Familiensaga aus Fürth und dem Riesengebirge

16.11.2020, 18:44 Uhr
Familiensaga aus Fürth und dem Riesengebirge

© M. Hofmann

W eshalb die Mutter, viel zu rasch nach dem Hochwasser, mit dem alten Traktor Marke Fahr über die Brücke den Ulmenbach im westmittelfränkischen Gebhardswinden überqueren wollte, blieb offen. Sicher wollte sie zu der Lichtung am Waldrand, zu der bemoosten Bank, auf der sie stets saß, um die von ihr gepflanzten zwei Dutzend Bäume und die Umgebung zu genießen. Aber der museumsreife Fahr blieb stecken, die alte Frau musste ins Wasser, rutschte aus, wurde von der Strömung mitgerissen und ertrank.

Wie viele Jahre hatte sie die Ruhe und Abgeschiedenheit jedes Mal so lange genossen, bis sie die Bäume tanzen sah, ja sich mit ihnen im Reigen bewegte?

Jeder Baum stand für einen Menschen, jeden hatte sie für einen Verstorbenen gepflanzt, der für sie von Bedeutung war, der eine große Rolle gespielt hatte in Lotte Meitners Leben. Doch an wen gemahnte der Schwarze Holunderbusch?

Bis er dieses Rätsel zu lösen vermag, verfolgt Autor Bejot Hirsch (die gesprochenen Initialen) aus dem Landkreis Fürth die Spuren der Vorfahren seines Helden im Familienroman "Tanzt, Bäume, tanzt!". Der 486-seitige Erstling des Pensionisten ist zwar in der Ich-Form erzählt, aber keine Autobiografie – allerdings hat Bejot Hirsch mütterlicherseits einen Bezug zum ehemaligen Sudetenland und war von seinem Arbeitgeberkonzern für drei Jahre in die tschechische Republik entsandt worden, wo die Erzählungen seiner Großeltern väterlicherseits eine neue Bedeutung gewannen.

Ganoven in der Gustavstraße

So erstaunt die Detailkenntnis des Autors nicht, während die Leserschaft gleichzeitig verfolgt, wie er den Tagebüchern seiner fiktiven Vorfahren über ein Jahrhundert nachgeht. Zwei befreundete Familien stehen im Mittelpunkt der Fährtensuche. Einmal die des Spiegelfabrikanten Johannes Ammon in Fürth auf der einen Seite, die des Glasfabrikanten Richard Pohl in Bober im Rehorngebirge vor dem Riesengebirge auf der anderen, die beide ihren Wohlstand durch das Nazi-Regime und die geschlagene Reichswehr verlieren.

Im Umfeld bewegt sich eine Schar von Personen, vom loyalen Prokuristen Borokowski, der am Schluss einen kleinen Schatz bewahren kann, über den SS-Obersturmführer und Mörder Kurt Pohl bis zu den tapferen Frauengestalten Rosalia, Lotte und Johanna.

Auf einem Nebenpfad lesen wir sogar verblüfft über die Gustavstraße der Nachkriegszeit, in der Ganoven, Zuhälter und Killer regieren.

Bejot Hirsch erzählt seinen Stoff flott, detailreich und schnörkellos, aber mitunter zu ausufernd. Eine nochmalige Kürzung hätte dem Roman gut getan. Insgesamt freilich: ein beachtlicher Band.

INFO Bejot Hirsch: Tanzt, Bäume, tanzt!, Verlag Tredition, 486 Seiten, 14,99 Euro.

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