"Fürths größte Stärke ist das Selbstbewusstsein"

28.5.2019, 16:00 Uhr

© Tim Händel

Herr Jung, waren Sie eigentlich schon mal in Hagen?

 

Thomas Jung: Nein.

 

Welches Bild von Hagen haben Sie – bitte ohne Schönfärberei?

 

Jung: Was fällt mir ein? Die Fernuni Hagen, da hat auch die Fürther Finanzreferentin ihren Abschluss gemacht. Und Ruhrgebiet natürlich.

 

Und welches Bild vom Ruhrgebiet hat der Fürther OB?

 

Jung: Ich kenne selbst nur Dortmund und Wuppertal . . .

Michael Koch: Wuppertal wird es weit von sich weisen, Ruhrgebiet zu sein!

Jung: Okay, dann nur Dortmund. Das ist keine so historische Stadt, wie man es in Bayern kennt, mit lange zurückreichender Geschichte. Und dann habe ich natürlich die Fernsehbilder, die man über Tatort und Ähnliches transportiert kriegt. Da denkt man dann natürlich auch an Stadtteile mit sozialen Problemen.

 

Michael, es entstehen ja tatsächlich viele Eindrücke vom Ruhrgebiet durch Fernsehproduktionen. Stimmen die Klischees oder sagst du: Nee Leute, so ist das aber nun auch wieder nicht?

 

Koch: Man muss ehrlich sein, in vielen Punkten stimmen die Urteile sicherlich. Als ich mich hier in Fürth eine Woche lange umgeschaut habe, bin ich vielen Problemen nicht begegnet, die ich im Ruhrgebiet sehe.

 

Zum Beispiel?

 

Koch: Zum Beispiel Vermüllung, das ist ein Riesenthema in Hagen und in anderen Ruhrgebietsstädten. Auch die Infrastruktur ist teilweise einfach auf einem schlechten Niveau.

 

Was ist denn deiner Ansicht nach die größte Stärke Fürths im direkten Vergleich mit Hagen?

 

Koch: Die größte Stärke Fürths ist, dass man selbstbewusst auftritt, dass man sagt: "Wir können was, wir machen was, wir gehen auch einfach mal Dinge an." Das sage ich nicht, um dem Oberbürgermeister Honig ums Maul zu schmieren. Hätte ich einen anderen Eindruck, würde ich das sagen.

 

Was bringt dich in Fürth zu dieser Ansicht?

 

Koch: Na zum Beispiel dieser neue Markt. Vielleicht klappt er ja auch gar nicht, aber ein täglicher Markt, der ein bisschen südländisches Lebensflair in die Stadt bringt, das ist mutig.

 

Beim Stichwort "selbstbewusst" im Zusammenhang mit Fürth habe wahrscheinlich nicht nur ich gezuckt, sondern auch der OB. Überrascht, Herr Jung?

 

Jung: Ja! Also, es freut mich natürlich, und es hat sich ja tatsächlich auch schon verändert. Vor 20 Jahren, da hatte der Fürther keinen Anlass zum Selbstbewusstsein, wir waren in allen Rankings tief unten. Inzwischen sehen wir uns auf Augenhöhe mit den Nachbarstädten. Ein Riesensprung für Fürth. Was allerdings Tourismus angeht, da wird der gemeine Fürther auf die Frage "Was gibt’s hier Tolles?" immer noch antworten: "Da sind Sie hier falsch." Das ist noch entwicklungsfähig.

Hagen beklagt beim Thema Migration, dass es eine zu starke Konzentration von Osteuropäern in manchen Vierteln gibt. Auch Sie, Herr Jung, haben das mit Blick auf die westliche Innenstadt von Fürth schon mal anklingen lassen. Haben Sie Angst vor Hagener Verhältnissen?

