Für eine bessere Welt

18.1.2021, 15:24 Uhr
Es ist mehr als allerhöchste Zeit für einen Wandel: Vincent Gewert von den Fridays For Future Nürnberg.

© powi-gewert-20210113-185656_app11_00.jpg, NN Es ist mehr als allerhöchste Zeit für einen Wandel: Vincent Gewert von den Fridays For Future Nürnberg.

Jörg Alt hat sich für ein Verbot von Landminen eingesetzt, er koordinierte das Manifest Illegale Zuwanderung, womit er einem Tabuthema zu eindrucksvoller gesellschaftlicher Relevanz verhalf, "fast ein Wunder" nannte das die "Frankfurter Rundschau". Er brachte die Idee einer Finanztransaktionssteuer erfolgreich auf den Weg. Einen "der erfolgreichsten politischen Aktivisten der Republik" nannte der "Tagesspiegel" den 59 Jahre alten Jesuiten-Priester und promovierten Soziologen aus Nürnberg einmal.

Große Zuversicht


Wunder sind möglich, Alt hat es vorgemacht. "Utopie", sagt er in seinem Büro in der Nürnberger Jesuitenmission, "ist nicht mehr so sehr ein Schimpfwort", und obwohl er sich selbst "einen pessimistischen Realisten" nennt, strahlt er große Zuversicht aus, wenn es um das nächste Projekt geht.


Das ist der "Bayernplan für eine soziale und ökologische Transformation” des Freistaates, Initiatoren sind die Jesuitenmission, der Bund für Umwelt- und Naturschutz Bayern, die Fridays For Future-Ortsgruppe Nürnberg und das Landeskomitee der Katholiken in Bayern – im Verbund mit mehr als 120 Organisationen und Personen aus Wissenschaft, Kultur, Kirche und Sozialdiensten.

Jeder ist willkommen


Es geht nicht um detaillierte Forderungen, es geht um mehr, um einen gesellschaftlichen Umbau "hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit", wie es heißt, die Initiative Bayernplan sieht sich dabei gern als Teil eines größeren Ganzen.
Die entsprechende Petition, überreicht an Landtagspräsidentin Ilse Aigner persönlich, liegt dem Bayerischen Landtag vor und soll am 25. Februar verhandelt werden, Ziel ist es, "einen vom Landtag moderierten gesamtgesellschaftlichen Dialogprozess" anzustoßen, "in die möglichst viele kompetente Personen und Institutionen eingebunden werden sollen". (Nachzulesen unter: www.wirtransformierenbayern.de.)


Willkommen ist? Jeder, der sich "eine bessere Welt", wie Jörg Alt sagt, wünscht. Auch wenn sich Alt, wie er lächelnd sagt, die FDP eher nicht als potenziell tragende Säule vorstellen kann: Es geht nicht um Parteipolitik oder um eine politische Grundfärbung; dass das bayerische Landeskomitee der Katholiken, dem man gewiss nicht zu nahe tritt, wenn man es als konservativ bezeichnet, zum Bündnis gehört, lässt schon auf die erwünschte Breite schließen.

"Eine Massenbewegung"


"Es würde nicht helfen, mit großen Begriffssystemen zu arbeiten", sagt der 20 Jahre alte Vincent Gewert, der es als Aktivist der Fridays For Future in Nürnberg erlebt hat: "Es war auffällig, wie schnell wir große Unterstützung gefunden haben", man habe sich "politisch nicht einordnen lassen" wollen, wichtig sei auch nun einzig das Anliegen – aus dem, das wünscht sich Gewert, "eine Massenbewegung" werden soll. So wichtig das individuelle Handeln ist, überlegt er, "es reicht nicht, beim lokalen Händler einzukaufen".


Klimawandel, Artensterben, soziale Ungleichheit, Desintegration: So, wie sie ist, wird die Welt nicht weiterleben können, sagen die Initiatoren. Dass der vermeintliche Triumph des Neoliberalismus, ein unbegrenztes, primär nur noch vom Markt selbst reguliertes Wirtschaftswachstum viele Menschen zu ängstigen beginnt, fällt spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie auf, einen "Weckruf an die Menschheit, mit Natur und Umwelt anders umzugehen", machte im Mai 2020 der Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) aus, "deshalb müssen wir umdenken und können nicht einfach zur Normalität der Globalisierung zurückkehren".

Problem Armut


Ein Wusch nach regionaleren Strukturen und eine stetig wachsende Sensibilität für den Klimaschutz kommen in vielen Umfragen zum Ausdruck, Populismus und das Gespür einer wachsenden sozialen Ungleichheit machen den meisten Menschen Sorgen. Der im November vorgelegte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, nachdem in diesem reichen Land 15,9 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, wirkte beinahe schockierend. Reiches Land?


