Vom Säuglingsheim zum Schulgebäude

17.11.2012, 22:00 Uhr
Vom Säuglingsheim zum Schulgebäude

© Schulz

Der Oberbürgermeister spricht von großer Armut in Fürth, von einer enormen Säuglingssterblichkeit. Es sind Worte, die man sonst nicht von ihm gewöhnt ist, doch Thomas Jungs Thema ist auch nicht das Hier und Jetzt, er schildert die Kleeblattstadt vor 100 Jahren – zu einem Zeitpunkt, zu dem sich eine wohlhabende Familie entschloss, 60000 Mark zu stiften.

Von diesem, so Jung, für damalige Zeiten „irren Geld“ errichtete man ein Haus, das zunächst schreiende Säuglinge beherbergte und viel später dann lärmende Schüler. Letztere, das gesteht ein Zehntklässler des HLG auf der Bühne freimütig, fragten sich teilweise immer wieder, „wo die Krautheimer Krippe eigentlich ist“.

Spätestens jetzt wissen sie es: Seit vergangenem Sommer beschäftigte sich die Klasse 10a unter Leitung ihres Geschichtslehrers Philipp Wilhelm mit der Historie des Gebäudes. So erklären die Jugendlichen an diesem Abend in der Aula des Gymnasiums die verzweigte Familiengeschichte der Krautheimers.

Wohltätiges Wirken

Sie berichten, wie Nathan Krautheimer in seinem Testament verfügt, die enorme Summe für einen sozialen Zweck zu stiften. Seine Ehefrau, Martha Krautheimer, entscheidet nach dem Tod ihres Gatten, eine überkonfessionelle Krippe für 30 bis 40 Babys bauen zu lassen; ein Meilenstein, der vor allem die Not alleinstehender Mütter mildern soll. Es ist nur eines von vielen Beispielen für das wohltätige Wirken jüdischer Fürther, betonen Schüler des Oberstufen-Geschichtsseminars von Caroline Pauchet. Das Nathan-Stift gleich neben der Krippe wird genannt, heute die Ullstein-Realschule, und das „Volksbildungsheim“ Berolzheimerianum, seit 1998 Heimstatt der Comödie.

Doch so großzügig die Krautheimers auch waren — es bewahrte sie nicht vor dem menschenverachtenden Schrecken des Dritten Reichs. Die sogenannte Reichspogromnacht von 1938, das betont der OB, werde immer einen Schatten werfen – noch im selben Jahr, etwas mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung, wird die Krautheimer Krippe von den Nazis in „Kleinkinderheim und Säuglingsheim“ umbenannt, der Hinweis auf die jüdischen Stifter aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Die Toleranz, die die Familie Krautheimer ehelichen wie unehelichen Kindern jeden Bekenntnisses entgegenbrachte, hat im braunen Terror keinen Platz mehr.

21 Jahre nach Kriegsende wird die Krippe schließlich aufgelöst und von den benachbarten Schulen genutzt. Heute beherbergt das stilvolle Gebäude Klassen- und Verwaltungszimmer des Gymnasiums – und symbolisiert gleichzeitig, was Alexander Küsswetter, Vorsitzender des Trägervereins des Jüdischen Museums Franken, in seiner Rede ansprach: die gute Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner HLG, die „dem Bildungsauftrag entspricht, dem das jüdische Museum sich stellt“.

In zwei kleinen Gedenkräumen im Erdgeschoss der Krippe, die als Dependance des Museums dienen, drängen sich am späten Abend die Besucher. Geführt von Schülern, begutachten sie die Exponate: Milchfläschchen, Dokumente und multimediale Präsentationen. Es scheint ganz so, als wäre die einst „fortschrittlichste Einrichtung in Süddeutschland“, so Küsswetter, zu einem Ort des ebenso fortschrittlichen Nebeneinanders von schulischer und historischer Bildung geworden.

Im Rahmen des Jubiläumsprogramms findet an diesem Sonntag um 14 Uhr ein Stadtrundgang durch Fürth zum Thema „Jüdische Stiftungen“ mit Schülern des HLG statt. Treffpunkt ist die Krautheimer Krippe.

4 Kommentare