 

Jung: Nein, ich habe keine Angst, sehe aber Anlass, tätig zu werden. Wir haben jetzt bei der Stadt Fürth extra bulgarisch und rumänisch sprechende Sozialarbeiter eingestellt. Und die Polizei hat den Bewohnern versprochen, bei Anruf sofort zu erscheinen.

 

Von welchen Problemen sprechen wir da eigentlich?

 

Jung: Der Höhepunkt war im letzten Herbst erreicht, da war auch noch die Hirschenstraße gesperrt. Viele Jugendliche haben sich da aufgehalten, die Lärmbeschwerden haben zugenommen.

 

Michael, entlockt das dem Hagener nur ein mildes Lächeln? Ich glaube, bei euch daheim schaut’s nochmal ganz anders aus . . .

 

Koch: Ja, das Gefühl habe ich auch. Hagen ist eine Stadt mit einem traditionell hohen Migrantenanteil, in den Grundschulen haben über die Hälfte der Kinder Migrationshintergrund. Das ist in weiten Teilen aber ein ziemlich konfliktfreies Miteinander, das ist Hagen gewohnt. Diese starke Zuwanderung aber in kürzester Zeit seit 2014 hat Probleme verursacht, die in der Bevölkerung sehr präsent sind.

 

Welcher Art?

 

Koch: Die Konzentration auf bestimmte Gebiete, die ohnehin sozial schwach sind, mit oftmals lange leerstehenden Häusern, sogenannten Schrottimmobilien. Die wurden an Zuwanderer vermietet, es hat sich ein riesiges Abfallproblem mit vermüllten Innenhöfen und Sperrmüll ergeben, der einfach auf die Straße gestellt wird. Und natürlich die Belastung für die Sozialkassen.

Von einem derartigen Müllszenario ist Fürth doch weit entfernt, Herr Jung . . .

 

Jung: Ja, aber die Schilderung bestätigt mich in meiner Ansicht, dass Europa aufpassen muss, bei aller nötigen Freizügigkeit eine Zuwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern. Es wird Europa schwer schaden, wenn das um sich greift, und wir können auch nicht die sozialen Probleme Osteuropas in den deutschen Großstädten lösen. Das müssen wir bitte in Osteuropa tun, dort Aufbauhilfe leisten. Ich warne deshalb vor der Euphorie, mit der schon wieder über Beitrittsverhandlungen mit noch mehr osteuropäischen Staaten gesprochen wird. Ich bin da strikt dagegen. Alles, was man überdehnt, platzt irgendwann.

 

Das klingt sehr nach Europa-Skepsis . . .

 

Jung: Ich bin wirklich tausendprozentiger Europäer, aber gerade weil ich Europa liebe, will ich keine Ausdehnung bis in die Weizenfelder der Ukraine.

Koch: Glauben Sie denn, dass Integration wirklich gelingen kann?

Jung: Wenn man ehrlich ist, sprechen wir hier über Bevölkerungsgruppen, die sich in ihrem eigenen Land über hunderte Jahre nicht integrieren konnten oder wollten. Die Integration solcher Menschen ist ein Prozess, der nur über Generationen hinweg gelingen kann. Deshalb ist zum Beispiel die Durchsetzung der Schulpflicht so unverzichtbar, da sind wir in Fürth gnadenlos dahinter her.

 

Das hört sich schon wieder wenig optimistisch an . . .

 

Jung: Auf der anderen Seite sind viele Osteuropäer natürlich auch sehr hilfreich, zum Beispiel auf unseren Baustellen oder bei den großen landwirtschaftlichen Betrieben im Knoblauchsland. Die sind angewiesen auf Arbeitnehmer aus Osteuropa, die jeden Tag ganz fleißig unterwegs sind.

Koch: Was mich mal interessieren würde, ist das Thema Schulden. Wir haben in Hagen rund eine Milliarde Euro davon. Wenn Sie die hätten, Herr Jung, würden Sie dann sagen: Ich schmeiß’ den Bettel hin – oder wären Sie gar nicht erst OB geworden?

