Kissinger ganz privat

30.6.2012, 22:00 Uhr
Kissinger ganz privat

© Hans Winckler

Drei schwarze Mercedes-Limousinen rollen vor das Stadion. „Er sitzt im mittleren Wagen“, ruft eine Stimme aus dem Pulk der Journalisten. Die Türen öffnen sich. Beim Aussteigen stützt sich Henry Kissinger auf einen Gehstock, in den nächsten Stunden wird diesen oft Enkel Sam (18) tragen, erst gegen Mittag braucht der Opa die Stütze wieder.

Oberbürgermeister Thomas Jung heißt die Familie gut gelaunt „willkommen in der Erstligastadt“. Und Kissinger antwortet, so routiniert wie charmant lächelnd, mit starkem US-Akzent: „Es ist mir eine Freude, hier zu sein.“ Dass seine Frau Nancy (78), Sohn David (50) sowie die Enkel Sam (18) und Sophia (16) von Fürth als erstes nicht das frühere Wohnhaus zu Gesicht bekommen, sondern den Ronhof, ein Fußballstadion, mag organisatorische Gründe haben. In jedem Fall spiegelt es wider, was Kissinger bei jedem seiner Fürth-Besuche zu gerne betont: dass ihm die SpVgg am Herzen liegt und dass er schon als Bub in den Ronhof kam: „I used to have a Stehplatz.“ (siehe Lokalsport)

Was er davon hält, dass sich Politiker so gern in Fußballstadien zeigen, wird er gefragt, als er, flankiert von SpVgg-Präsident Helmut Hack und OB Jung, am Rand des Spielfelds auf einer Bank sitzt. „Nun“, antwortet er in all die Mikrofone, die sich ihm entgegenrecken, „Politiker zeigen sich gern in wohlwollender Atmosphäre.“ Und schelmisch: „Ich habe mich hier schon gezeigt, bevor ich überhaupt an die Politik gedacht habe.“

Heinz Alfred Kissinger kam 1923 in Fürth als Sohn jüdischer Eltern zur Welt. Sein Vater Louis Kissinger unterrichtete bis zum Berufsverbot durch die Nazis Geschichte und Geografie am Fürther Mädchenlyzeum, dem heutigen Helene-Lange-Gymnasium (HLG). Ehe die Familie 1938 in die USA floh, wurden Heinz und sein ein Jahr jüngerer Bruder Walter mehrmals von der Hitler-Jugend verprügelt. Henry Kissinger, der von 1973 bis 1977 US-Außenminister war und zuvor Nationaler Sicherheitsberater, erhielt für das Friedensabkommen in Vietnam 1973 den Friedensnobelpreis. Seine harte Realpolitik aber ist bis heute umstritten. So sah sich Bernd Schlömer, Chef der Piratenpartei, massiver Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt, als er sich kürzlich mit Kissinger an einen Tisch setzte.

Die große Politik aber ist nicht Gegenstand dieses Besuchs. „Ich will meinen Enkeln zeigen, wo ich aufgewachsen bin und wo mein Vater aktiv war“, sagt Kissinger und lehnt Fragen politischer Couleur bald ab. Eine Stunde verbringt die Familie im Ronhof, mehr Zeit als an den anderen Orten, die die schwarzen Limousinen ansteuern: den Neuen Jüdischen Friedhof, wo der Großvater ruht, das Rathaus, das Wohnhaus, das HLG, das Jüdische Museum.

Eine Bildergalerie im Rathaus zeigt Fürths Ehrenbürger, seit 2010 hängt neben Ludwig Erhard Kissingers Konterfei in Öl. „Sehr realistisch“ urteilt Ehefrau Nancy, und Enkelin Sophia findet es „großartig“. An einem schweißtreibenden Tag wie diesem würde die 16-Jährige daheim, in Los Angeles, zum Strand gehen oder ein Buch lesen. Heute taucht sie in die (Familien-)Geschichte ein, und das macht ihr offenbar am meisten Spaß, als sich die Chance auftut, am HLG eine Schulklasse zu besuchen. In den paar Minuten findet naturgemäß kein großer Gedankenaustausch statt. Erst als die Kissingers samt Bodyguard wieder weg sind, tauchen Fragen auf. Etwa die, ob Sam und Sophia immer bewacht werden? Im Jüdischen Museum, der letzten Station dieser Visite, wird Sam, der bald an der Yale Universität ein Studium aufnimmt, die Frage schmunzelnd verneinen. Mit seinem Grandpa zu reisen, sei für ihn daher eine „alien experience“, eine außerirdische Erfahrung. Aber: Wie seine Schwester und sein Vater auch versichert der 18-Jährige, es mache ihn stolz, zu sehen, wie viel Respekt seinem Großvater in Deutschland entgegengebracht werde. Der wirkt allmählich etwas müde. Nach dem Mittagessen — Kissinger ließ sich Sauerbraten und zum Nachtisch eine fränkische Bratwurst schmecken — plaudert er im Museum zwar noch angeregt über koscheres Essen. Doch dann drängt er zur Weiterfahrt. Rothenburg steht auf dem Programm.

Eine Bildergalerie zum Thema finden Sie im Internet unter

www.fuerther-nachrichten.de

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