Klinik unter der Erde

10.11.2009, 00:00 Uhr
Klinik unter der Erde

© privat

Es liegt alles noch, wie es vor 44 Jahren eingebunkert wurde: Wärmflaschen, Windeln und Knochensäge, ausklappbare Operationstische und Intensivbetten. «Stand 1965, Tür zugesperrt, das war‘s», sagt Kamran Salimi. Und wenn der Öffentlichkeitsarbeiter im Fürther Klinikum, der auch Untergrunderforscher aus Passion ist, nicht selbst in dem unterirdischen Krankenhaus gestanden hätte, er würde es noch nicht glauben.

Vor einem halben Jahr stolperte er zufällig über alte Begehungsprotokolle. Und telefonierte dann «von Pontius zu Pilatus», um herauszufinden, wo genau in Gunzenhausen sich die ominöse Bunker-Klinik befindet. Selbst die Schule, die darüber steht, wusste nichts davon. Erst das Landratsamt konnte Auskunft geben - und war wenig begeistert über die forschen Fürther.

Das Hilfskrankenhaus in Gunzenhausen wurde für einen kommenden Krieg geplant und für die große Katastrophe dimensioniert: Maximal 2000 Patienten hätte man unter der Erde behandeln können, auf 4000 Quadratmetern fanden Operationssäle, Röntgenräume und Bettentrakt für 430 Patienten Platz. Wasser hätte man aus dem eigenen Brunnen geschöpft, Strom per Aggregat erzeugt und sogar an Telefonanschlüsse - «1 Leitung nach außen, 1 Leitung zum Op.» - war gedacht. In den Klassenräumen zwei weiterer Schulen hätten noch einmal 1000 Verletzte und Kranke untergebracht werden können.

Ein Wahnsinn, der dem Kalten Krieg geschuldet war. Nach der Explosion einer Atombombe über Nürnberg und Fürth, so die Annahme, wären die Opfer erst in etwa 50 Kilometer Entfernung sicher vor Strahlung und Fallout gewesen. Deshalb wählte man Gunzenhausen und errichtete für 3,85 Millionen D-Mark die Bunkeranlage, die zum Modell für - Anfang der 80er Jahre - 220 in der Bundesrepublik Deutschland und 44 in Bayern wurde.

Streit ums Personal

Dass man für Fürth geplant hatte, sorgte wenige Jahre später für einigen Wirbel. Anfang der 70er ging es darum, wer im Notfall das Personal für das Hilfskrankenhaus stellen würde. 18 Ärzte, acht Labor- und Röntgenkräfte und 30 Krankenschwestern und -pfleger würden benötigt. «Ein Drittel unserer gesamten Mediziner!», klagte das Klinikum. Wer würde dann für die verbliebene, hilfsbedürftige Bevölkerung zur Verfügung stehen? Nur unter der Voraussetzung, dass der Stadt Fürth «keinerlei Vorhalte- Übungs- oder Einsatzkosten entstehen», sei man bereit, sich «verwaltungsmäßig und personell» an der Inbetriebnahme zu beteiligen.

Dazu kam es nie, oder besser, ganz anders als gedacht: Am 7. November 1989 wurde der Zivilschutz alarmiert. 720 Betten wären als Erstaufnahmelager für DDR-Übersiedler bereitzustellen. Schon in den frühen Morgenstunden des 8. November kamen die ersten Familien an. «Der jüngste ,Gast‘ war bei der Ankunft fünf Tage alt, der älteste etwa 45 Jahre», vermerkt das Protokoll.

Die Trabbis stellten die Umsiedler am Schießwasen ab, alle wurden ordnungsgemäß registriert und entweder in Familienzimmern oder, nach Geschlechtern getrennt, in Schlafsälen untergebracht. Seelsorger richteten Sprechstunden ein, das Arbeitsamt und die Ortskrankenkasse hielten sich bereit. Das THW organisierte Frühstück und Verpflegung. Außerdem wurden zwei Fernsehgeräte aufgestellt, Tageszeitungen und Lesezirkel ausgelegt.

Die DDR-Bürger, glücklich im Westen angekommen, konnten so den Mauerfall live verfolgen. Und das Hilfskrankenhaus hatte schon am 12. November ausgedient. Nur noch einmal kam es zum Einsatz: Als 1990 Aussiedler aus Rumänien kamen und wochenlang in der Bunkerklinik betreut wurden.

Das Bayerische Fernsehen hat einen Film über das unterirdische Krankenhaus gedreht. Zu sehen ist er am Donnerstag, 12. November, 21.15 Uhr im BR.