Jung: Solche Schulden kann eine Stadt ohne Hilfe von außen nicht mehr bewältigen. Wir hatten hier in Fürth auch dramatische Zeiten mit 300 Millionen Euro Schulden, aber seit einigen Jahren geht’s steil nach unten. Wir haben das wieder in den Griff bekommen und können Millionen tilgen.

 

Warum ist das in Hagen eigentlich nicht so? Die wirtschaftlich gute Entwicklung muss sich doch auch dort niederschlagen?

 

Koch: Ja, ein bisschen konnte abgebaut werden, und es ist auch erheblich gespart worden. Aber keiner von den jetzt lebenden Hagenern wird den Abbau der kompletten Schulden noch erleben, wenn es in diesem Tempo weitergeht. Herr Jung, Sie sagen, ohne Hilfe geht das nicht. Hätten Sie denn Verständnis dafür, wenn andere Städte, die nicht so viele Schulden haben, wie etwa Fürth, nicht mehr so üppige Fördergelder vom Bund bekommen, damit es Hagen besser geht?

Jung: Also, ich habe dafür Verständnis. Und ich habe kein Verständnis dafür, dass weiterhin so viel Infrastrukturhilfe in den Osten Deutschlands fließt, weil wir im Westen tatsächlich diese Verwerfungen haben. Meine feste Überzeugung ist: Griechenland kann’s eher schaffen als die Ruhrgebietsstädte. Ich sehe darin eine nationale Aufgabe. Fürth ist für bayerische Verhältnisse arm, aber es gibt in Deutschland Städte mit Überfluss und Städte, die es gar nicht schaffen können – wie eben Hagen.

Koch: Was mich bei meinem Rundgang in Fürth nachdenklich gemacht hat, ist dieses City-Center: Nochmal 20 000 Quadratmeter Verkaufsfläche dazu, da sehe ich mein Hagen vor mir. Da gab’s auch Gutachter, die gesagt haben, ihr könnt noch mehr brauchen. Aber die Rechnung geht nicht auf, es gibt in einem der Einkaufszentren erhebliche Leerstände . . .

 

Sind die Gutachten für Fürth am Ende falsch, Herr Jung?

 

Jung: Man muss doch mal sehen, wo wir herkommen. Wir waren in puncto Einkaufen absolut unterdurchschnittlich, und eines ist auch klar: Mit dem City-Center wäre dann Schluss. Das wird ein lebendiges Zentrum, ein Mix aus Läden und viel Gastronomie. Einkaufen allein ist kaum mehr ein Grund, in die Stadt zu gehen. Deshalb ja auch unsere Bücherei mit dem Café Terrazza, der Markt. Und man darf nicht vergessen: Fürth ist nach wie vor eine Wachstumsstadt, auch wenn sich das abschwächt. Ich verlasse mich da sowieso nicht auf Gutachten.

 

Sondern?

 

Jung: Auf den gesunden Menschenverstand. Und auf das Feedback aus der Fürther Bevölkerung. Junge Leute vermissen McDonald’s, ältere Damen die Nordsee, Herren ein Herrenbekleidungsgeschäft und und und . . . Sprich: Es fehlt auch noch viel in der Stadt.

Koch: Das wollte ich Sie gern noch fragen: Früher war ja ganz Nordrhein-Westfalen mal Herzkammer der Sozialdemokratie, heute gibt’s keine einzige Stadt mehr mit einem SPD-OB und einer absoluten SPD-Mehrheit, wie hier . . .

Jung: . . . das ist inzwischen in ganz Deutschland einmalig.

Koch: Was haben Sie für einen Rat für die Genossen in Hagen?

Jung: Bescheiden bleiben, bodenständig bleiben, versuchen, vernünftig zu agieren. Das klingt platt, aber mehr kann man dazu nicht sagen. Mit Ideologie und mit Hoffen auf Berlin kommt man sicher nicht weiter.

 

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