"Es eilt nicht nur, es ist allerhöchste Zeit für Veränderungen", sagt Vincent Gewert, er studiert Politikwissenschaften, Philosophie und Nachhaltigkeitswissenschaften und hat ein Jahr auf den Fiji-Inseln gelebt, im Freiwilligendienst bei einem Klimaprojekt einer indigenen Gemeinschaft. "Im globalen Süden geht es schon um Leben und Tod", sagt er. Und in der Arktis passiert bereits, was für frühestens 2070 prognostiziert worden war: Der Permafrostboden taut. Es gibt längst keine vermeintliche sichere Entfernung mehr vom Klimakollaps.

Aus Corona lernen


Leben und Tod. Die Corona-Pandemie, die Globalisierung eines Virus, hat der ganzen Welt gezeigt, wie zerbrechlich sie ist – und auch, wie sich eine Krise bekämpfen lässt, wenn die Gefahr offensichtlich ist und wenn "man bereit ist, auf die Wissenschaft zu hören, Geld zu investieren und auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen", wie Jörg Alt sagt: "Und wenn ein Land die finanzielle und technische Power dafür hat, dann ist das Bayern".


"Ein Exerzitium", formuliert er es, sei die Pandemie für viele auf einmal primär mit sich alleine beschäftigte Menschen, eine mentale Übung. Die Lehren daraus ließen sich nun anwenden auf die Herausforderungen der Zukunft, "die eigentlichen Probleme, die bleiben, wenn Corona vorbei ist". Energiewende, eine Gemeinwohl-Ökonomie, Dezentralisierung: Das, sagt Alt, sind die großen Komplexe, aber er betont noch einmal, dass es "keine spezifischen Forderungen von uns gibt", es gehe "um die besten Ideen und darum, wie man sie umsetzt".

Der Mensch ist sozial


"Braucht es ein Ende des Wachstums? Oder wie, in welchen Formen kann es weitergehen und wo?" Auch das sind Fragen, die sich Jörg Alt stellt, "man kann armen Ländern das Wachstum nicht verbieten", überlegt er, und das führe zur Frage, "wie reiche Länder helfen können".


Die Ahnung, dass der neoliberale Kapitalismus sein schönes Versprechen – Glück und Wohlstand für alle durch stetes Wachstum – nicht einzuhalten in der Lage ist, treibt nicht erst seit Corona eine wachsende Menge von Menschen um, "und der Mensch ist eben anders als der Homo oeconomicus", sagt Alt, "der Mensch ist ein soziales Wesen, unter Druck zeigt sich das besonders".


Das Ende des Kommunismus, der Bedeutungsverlust der Religion in Europa: Nach 1990 sah es lange so aus, als sei die neoliberale kapitalistische Marktwirtschaft die einzig mögliche verbliebene Weltordnung, niemand hat sie so öffentlichkeitswirksam in Frage gestellt wie Papst Franziskus, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Eine "Quelle neuer Formen von Gewalt", sagte der Heilige Vater, wachse daraus; ein Satz des Papstes schreckte auf: "Diese Wirtschaft tötet". Franziskus empfahl für eine Neubesinnung Begegnung, Dialog, tätige Liebe – ganz ähnlich klingt es beim Jesuitenpater Jörg Alt.

"Optimismus eines Christen"


Mit dem "Optimismus eines Christen", sagt Alt, will er seinen "Beitrag zum Wandel leisten" und "Leute zusammenbringen, die sonst vielleicht nicht zusammenfinden würden", und, das nennt er eine Erfahrung, "wenn man nur dreieinhalb bis zehn Prozent der Menschen für ein Anliegen gewinnen kann, kommt ein Wandel in Gang".


Vor Abschluss des Petitionsverfahrens, teilt das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales auf Anfrage mit, könne man "keine Stellungnahme dazu abgeben". Was sie sich wünschen in Nürnberg? "Dass der Landtag die Petition formal annimmt und anerkennt", sagt Vincent Gewert, "dass er sich positioniert und handelt."

Mit Geduld und Beharrlichkeit


Was dann möglich ist, werde sich "vermutlich über Monate, vielleicht auch Jahre" zeigen (dass Vincent Gewert in seinem Faible für Fußball zum 1.FC Nürnberg hält, kann man vielleicht kurz erwähnen, wenn es um die Tugend der Geduld geht). Pater Jörg Alt weiß, dass sich Beharrlichkeit lohnt.

Zur Information: Was kann wer tun? Wie? Und mit wem? In der Serie "Nachhaltig Leben" stellen wir in loser Folge Ideen, Projekte und Initiativen vor, die ökologische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Anstöße für eine nachhaltigere Lebensweise geben. Und wir fragen nach, wie es Kommunen, Unternehmen und andere Institutionen mit der Nachhaltigkeit halten.

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