Fürs Bomben-Szenario: So plante Fürth die Mega-Evakuierung

21.7.2020, 11:00 Uhr
Vom Nachttopf bis zu Bombensplittern: Es blieb bei Fundstücken, von denen keine Gefahr ausgeht.

© Foto: Carmen Brückner/Klinikum Fürth Vom Nachttopf bis zu Bombensplittern: Es blieb bei Fundstücken, von denen keine Gefahr ausgeht.

Dortmund hat ihn heuer erlebt, den Ausnahmezustand, der auch Fürth drohte: Im Dortmunder Klinikviertel mussten am 12. Januar zwei 250-Kilogramm-Bomben entschärft werden – es kam zu einer der größten Evakuierungsaktionen der Nachkriegszeit. 14.000 Menschen verließen ihre Häuser, außerdem lagen zwei Krankenhäuser, drei Seniorenheime und mehrere Hotels im Sperrgebiet.


Entwarnung: Kein Bombenfund am Fürther Klinikum


Im Oktober hatte die Stadt Dortmund die Bürger erstmals darüber informiert, dass diese Riesen-Evakuierung nötig werden könnte – tatsächlich befasste man sich zu dem Zeitpunkt, noch unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch am Fürther Klinikum schon mit einem ähnlichen Szenario. Denn: Hier wie dort standen Baumaßnahmen in Klinikumsnähe an. Und hier wie dort musste man damit rechnen, Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg im Boden zu finden. Acht Verdachtsstellen hatten die Verantwortlichen in Fürth mit Hilfe von Luftbildern der Alliierten ausgemacht - in Dortmund waren es vier.

Die Planungen für alle denkbaren Fälle begannen bereits vor einem Jahr, erzählte Rainer Krämer, Katastrophenschutzbeauftragter im Klinikum, nun beim gemeinsamen Pressetermin mit Verantwortlichen von Feuerwehr, Polizei, BRK und THW. Miteinander – und in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt – haben sie seit Monaten ein genaues Konzept für eine mögliche Massen-Evakuierung in Corona-Zeiten ausgearbeitet. Inklusive Termin.

Entwarnung gab es nach den Bodenuntersuchungen am 13. und 14. Juli. Wäre auf dem alten Helikopterlandeplatz, auf dem ein OP-Zentrum entstehen soll, jedoch ein gefährlicher Blindgänger gefunden worden, wären die Pläne am Sonntag umgesetzt worden. Betroffen gewesen wären bis zu 16.000 Menschen zwischen Altstadt und Hardhöhe, dazu das Krankenhaus und vier Altenheime. 200 Seiten umfasst das Konzept, das die Berufsfeuerwehr erstellt hat; 36 Seiten das des BRK. Ein Einblick in die Planungen für den ungünstigsten Fall - eine Evakuierung im 1000-Meter-Radius ums Klinikum:

Klinikum: Das Krankenhaus hat seine Patientenzahl bereits vorsorglich auf 320 reduziert, die Krankenhäuser in den Nachbarstädten nahmen zuletzt mehr Notfälle auf. Alle Patienten in Fürth (und etliche Mitarbeiter) wurden mit Blick auf eine Verlegung erneut auf Corona getestet. Frühchen und Intensivpatienten wären in den Tagen vor der Evakuierung in andere Kliniken gebracht worden; sie waren schon darauf vorbereitet. Am Sonntag wäre man dann noch mit 100 Patienten, Dutzenden Betten und Materialwagen umgezogen. Sauerstofftanks hätten geleert, die IT-Systeme komplett heruntergefahren werden müssen.

BRK: Das Rote Kreuz stellte sich darauf ein, viele Patienten und die rund 560 Bewohner der vier Altenheime transportieren zu müssen – ein Kraftakt. Allein einen Bewohner ins Fahrzeug zu setzen, dauere zehn Minuten. Bei einem Heim mit 200 Bewohnern kommen dafür schon 2000 Minuten zusammen, sagt Arthur Sieder, Katastrophenschutzbeauftragter des Fürther BRK. Wegen Corona muss der Wagen zudem nach jeder Fahrt desinfiziert werden.

