Apokalypse

Die Höllenmaschine des Krieges: "Im Westen nichts Neues" kommt in die Kinos

28.9.2022, 14:55 Uhr
Szene aus dem Kinofilm mit Felix Kammerer als Paul Baeumer, Edin Hasanovic als Tjaden Stackfleet und Albrecht Schuch als Stanislaus “Kat” Katczinsky.

© Reiner Bajo, epd Szene aus dem Kinofilm mit Felix Kammerer als Paul Baeumer, Edin Hasanovic als Tjaden Stackfleet und Albrecht Schuch als Stanislaus “Kat” Katczinsky.

„Dies ist weder eine Anklage noch ein Bekenntnis. Es ist der Bericht über eine Generation, die vom Krieg zerstört wurde. Auch wenn sie seinen Granaten entkam.“ So nüchtern wie ein Bericht ist es natürlich nicht erzählt, weder vom Autor Erich Maria Remarque, der den Krieg am eigenen Leib erfahren hat, noch von Edward Berger, der gut 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und gut 90 Jahre nach der ersten Verfilmung von Lewis Milestone jetzt die erste deutsche Interpretation des Stoffes geliefert hat.

Am Anfang sieht man die jungen Männer, fast noch Kinder. Naiv und scheu schauen sie in die Welt, voll freudiger Erwartung eines großen Abenteuers und erfüllt von vaterländischem Pathos. Es ist 1917, die Lage an der Westfront ist schon ziemlich aussichtslos, monatelang wird hier erbittert um ein paar Meter Land gekämpft.

„Es wird von euch erwartet, dass ihr wenigstens sechs Wochen überlebt!“, bellt der Kommandant, der die Teenager empfängt und notdürftig einweist. Unter dem Vorspann war eine andere Gruppe junger Soldaten zu sehen, die aus den Schützengräben ins grauschlammige Schlachtfeld getrieben werden, wo sie einer nach dem anderen sterben. Ihre Uniformen werden eingesammelt, gewaschen und geflickt und dann wieder an nachrückende Soldaten verteilt, der ewige Kreislauf des Krieges, ein menschenverschlingender Moloch.

Angst und Grauen

Auch heute noch packt der mit drei Oscars ausgezeichnete Film von Lewis Milestone von 1930. Doch Edward Berger überträgt die Erfahrung des Krieges noch direkter, physischer auf den Zuschauer, lässt ihn die klamme Kälte, den nagenden Hunger, die Angst und das Grauen zusammen mit dem jungen Paul (Felix Kammerer) und seinen Kriegskameraden spüren.

Die Szene, in der Paul zuerst auf einen französischen Soldaten einsticht und sich dann in rührender Verzweiflung um ihn kümmert, wirkt in der heutigen Version um einiges stärker, erst der Furor des Tötens, dann die Menschlichkeit der Fürsorge, erst die Sinnlosigkeit, dann die Besinnung.

In den Bildern, die Berger und der britische Kameramann James Friend erschaffen haben, ist der Krieg ein apokalyptisches Weltuntergangsszenario, das er mit der vollen Wucht des Kinos auf die Leinwand schleudert. Erde, Schlamm und Körper verschmelzen zu einer einzigen Masse, die alle Farben ausbleicht, bis der Farbfilm fast schwarz-weiß erscheint. Die Westfront als Dystopie, mit einem wuchtig dräuenden Sounddesign, das die Höllenmaschine des Krieges zum alles verschlingenden Monster macht.

„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hinmüssen“, sagte Remarque einst. Diesen Kontrast beschreibt Edward Berger auf unnötig plakative Weise: Hier die Generäle in ihren gestärkten Hemden, die in den warmen Konferenzräumen Kaffee aus goldgeränderten Tassen schlürfen, dem Hund eine Hühnerkeule vom Esstisch herunterwerfen und sich beschweren, dass die Croissants vom Vortag sind. Dort die einfachen Soldaten, die hungern und sterben, in verdreckten Uniformen und mit blutverkrusteten Gesichtern.

Ein Akt der Gnade

Berger löst sich hier von der Vorlage, er verzichtet auf Pauls Heimaturlaub und bezieht stattdessen die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Abgesandten Deutschlands und Frankreichs und die sture Kriegstreiberei eines deutschen Generals (Devid Striesow) ein. Am Ende ist der Blick von Paul stumpf und leer. Der Tod wird da fast schon zum Akt der Gnade, erspart er doch ein Leben mit den Erinnerungen an das erlebte Grauen.

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