von großem Druck befreit und ihr jeglichen »Kunst- und Kultursnobismus« ausgetrieben. Allein, dass er ihr zu der Einsicht verhalf, dass »man Fehler machen darf«, sei für sie schon prägend gewesen: »Ich bin dazu erzogen worden, dass alles perfekt sein muss.«

Weg vom Wahnsinn

Längst hat sich Andrea Sohler als Lichtbildnerin gefunden. Vom »technischen Wahnsinn« hat sie sich endgültig gelöst. Vom Zwang, Motive ausfindig machen zu müssen, ebenso. »Ich finde die Dinge«, sagt sie. Doch vor allem ist es stets das Licht, das sie reizt, die Kamera, die sie immer dabei hat, herauszunehmen. Sie bevorzugt eine Rollei 35, eine Sucherkamera, bei der die Entfernung geschätzt und die Belichtung erfühlt werden muss. »Fehler dürfen passieren«, sagt Andrea Sohler und lacht.

Aber was heißt schon Fehler? Ihr Motiv von der Wärmflasche in der Daunendecke mit dem Titel »viel leicht« könnte der Betrachter als nicht ganz scharf bezeichnen. Was ein grober, ja, doch, Fehler wäre. Denn genau so wie es jetzt ist, ist es richtig.SABINE REMPE

»von Heiter nach Wolkig«: Kulturort Badstraße 8, donnerstags und freitags 16-21, Wochenenden 12-21 Uhr. Bis 18. Juni.