Man tüftelte deshalb etwa aus, wie viele Fahrzeuge gleichzeitig beladen werden könnten. Sieder kalkulierte mit 200 Fürther Ehrenamtlichen, 600 weiteren Helfern aus Bayern, 150 Krankentransportwagen und 70 Spezialfahrzeugen. Auch in die Notquartiere der Altenheime hätten Klinikbetten gebracht werden müssen. "Feldbetten können Sie da nicht nehmen", sagt Sieder.

Fürs Bomben-Szenario: So plante Fürth die Mega-Evakuierung

© Foto: Carmen Brückner/Klinikum Fürth

Feuerwehr: Die Berufsfeuerwehr nahm sich unter anderem der Frage an, wie man möglichst zügig kontrollieren kann, dass das Gebiet im 1000-Meter-Radius auch wirklich geräumt ist. Dafür wurden Markierungskarten entwickelt, die nun bundesweit genutzt werden können, sagt Andreas Engelhardt, der die Vorbereitungen der Feuerwehr koordinierte. Die Führungsstelle für den Einsatz wäre im Stadion am Laubenweg eingerichtet worden, „da war schon alles durchgeplant, bis zum letzten Telefon“.

Gedacht wurde auch an den Transport schwer gewichtiger Personen oder die Ausstattung sämtlicher Einsatzkräfte mit Hygienepäckchen. Aus den Reihen der Feuerwehr, vor allem von Freiwilligen Feuerwehren aus Fürth und Umgebung, hätten bis zu 500 Kräfte mitgeholfen.

THW: 350 Kräfte aus ganz Mittelfranken – „alles Ehrenamtliche“ – hätte das THW eingebracht, wie Jürgen Teichert erklärt, dazu viele Fahrzeuge und eine Schnelleinsatzgruppe für havarierte Wagen. Verantwortlich war man unter anderem für die Verpflegung aller Einsatzkräfte und die Sicherung des Sperrgebiets, in das ab einem bestimmten Zeitpunkt niemand mehr hineingelangen sollte. Auch beim Transport der Klinikbetten hätte das THW kräftig geholfen.

Im ungünstigtsten Fall wäre ein Gebiet im 1000-Meter-Radius, zwischen Hardhöhe und Altstadt, zu evakuieren gewesen. Das Bild zeigt eine grobe Planung.

Im ungünstigtsten Fall wäre ein Gebiet im 1000-Meter-Radius, zwischen Hardhöhe und Altstadt, zu evakuieren gewesen. Das Bild zeigt eine grobe Planung. © Stadt Fürth

Polizei: Die Umleitung des Verkehrs der B8, einer von Fürths Hauptverkehrsadern, die Räumung und die Sicherung der vielen leer stehenden Häuser im Evakuierungsgebiet – das wären die Aufgaben der Polizei gewesen. So hätten etwa Streifen das Viertel abgefahren, um es vor Einbrüchen zu schützen. Fürths Polizeichef Michael Dibowski rechnete damit, dass bis zu 500 Einsatzkräften aus ganz Bayern beteiligt gewesen wären.

Die Pläne werden in Zukunft wertvoll sein, darin sind sich alle Beteiligten einig.  Sie haben Erfahrungen aus anderen Städten und auch aus dem Bombenfund in Nürnberg im Februar 2019 - damals musste auch die Fürther Schön-Klinik evakuiert werden - einfließen lassen. "Jede Situation aber ist anders und man kann die Konzepte nicht einfach übertragen", sagt Dr. Manfred Wagner, Leiter des Krisenstabs Bombe am Fürther Klinikum.

Dass man auch die Bevölkerung Anfang Juli auf einen möglichen Bombenfund vorbereitete, war wichtig, sagen sie. Erfahrungen zeigen: Informiert man die Bürger frühzeitig, müssen am Ende deutlich weniger die Notquartiere aufsuchen.

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