Im Babylon-Keller ist das Ende nah

24.5.2015, 16:09 Uhr
Im Babylon-Keller ist das Ende nah

© Foto: Tim Händel

Man kennt die Szene von Loriot: Ein Mann sitzt im Sessel und tut nichts. Genau das lässt seiner Frau in der Küche keine Ruhe: „Schatz, was tust du gerade? Du musst doch etwas tun. Vielleicht spazierengehen.“ So braut sich aus einem Nichts ein Ehekrieg zusammen.

Rund 40 Jahre später: Die Ausgangslage ist dieselbe, das Möbelstück breiter, die Protagonisten (bekannt unter anderem vom Theater Pfütze: Helwig Arenz und Lisa Sophie Kusz) jünger, das geistige Klima intellektueller, und die Nerven liegen blanker denn je. Offenbar leiden Mann wie Frau unter Wahnvorstellungen.

Beide fühlen sich absorbiert von ihrem Sofa, dem Inbegriff der Häuslichkeit, des Sicherheitsdenkens, das jedes Wagnis scheut und jedes Risiko minimiert. Es gibt nichts mehr zu erobern, nur noch zu verwalten. Und zu verlieren. Das führt zu Trotzreaktionen. Sie verdächtigt ihn, eine Geliebte zu haben, verräterische Flecken auf dem Polster sprechen gegen ihn; er wiederum glaubt, sich mit Aids infiziert zu haben. Und beide hängen in Hassliebe aneinander.

Das Sofa im Stück ist kein Sofa im Sinne eines kompakten Möbels. Stattdessen verteilt Bühnenbildnerin Eva Adler ein Dutzend Sitzkuben aus Leder, wie man sie aus den späten Sechzigern, frühen Siebzigern kennt, samt Pappkartons auf der Bühne, die das Paar im Lauf dieses Dramoletts zu immer neuen Arrangements umgruppiert; mal zur Burg, mal zur Mauer oder zum Trümmerfeld.

Kunstvolle Sätze

Was aber haben Mann und Frau einander zu sagen? Schon nach fünf Minuten ist klar: Hier streiten zwei Menschen, die vom Boden der Realität längst abgehoben haben. Darauf deuten die kunstvoll gedrechselten Sätze hin, die zwischen Hellsichtigkeit und Wahnvorstellung oszillieren. Schnell geht der Zuschauer auf Distanz und flüchtet sich ins Gelächter.

„Sofa“ ist allerdings keine Komödie, auch wenn Helwig Arenz tief aus dem Abgrund des schwarzen Humors wie des gehobenen Wahnsinns schöpft. Es ist eher ein Beziehungsdrama im Endstadium, in dem der Sadismus sich bis zur allerletzten Seelenschicht durchgefressen hat. Hier geht es nicht mehr um Liebe, sondern um sofortige Triebbefriedigung. Entsprechend reißen sich die Darsteller ihre Klamotten vom Leibe, legen einen Striptease hin und watschen sich gegenseitig ab.

Erträglich wird derartige Selbstentblößung allein durch Meera Theunerts straffe Regie, die keine Atempause zulässt, und dem todesverachtenden Spiel der Darsteller. Besonders Lisa Sophie Kusz’ Spiel beeindruckt in seinen blitzschnellen Wechseln zwischen Irrsinn und schlagartiger Ernüchterung. Doch eigentlich ist schon alles gesagt. Man kennt solche Szenen aus Fassbinders finstersten Filmen. Im Lauf des Stückes treibt Arenz die wechselseitige Erniedrigung und Unterwerfung derart weit, dass es sogar zu einem Rollentausch kommt, in dem Mann und Frau jeweils die Argumentation des anderen wiederholen.

Erschöpft taumeln Darsteller wie Zuschauer nach einer turbulenten Stunde vom Schlachtfeld. Hier gibt es nur Besiegte. Selbst das schwarzgallige Lachen ist unterwegs verloren gegangen.

„Sofa“: Diemonade im Babylon (Nürnberger Straße 3). Weitere Aufführungen am 4. und 5. Juni, 20 Uhr. Karten (10/8 Euro) unter Tel. 7 33 09 66.

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