Fürther Literat - verehrt und vergessen

14.1.2012, 22:00 Uhr
Fürther Literat - verehrt und vergessen

© Horst Linke

Der Name des Autors war Literaturkundigen letztes Jahr sicherlich kurz noch einmal durch den Kopf gegangen, als nämlich der Roman des in Amerika lebenden Philosophieprofessors William H. Gass für Aufsehen sorgte: „Der Tunnel“. Darin folgt Gass auf über tausend spektakulär verwirrenden Seiten dem Leben und fatalen Denken eines Naziforschers, der sich selber in der faschistischen Ideologie verirrt. „Der Tunnel“ ist aber nun auch der Titel des erfolgreichsten Buches Bernhard Kellermanns, eine kraftvoll ausufernde utopische Geschichte, die den Autor weltweit bekanntmachte, in Deutschland allein über 250 Auflagen erreichte — und leider auch zu den Lieblingsbüchern Adolf Hitlers zählte („...ein großer jugendlicher Leseeindruck“). Dafür konnte Kellermann freilich nichts, aber sein tatsächliches Verhältnis zu den wechselnden politischen, deutschen Zeitläuften rückt ihn dann doch ironischerweise sehr nah an die tragische Figur, die Gass in seinem sicher nur zufällig gleichlautenden Roman zeichnet.

Kellermann war ein „Konjunkturliterat“, wie ein Kritiker in den frühen 30er Jahren urteilte. Da gehörte der Autor schon zu den Meistgelesenen in Deutschland. Als die Nationalsozialisten bei den Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 dann seinen Revolutions-Roman „Der 9. November“ ins Feuer warfen, mag das für Kellermann bei aller Empörung vielleicht auch so etwas wie eine klammheimliche Genugtuung gewesen sein: Er hatte sich falsch verstanden und von den Falschen verehrt gefühlt, nun stand er auf der braunen Liste der Verachtenswerten. Aber noch 1935 schmückte sich seine (längst gleichgeschaltete) Geburtsstadt mit seinem Namen und listete ihn stolz unter der Rubrik „Berühmte Fürther“ auf.

In der inneren Emigration

Der Schriftsteller blieb in Nazi-Deutschland, wählte für sich das, was man später mit „die innere Emigration“ umschrieb. Mehrmals waren Polizei und SA ungebeten bei ihm zu Gast, sie misstrauten ihm, obwohl er nun politisch lieber schwieg zu den Geschehnissen im Land: „Ich komme mir vor wie ein lebendig Begrabener“, sagte Kellermann. Und schrieb und publizierte gleichwohl weiter: Während des „Dritten Reiches“ erschienen fünf neue Bücher; „Der Tunnel“ erlebte bis 1943 fast jedes Jahr Neuauflagen. Sein erstes Buch nach 1945 über diese „dunkle Zeit“ nennt Kellermann „Totentanz“. Es ist ein antifaschistisches, die Diktatur anklagendes Buch, das mit einer neuen Hoffnung endet: „Licht aus dem Osten, Morgenröte!“

Ende der 50er Jahre dann schrieb Kellermann über Josef Stalin: „Die überraschende Einigkeit und innige Verbundenheit aller sowjetischen Völkerschaften ist das Werk seines Genies, seines Fleißes, seiner Beharrlichkeit, seiner Willenskraft und seiner seltenen Güte, die seine Staatskunst durchblutet und den mächtigsten Quell seines Wesens bildet.“ Kellermann lebte damals im Osten Deutschlands, hatte 1945 den Kulturbund mitgegründet, gehörte wieder einer Deutschen Akademie der Künste an und hatte schon 1949 den Nationalpreis der noch sehr jungen DDR verliehen bekommen.

Es gibt eine Reihe solch ungenierter Stalin-Orgeleien in Kellermanns Nachkriegsschriften, weshalb er im Westen bald zu den am heftigsten vergessenen und verschwiegenen Autoren zählte. Über Jahrzehnte hinweg kümmerte man sich auch in Fürth nicht um ihn. Man kannte und war stolz auf Wasser-, wer aber war Kellermann?

Als die Gedenkplatte ins Pflaster der Schwabacher Straße eingelassen wurde, war von all den Widersprüchlichkeiten Kellermanns nicht die Rede; warum sie dort überhaupt zu finden ist, weiß man auch nicht so genau. Schließlich war die Beziehung zu seiner Geburtsstadt eine ambivalente, wenn nicht gar gekappte. Kellermann schämte sich eher seiner einfachen Herkunft. „Ich entstamme einem Geschlecht fränkischer Bauern und Handwerker, bin 1879 in Fürth geboren und verlebte meine Jugend in Ansbach, Nürnberg und München.“ Ein andermal taucht Fürth nur als „eine Stadt voll Staub und Rauch“ auf.

Kellermann zog es vor, in die weite Welt zu fahren, seine Reise- und später Kriegsberichte verkaufte er gut an Zeitungen, seine literarische Produktion lief erfolgreich, wenngleich er auch qualitätsmäßig nie mehr an den „Tunnel“ anknüpfen konnte. Die seltsame „Anpassungsfähigkeit“ Kellermanns an den Geschmack und die politische Atmosphäre im Land stieß schon früh auf Unverständnis. Dass er sich gleich nach dem Krieg zu einem Widerstandskämpfer begnadigte, passt da ins Bild. Ansonsten verliert sich heute die Spur des früh berühmten und oft verführten Fürthers. Wer also war Bernhard Kellermann?

Kafkas Notizen

Ein köstlich entlarvendes Porträt von ihm hat ausgerechnet Franz Kafka gezeichnet. Anlässlich einer Lesung im November 1910 im „Deutschen Kasino“ in Prag notierte er in seinem Tagebuch: „Bernhard Kellermann hat vorgelesen: (...) Scheinbar ein lieber Mensch, fast graues stehendes Haar, mit Mühe glattrasiert, spitze Nase, über die Backenknochen geht das Wangenfleisch oft wie eine Welle auf und ab. Er ist ein mittelmäßiger Schriftsteller mit guten Stellen (ein Mann geht auf den Korridor hinaus, hustet und sieht herum, ob niemand da ist), auch ein ehrlicher Mensch, der lesen will, was er versprochen hat, aber das Publikum ließ ihn nicht, aus Schrecken über die erste Nervenheilanstaltsgeschichte, aus Langeweile über die Art des Vorlesens gingen die Leute (...) immerfort einzeln weg mit einem Eifer, als ob nebenan vorgelesen werde. (...) Als er fertig war, stand alles auf, es gab etwas Beifall, der so klang, als wäre mitten unter all den stehenden Menschen einer sitzengeblieben und klatschte für sich. Nun wollte aber Kellermann noch weiterlesen (...) Endlich, nachdem er beraten worden war, sagte er: Ich möchte noch ein kleines Märchen vorlesen, das nur 15 Minuten dauert. Ich mache 5 Minuten Pause. Einige blieben noch, worauf er ein Märchen vorlas, das Stellen hatte, die jeden berechtigt hätten, von der äußersten Stelle des Saales mitten durch und über alle Zuhörer hinauszurennen.“

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