Wenn bei Oma die Stricknadel glüht

12.9.2014, 01:00 Uhr
Wenn bei Oma die Stricknadel glüht

Doch an eine Wollmütze und selbstgestrickte Socken wollte man als Siebenjähriger nicht denken. Schön waren die warmen Sachen im Rückblick trotzdem, nützlich beim Toben im Schnee und nostalgisch, wenn sie einem heute wieder begegnen. Nur fehlt jetzt vielen die Oma, die an dunklen Winterabenden oder beim Kaffeeklatsch die Nadeln klappern lässt. Und manch tatsächliche Oma hat schon alle Enkel „bestrickt“, oder sie hat niemanden, für den sich das Stricken lohnen würde. Ganz pragmatisch: eine Marktlücke. Sie zu füllen, hat sich die Fürther „Lieblingsoma GmbH“ zur Aufgabe gemacht. Für ihren Internetshop www.MyOma.de sucht sie auch im Gunzenhäuser Raum strickende Rentnerinnen, um der wachsenden Nachfrage an „omagestrickten“ Mützen, Schals und Socken nachzukommen.

Oma Siggi war von Anfang an dabei. Die 66-Jährige erfuhr 2011 durch eine Broschüre von der Geschäftsidee der Fürther PR-Beraterin Verena Röthlingshöfer, die Strickleidenschaft „echter“ Omas mit einem Online-Versandhandel zu verbinden. „Ich habe das Stricken schon als Kind von meiner Oma gelernt“, erzählt sie. Inzwischen seien auch ihre 27-jährige Tochter und die siebenjährige Enkelin „infiziert“.

„Oma Siggi“ heißt eigentlich Sigrid Wiese. Vor drei Jahren ist die ehemalige kaufmännische Angestellte aus dem Steigerwald nach Nürnberg gezogen. Anfangs kam sie in der Großstadt gar nicht zurecht, war selbst mit Kleinigkeiten überfordert. Erstaunlich: Das Stricken für MyOma half ihr mehr als alles andere, Fuß zu fassen, Ängste zu überwinden und Kontakte zu knüpfen. „Öffentliche Verkehrsmittel waren für mich ein Albtraum“, erinnert sich die Rentnerin beispielsweise. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass die U-Bahn auch immer wieder zurück fährt.“

Durch die „Strickkreise“, die My­Oma für ihre Mitarbeiter organisiert, hat Sigrid Wiese außerdem viele neue Freundinnen gewonnen. „Ich hätte nie gedacht, dass mich das Stricken so viel weiter bringen würde“, sagt sie heute. Sie sei viel selbstbewusster geworden, ständig auf Achse und halte sogar Vorträge. „Wenn ich aufgeregt bin, verfalle ich allerdings ins Fränkische. Dann versteht mich keiner mehr“, erzählt sie schmunzelnd.

Nebenverdienst und Aufgabe

Oma Siggi ist ein Musterbeispiel für den Gedanken hinter MyOma. Als „Social Start-up“ hat das Fürther Un­ternehmen durchaus kommerziellen Charakter, will aber zugleich „einen Beitrag für die ältere Generation leisten“, indem es Senioren „eine Aufgabe und sinnvolle Beschäftigung gibt“, so Verena Röthlingshöfer. Die 34-jährige Firmengründerin kennt „ihre Omas“ alle persönlich und weiß, dass für viele angesichts der oft knappen Renten auch der Nebenverdienst eine Rolle spielt. Ein Drittel des Verkaufspreises erhalten die Strickerinnen. Bei einer Mütze sind das zwischen zehn und 20 Euro. Je nach Auftragslage kommen so schon ein paar hundert Euro im Monat zusammen.

Dass die Preise von MyOma nicht mit den Schleuderangeboten aus Billiglohnländern mithalten können, versteht sich von selbst. Dafür leisten die Käufer „einen Beitrag zu einer nachhaltigen Inte­gration älterer Menschen“, so Firmenchefin Verena Röthlingshöfer.

