Fürth bleibt links liegen

16.12.2010, 16:00 Uhr
Fürth bleibt links liegen

© Hippel

.Nun mag man sich darüber streiten, warum das so war und ist. Auf eine seltsame Art zusammenhängende Tatsache bleibt, dass Fürth vor 65 Jahren im Gegensatz zur nahen Nachbarstadt Nürnberg von den Bomben fast nichts abbekommen hat, und dass die umstrittene fotografische Ausspionierung – bislang – exakt an der Stadtgrenze Halt macht. Ist Fürth einfach nur zu unbedeutend für strategisch geplante Zerstörung und Bespitzelung? Oder gibt es tiefere, geheimnisvolle Gründe dafür, dass man hier irgendwie auf einer Insel der Glückseligen zu leben scheint inmitten einem Meer voller Aggression und Aufdringlichkeit?

Die Meinung hält sich in Fürth ja seit Jahrzehnten hartnäckig. Egal, ob man junge Menschen fragt oder Bürger, die das Ende des Krieges hier miterlebt haben – man bekommt in der Regel dieselbe Antwort. Dass Fürth vom Bombenterror, der aus Nürnberg noch Anfang 1945 eine einzige Ruinenlandschaft machte, fast nichts abbekam, wird leichtsinnig mit dem Halbsatz erklärt: „Wegen der Juden.“ Was mit dieser knappen Bemerkung gemeint ist, ist freilich nicht ganz einleuchtend und wird dann auch von denen, die sie im Mund führen, nicht weiter erläutert. Der Großvater hat’s so gesagt, der Vater auch, also muss doch irgendwas dran sein...

Auch hier brannte die Synagoge

Nichts ist dran. Warum schließlich sollten die Amerikaner eine Stadt verschonen, in der 1945 kaum noch ein Jude lebte? Planmäßig hatten die Nazis und antisemitische Aktionen der Bevölkerung dafür gesorgt, dass die jüdischen Bürger aus dem „fränkischen Jerusalem“ abtransportiert worden waren. Manche konnten in letzter Minute gerade noch fliehen. Keineswegs also haben die Alliierten bestimmte Personengruppen schützen oder gar so etwas wie Toleranz der Fürther gegenüber „ihren“ jüdischen Mitbürgern belohnen wollen. Auch hier brannte schließlich pünktlich in der sogenannten Reichskristallnacht die Synagoge – für die Zerstörung einiger ihrer wichtigen Baudenkmäler also hatten die Fürther schon längst selbst gesorgt.

Die tatsächlichen Augenzeugen- und Zeitungsberichte über Bombardements auf die historische Fürther Bausubstanz in den letzten Kriegstagen beginnen meist mit den Sätzen „Wegen des Fliegerangriffs auf Nürnberg...“ oder „Von abends bis früh waren Fliegerangriffe auf Nürnberg und fortwährende Durchflüge über unserem Gebiet...“

Es scheint also, dass Fürth von den Fliegerstaffeln ganz bewusst links liegen gelassen wurde. Der Auftrag war, das Schatzkästlein und die Aufmarschmetropole nebenan zu eliminieren. Bomben auf Fürth: Das war eher Zufall, ein Kollateralschaden, das stand unter dem Gesichtspunkt der Ballast-Abwerfung; nur ganz selten wurden strategisch wichtige Objekt bewusst getroffen.

Hinweise noch vorhanden

Freilich war man auch hier nicht wirklich „sicher“. Es gibt Listen, in denen neben „schwereren“ und „leichteren“ Schäden auch „Totalschäden“ aufgeführt sind. Und wer heute durch Fürth geht, kann an vielen Hauswänden noch immer die Hinweise auf „Luftschutzräume“ finden; im „Windschatten“ der Noris blieb man skeptisch.

Warum aber dann das Juden-Gerücht? Historiker meinen, dass dieses historische Märchen etwas mit dem typischen Fürther Minderwertigkeitskomplex zu tun haben könnte. Man musste sich eingestehen, dass man vielleicht doch zu unwichtig war. Und um etwas mehr Gewicht auf die eigene Stadt zu legen, hat man die Legende in die Welt gesetzt, dass es die von Toleranz geprägte Vergangenheit gewesen sein müsste, die vor Zerstörung bewahrt hat.

Auf wen man nun aber den Umstand schieben wird, dass nach der Missachtung durch die amerikanischen Befreier nach dem Krieg in heutiger Zeit die Ignorierung der Stadt durch die ebenfalls amerikanischen Bespitzler folgt, bleibt abzuwarten.

Man setze sich vor seinen Computer, hole sich die Google-Landkarte von Fürth auf den Bildschirm – und staune. Wer beispielsweise vom Nürnberger Plärrer kommend elektronisch die Fürther Straße stadtauswärts hinabrobbt, mal einen indiskreten Blick in leere Fabrik- und Versandhausgebäude wirft, mal in die Fauleier der Kläranlage schaut, mal im Vorbeigehen in fremde Wohnzimmer oder auf Balkone spitzt, findet sich gleich nach Doos, „beim Pillenstein“ halt, plötzlich vor einer milchigen Wand wieder.

Unsichtbarer Schutzwall

Nichts geht mehr. Außer nach rechts oder links. Geradeaus liegt zwar Fürth, aber das voyeuristische Betreten dieses Suchmaschinen-Niemandslandes ist strikt verboten. Hinein in die Höfener Straße, unter der Bahn hindurch und dann nach rechts in die Karolinenstraße hineinsurfen? Fehlanzeige. Als würde ein unsichtbarer Schutzwall rings um Fürth bestehen.

Man kann noch so vehement mit dem Cursor herumsausen, das kleine orangene Männchen schleudert es exakt auf der Stadtgrenze immer wieder brutal zurück auf Nürnberger Boden. Und wie weiland bei der innerdeutschen Mauer wird einem nur ein wenig sagender Blick über die Barriere hinweg vergönnt.

Man schaut via Schirm in eine ganz andere, in diesem Fall völlig googleresistente, rundum datengeschützte, unverpixelte und irgendwie geheimnisvoll verschwommene Stadtlandschaft, die sich in der Perspektive da hinten endlich im Unkenntlichen auflöst.

Glückliches Fürth. Nur wer es eben recht versteht, sich nicht in den Vordergrund zu drängen, hat die Chance, von unheilbringender Zerstörung und von aufdringlichen Fotografen verschont zu bleiben.