Gershwin hätte geweint vor Glück

23.2.2020, 14:19 Uhr
Gershwin hätte geweint vor Glück

"Münchens erstaunlichstes Orchester" nennen sie sich nicht von ungefähr. Ihr Spektrum umfasst Klassik zum Staunen und Filmmusik zum Träumen, zeitgenössische geistliche Werke im modernen Kirchenraum und Sonntagskonzerte mit Sängerlegenden. Als zweiter Klangkörper steht das Münchner Rundfunkorchester in Diensten des Bayerischen Rundfunks und beweist: Es kann eben neben Klassik und Jazz auch Klazz.

Zum aufregenden Crossover von konzertanten Fassungen beliebter Gershwin-Songs spielten sie jetzt Doppelpass mit dem in Fürth verwurzelten Thilo Wolf Quartett - erst im Prinzregententheater (mitsamt der Aufmerksamkeit einer BR-Live-Übertragung), tags darauf, am Donnerstagabend, im Stadttheater, dessen Publikum geradezu unfränkisch aufgekratzt die intelligenten Arrangements von Wolf, Christoph Müller, Lars Lange und Alexander Brühl mit frenetischem Beifall überschüttete.

Am Pult der aus dem Baskenland stammende Enrique Ugarte, der unter anderem in München bei Celibidache studiert hat. Grenzgänge sind seine Spezialität; da greift der Maestro in Weiß leidenschaftlich mit weit ausholendem Armschwung in die wogende orchestrale Welle, wippt voller Spannung, wiegt sich im Klang. Aber er lauscht auch hingerissen dem vor dem Orchester musizierenden Quartett, lässt aus der Hochspannung beider Klangkörper im inspirierenden Miteinander atemberaubende Klangexplosionen folgen.

Melodiefluss ohne Ende, sehnsuchtsvolle Harmonien, unregelmäßig punktierte Rhythmen: Solche Ingredienzien machen George Gershwins Musik sofort eingängig und wiedererkennbar; Kopf, Herz und Fuß geraten in Resonanz bei diesen Tanz- und Liebesliedern. Die Singstimmen in der Oper "Porgy and Bess" vermisst man hier übrigens überhaupt nicht. Im Quartett gibt Norbert Nagel seinem Klarinettenton alle Facetten schmeichelnder Zärtlichkeit und atemberaubender Koloratur, tänzelt leichtfüßig wie ein Schauspieler durch die Reihen der Musiker, lässt im berühmten Liebesduett "I loves you, Porgy" weichen Saxofonsound mit dem virtuosen Violinsolo aus dem Orchester aufwühlend verschmelzen.

Mit verschmitztem Lächeln perlen die Basstöne von Markus Schieferdecker, ebenso magisch wie geheimnisvoll in "Summertime". Als groovender Motor am Schlagzeug überzeugt Paul Höchstädter, im Dschungel abenteuerlicher Taktwechsel behende wirbelnd durch "Fascinating Rhythm".

Thilo Wolf fasziniert nicht nur in der Vielfarbigkeit seiner Arrangements; sprachlos macht die virtuose Vielseitigkeit und unverfälschte Leidenschaft seines Klavierspiels. Aber auch die Herzlichkeit seiner Moderation, der feine Witz und das schier überschäumend pointierte Wissen über Kunst und Künstler machen diesen Gershwin-Abend unvergesslich. Wo anders greift ein Dirigent im Konzert zum Akkordeon? Ugarte hat nicht nur Dirigieren studiert; zusammen mit Thilo Wolf am zweiten Akkordeon, der Rhythmusgruppe und den Streichern gelang ihnen in der erstaunlichsten Zugabe des Abends ein zauberhaftes "It ain’t necessarily so" aus "Porgy and Bess". Riesenjubel.

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