Als billige Arbeitskraft missbraucht fühlt sich Sigrid Wiese nicht. „Diese Frage kommt immer wieder, aber die Bezahlung ist für Handarbeit ganz ordentlich“, sagt sie. „Ich würde ohnehin stricken, und so habe ich ein Ziel, wenn ich morgens aufwache.“ Sie stricke, „weil es mir Spaß macht und die Bestätigung gibt, etwas Schönes und Sinnvolles zu schaffen“, erklärt die 66-Jährige. „Außerdem bleiben so Kopf und Hände fit.“ Vier Stunden am Tag seien das Minimum: „Das brauche ich einfach.“ Wenn sie einmal eine Woche lang nicht stricken könne, „fehlt einfach etwas“.

Insgesamt gehen bei MyOma derzeit 72 Omas und ein strickender Opa ihrer Woll-Lust nach. Auf der Internetseite www.MyOma.de sind sie alle mit Foto und Kurzporträt vertreten – Lissi, Evi, Heidi und Co. Dort erfährt man zum Beispiel, dass Oma Siggi zwei Enkel hat und gern „Buchteln mit Vanillesoße“ backt, oder dass Strick-Opa Klaus Peters (76) früher Leiter einer Marktforschungsabteilung war und mit dem Stricken vor 60 Jahren nach dem Krieg angefangen hat. Bei Facebook haben die strickenden Senioren mittlerweile eine fast 6000-köpfige Fangemeinde.

Unikate von Oma

Wer bei MyOma bestellt, erhält sein handgestricktes Stück in der Regel nach etwa zwei Wochen. Denn auf Vorrat wird nicht gestrickt, und jede Oma kann wählen, was, wie oft und wie schnell sie stricken möchte. Die Firmenzentrale in Fürth verschickt die fertigen Artikel „made by Oma“ dann in hübschen Kartons, denen stets ein handsigniertes Grußkärtchen beiliegt. So wissen die Kunden bei jeder Bestellung, wer ihre „Strick-Oma“ war.

Im Trend liegen derzeit grobmaschige Strickwaren. Im Onlineshop von My­Oma finden sich vor allem dicke Mützen und Schals aus Merino-, Alpaka- und ägyptischer Baumwolle, aber auch Handschuhe, Socken und Pullunder sowie Krawatten, lustige Ponchos und Smartphone-Schützer. Es gibt Wunsch­anfertigungen und Kurioses, wie etwa das „Strickdirndl Rosalie“ oder die winzigen Strickschuhe, die MyOma in Anlehnung an die generationenübergreifend beliebten Freizeitschuhe „Baby-Chucks“ nennt. Die Kollektionen für den bevorstehenden Winter heißen zum Beispiel „Schneestrickchen“, „Strickeria“, „Wollrausch“ oder „Nadelglüh’n“.

Für den geplanten Strickkreis im Raum Weißenburg-Gunzenhausen hat MyOma laut Mitarbeiterin Angela ­Simon bereits einige Interessenten, sucht aber noch weitere (Telefon 0911/­31043021). Sie sollten aus 20 bis 30 Kilometern Umkreis kommen, damit auch der Gemeinschaftsgedanke mit regelmäßigen Treffen nicht zu kurz kommt. Voraussetzung sei, dass die Bewerber in Rente oder tatsächlich Oma beziehungsweise Opa sind. Und stricken sollten sie natürlich können: „Das Probestricken besteht nicht jeder“, weiß „Veteranin“ Sigrid Wiese. Es sei aber „kein Problem, wenn man einigermaßen stricken kann“.

Wenn es nach Oma Siggi ginge, sollte ohnehin „jeder stricken lernen, weil damit auch nach vielen Generationen noch etwas existiert“. Dabei sei die Handarbeit nicht nur Frauensache: „Am besten Knöpfe angenäht hat in unserer Familie mein Vater.“ Als ihren größten Wunsch nennt die 66-Jährige „Gesundheit, damit ich noch lange stricken kann“. Denn wie es bei ­MyOma.de unter „Wissenswertes und Anekdoten“ heißt: „Stricken macht süchtig – auf eine gute Art und Weise.“

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