Reiz der Bühne

11.8.2017, 10:00 Uhr
Reiz der Bühne

© Foto: Hans–Joachim Winckler

Der Mann erreicht sein Ziel im Tiefflug. Mit einem einzigen Satz springt Karsten Kunde vom Fahrrad, hockt sich auf einen Mauervorsprung, ist angekommen und gesprächsbereit. Der Weg vom Arbeitsplatz zur Stadtparkbühne ist für den 47-Jährigen mehr als ein Standortwechsel. Es ist, so scheint es, die Nahtstelle zwischen zwei Leben. Da trifft der Maschinenbautechniker, der im technischen Einkauf eines Großunternehmens tätig ist, auf den leidenschaftlichen Darsteller in der Freien Szene.

Dem Letzteren blieb zwei Abende zuvor von jetzt auf gleich die Stimme weg. "Ich habe noch über die Musik das Wort ,Kummer‘ geschrien und dann kam bei mir nichts mehr. Gar nix mehr." Kunde, der als Lord Berowne in der aktuellen Produktion auf der Bühne steht, wirkt noch immer leicht fassungslos: "Ich konnt’ nicht mal mehr flüstern." Abgehen? Kein Gedanke dran. "Kollegen haben den Text gesprochen, ich hab’ gespielt. Stumm." Er hält eine Tube mit Lutsch-Pastillen hoch: "Die haben anscheinend geholfen. Heute geht’s wieder mit dem Reden."

Spontanes Engagement

Es ist eine Fähigkeit, die seinem Leben ohnehin den Kick gegeben hat, der ihn antreibt. Seinen Start in der Freien Szene von Fürth beschreibt Kunde zum Beispiel so: "So um 1999 hab’ ich die Weiherers kennengelernt. Wir haben uns zwei Stunden lang unterhalten, dann drehte sich Ute zu Uwe um und meinte: ,Also reden kann er‘." Was mehr oder weniger als Spontan-Engagement zu verstehen war.

Seither spielt Kunde Rollen, für die er brennt. Damals zunächst bei den Dullnraamern, seit langem aber auch in diversen anderen Ensembles. Im Januar war er zum Beispiel in Ute Weiherers Inszenierung von "Warten auf Godot" im Stadttheater zu sehen. Darauf folgte im April die spanische Komödie "Auf Messers Schneide" in der Kofferfabrik. Hier führte Markus Nondorf Regie, der jetzt auch die Shakespeare-Komödie mit dem TKKG im Stadtpark in Szene setzte.

Reiz der Dramen

Auf der Bühne war Karsten Kunde unter anderem bereits Prinz ("Hamlet"), Narr ("Wie es euch gefällt") und Kobold ("Ein Sommernachtstraum"). Sind bei ihm noch (Rollen-)Wünsche offen? "Dramen", sagt er, "reizen mich." Interessieren würde ihn etwa "Macbeth", "Ödipus" oder "Die Räuber". Und dann natürlich der Mephisto in "Faust".

Wobei der gewaltige Grundpfeiler deutscher Bühnenliteratur ihm um ein Haar für immer den Spaß am Spielen verdorben hätte. "In der Schule haben wir das endlos lange durchgekaut und totgeredet. Nach der dritten Schulaufgabe über Gretchen hab’ ich gedacht: Es muss doch noch was anderes geben. . ."

Den Überdruss überwand er allerdings schnell. "Als ich Klaus Maria Brandauer im Kino in ,Mephisto‘ gesehen habe, war das ein Wow-Moment für mich." Plötzlich sei bei ihm die Freude an der Sprache wieder da gewesen. Ein Vergnügen, dass ihn bis heute trägt und das deutlich wird, wenn er auf der Bühne seine Texte mit spürbarer Lust an Nuancen und Doppeldeutigkeiten durchdringt.

Sein Part in der aktuellen Inszenierung gibt ihm Stoff satt für pointierte Auftritte: "Lord Berowne ist ein liebevolles Arschloch", analysiert Kunde. "Er trägt die Arroganz wie die Bugwelle eines Tankers vor sich her."

Eine, die das aushält, ist Bühnen-Partnerin Doris Hanslbauer. "Schön, dass wir das zusammen geben können", freut sich Karsten Kunde. Hanslbauer, mit der er schon im Frühjahr in "Messers Schneide" auftrat, sei für ihn ganz einfach "eine Wohlfühlkollegin", mit der Spielfreude und Rollen-Balance stimmen.

Großes Lob auch für die Freie Szene in Fürth: "Das ist die Welt, in der ich mich wohlfühle." Gut aufgestellt sei man und vielfältig, jeder kenne jeden. Viele engagieren sich in wechselnden Ensembles. "Auf meiner To-Do-Liste steht aber bis jetzt noch eine Zusammenarbeit mit Gabi Küffner."

Was ihn begeistert, ist nicht zuletzt das Gemeinschaftsgefühl: "Man ratscht und tratscht, lacht sich kaputt. Aber vor allem sind das alles tolle Kollegen, die sich in jeder Situation weiterhelfen." Sei es bei Text-Hängern oder in der Garderobe: "Da schminken die Damen die Männer und die schnüren denen die Mieder zu."

Und schließlich ist da die unvergleichliche Chance, jeden Abend "alles neu zu machen, inklusive ein paar ganz neuen Fehlern". Sein schmerzhaftester liegt schon lange zurück. "Da hatte ich eine kleine Rolle am Landestheater Coburg. Ich war so begeistert und berauscht vom Beifall, dass ich beim Abgang von der Bühne voll gegen eine Balustrade gelaufen bin." Tat weh, wurde aber als vermeintlicher Regie-Gag freudig beklatscht.

Was dann irgendwie auch gut war.

Z"Verlorene Liebesmüh": Freilichtbühne im Stadtpark. Heute bis 13. August, täglich 20 Uhr. Karten mit ZAC-Rabatt im FN-Ticket-Point (Schwabacher Straße 106, Tel. 2162777). Restkarten an der Abendkasse.

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