Suche nach Erlösung

3.11.2010, 09:00 Uhr
Suche nach Erlösung

© Thomas Scherer

Die namenlose Hauptfigur (furios: Frank Strobelt) quält sich mit einem schwer beladenen Drahtkorb durchs Leben. Die Altlasten, verbildlicht durch große weiße leere Bilder, bestehen aus der Abneigung gegen seine Schwester Tele, die Wut auf seine dauernd herumputzende Mutter und die kaputte Beziehung mit Exfreundin Martha. Die leichtlebige Frau hat ihn verlassen.

Doch plötzlich erwacht der Anti-Held in einem merkwürdigen Dämmerzustand. Ist er tot? Träumt er? Oder befindet er sich in seinem eigenen Unterbewussten? Schwebt er irgendwo zwischen Himmel und Hölle? Das Publikum erfährt es nicht. Dafür nimmt ein ominöses Gegenüber den Mann mit auf eine Reise in seine Vergangenheit und zu seinen wahren Gefühlen, so dass er sich all den ungelösten Konflikten stellen muss.

Der geheimnisvolle Fremde scheint alles zu wissen, hilft der Hauptfigur aber nicht, sondern stellt nur die richtigen Fragen, die auf den Punkt kommen. So tauchen Mutter, Schwester, Exfreundin und noch weitere Personen wie die nervige Nachbarin Frau Fensterchen, der unsympathische Bekannte Augusten Keke und ein ungeborenes Kind auf. Rasch stellt der Reisende fest, dass in diesem Reich andere Regeln als im normalen Leben gelten: Er hat die Möglichkeit einzugreifen. Alles, was er sich vorstellt, geschieht.

Er lässt die Menschen nach Belieben auftauchen und verschwinden. Dabei nehmen die Ereignisse aber stets eine andere Wendung als erwartet. Der Clou: Auf diese Weise setzt er sich mit den Strukturen seines Umfeldes und seiner Seele auseinander, kann seine inneren Bilder bearbeiten. So kapiert der Mann, dass er seine Martha loslassen muss, weil sie nun mal ein Freigeist ist und sich nicht für eine feste Beziehung eignet. Wäre das anders, wäre sie nicht die Frau, in die er sich verliebt hat.

Frieden geschlossen

Schließlich kann er Martha ziehen lassen und ihr verzeihen, dass sie so oft mit ihm gespielt hat. Auch mit seiner Mutter schließt er Frieden, als er seine Ablehnung überwindet und erkennt, dass sie im Grunde immer für ihn da war und nur seine Liebe will. Auch das Verhalten seiner Schwester wird nachvollziehbar und so versöhnen sich die Geschwister, als er ihr ein Bild von sich schenkt und endlich weiß, dass sie ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen hat.

Ein Stück von wahrlich philosophischer Qualität. Autorin und Regisseurin Katrin Valentin hat in existenzialistischer Manier einiges von Samuel Beckett aufgegriffen, nur dass es bei ihr eine Erlösung gibt. Sie liegt im Menschen selbst, in Güte und Vergebung, ein Gott ist dazu nicht nötig. In spartanischem Bühnenbild sucht Frank Strobelt ausdrucksstark, facettenreich und nie übertrieben sein Ich. Schließlich findet er sich selbst, ausgedrückt durch ein weißes Viereck, das er sich auf die nackte Brust klebt, wo vorher ein leeres Quadrat aufgemalt war. Den Drahtrucksack setzt er ab.

Ulrich Försterling als Gegenüber gibt sich nicht zu diabolisch, sondern stellt geschickt den neutralen Beobachter dar. Vera Mickenbecker legt Martha kess, aber nicht oberflächlich an und verzichtet weise auf Zickigkeit. Katja Voges, die Mutter und Schwester spielt, erweist sich als äußerst wandlungsfähige, hervorragende Darstellerin. Eine Prise Humor bringen Bettina Viering und Martin Motier als Frau Fensterchen und Augusten Keke in Spiel. Abgerundet wird das ganze durch eine virtuos eingebaute filmische Erzählebene, die in Video-Einblendungen Emotionen unterstreicht und Rückblenden zeigt. Absolut sehenswert.

Zu sehen am 20. und 21. November um 20 Uhr in der Desi, Brückenstraße 23, Nürnberg.