Im Reich des "Radsherrn": Vom Laufrad bis zum E-Bike

25.6.2017, 21:52 Uhr
Im Reich des

© Archivfoto: Karlheinz Daut

Dort nimmt er seine Besucher auf eine Zeitreise durch 200 Jahre Fahrradgeschichte mit.Das Pärchen aus dem Großraum Nürnberg hatte sich für den Kauf eines Damen- und eines Herrenrades von Hercules gehörig in Unkosten gestürzt. 582.400 Reichsmark weist die Rechnung aus dem Jahr 1923 aus, als Extras stehen unter anderem zwei Torpedo-Freilaufnaben für jeweils 53.000 Reichsmark auf dem Beleg, der die Hyperinflation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg widerspiegelt.

Helmut Walter freut sich immer, wenn ihm die Menschen zusätzlich zu alten Fahrrädern aus ihrem privaten Fundus solche Dokumente und Accessoires überlassen. Kann er dadurch doch jene Zeiten, in denen seine rollenden Schätzchen entstanden, besonders plastisch lebendig werden lassen.

Halterung für Milchkannen

Für das Dienstrad eines Arztes aus Gunzenhausen zum Beispiel präsentiert er eine Bescheinigung der Alliierten aus dem Jahr 1945, die dem Mediziner Patientenbesuche auch während der nächtlichen Ausgangssperre erlaubten. Ein altes Bäckereirad mit einem gewaltigen Transportkorb über dem Vorderrad oder eine Lenkerhalterung für zwei 20-Liter-Milchkannen dokumentieren, dass das Fahrrad einst auch unentbehrliches Transportmittel war.

Entwickelt hat Helmut Walter die Idee zu einem eigenen Fahrradmuseum auf den Touren zu seinem Arbeitsplatz. Jeden Tag, außer bei starkem Schneefall oder Glatteis, legte der gelernte Elektriker die 35 Kilometer von seinem Wohnort Wassermungenau im Landkreis Roth zu seiner Dienststelle bei der N-Ergie in Nürnberg auf dem Fahrrad zurück. "Hin und zurück waren das jeden Tag etwa zweieinhalb Stunden Fahrt, da hat man eine Menge Zeit zum Nachdenken und Pläneschmieden", sagt der drahtige Fahrradliebhaber, der früher auch an Duathlons teilnahm. Mittlerweile ist der "Radsherr", wie sich Walter selbst nennt, in Rente und hat Tausende von Arbeitsstunden in sein kleines Museum investiert. Zunächst präsentierte er seine Stücke im alten Schulhaus in Wassermungenau, das allerdings in einem desolaten Zustand war und ihm nur noch als Depot dient.

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© André Ammer

Inzwischen ist die Sammlung in der Pflugsmühle, einem winzigen Ortsteil von Abenberg (Kreis Roth), zu sehen. In den alten Produktionsräumen einer Bäckerei richtete sich der 64-Jährige sein Refugium ein und nahm für die professionelle Gestaltung der etwa 200 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche auch die Dienste einer Dekorateurin in Anspruch.

"Die hat mir zum Beispiel geraten, Podeste für die Fahrräder zu bauen", erzählt Helmut Walter, der seine Präsentation außerdem mit alten Schaufensterpuppen und Alltagsgegenständen abrundete. So liegt zwischen oder über den Fahrrädern und Fahrradkomponenten auch mal ein alter Groschenroman oder ein Versandkarton von Quelle, während Freddy Quinns "Junge, komm bald wieder" oder Nana Mouskouris "Weiße Rosen aus Athen" für die passende akustische Kulisse sorgen.

Kuriose Schutzblechfiguren

Rund 200 Fahrräder stehen oder hängen im Fahrradmuseum , mehr sollen es laut Walter auch gar nicht sein. "Entscheidend ist nicht die Anzahl der Fahrräder, sondern die Vielfalt", sagt der "Radsherr". Entscheidend für ihn sind auch die Geschichten, die sich um die einzelnen Ausstellungsstücke ranken, und die er gerne an seine Besucher weitergibt.

Eindrucksvoll ist etwa die Vielfalt von Figuren auf den vorderen Schutzblechen, mit denen die Produzenten ihre Erzeugnisse verzierten, die aber in den 1960er Jahren aus Sicherheitsgründen verboten wurden. Die Palette reicht von verschiedenen Tieren, römischen Gottheiten und Sagengestalten bis zu Zeppelinen und Flugzeugen, bei denen sich teilweise sogar die Propeller im Fahrtwind drehten. Vor einigen Jahren wurde Helmut Walter eine Sammlung solcher Schutzblechfiguren angeboten, doch der Preis von 3500 Euro ließ ihn zurückschrecken.

"Heute ärgere ich mich, dass ich damals nicht zugeschlagen habe", sagt der private Museumsdirektor, der für sein teuerstes Exponat, ein Rad aus dem Jahr 1890, immerhin 2000 Euro bezahlt hat. Für den Großteil seiner Stücke wurde nur ein Bruchteil dieser Summe fällig, vieles wird ihm auch geschenkt.

Bei Festen wie dem jährlichen Erntedankfestzug in Fürth zum Beispiel rollt der stilgerecht mit Frack und Zylinder bekleidete "Radsherr" regelmäßig auf einem seiner Hochräder mit und knüpft anschließend häufig wertvolle Kontakte. Dann überlassen ihm die Menschen gerne einen Scheunenfund oder ein Erbstück des Großvaters für ein paar Euro.

In seinem Museum wiederum richtet sich Walter nach den individuellen Interessen seiner Besucher, geht bei technikaffinen Gästen eingehend auf Konstruktionsdetails oder die damals verwendeten Werkstoffe, bei vor allem an der Geschichte interessierten Gruppen mehr auf die historischen Hintergründe ein. "Ich könnte immer stundenlang erzählen", sagt der 64-Jährige und lacht. Für einen Besuch beim "Radsherrn" sollte man also ein wenig Zeit einplanen.

Weitere Informationen unter www.der-radsherr.de — In der nächste Folge unserer Serie geht es um einen fränkischen Ingenieur und seine Vision vom optimalen Alltagsrad.

Technikmuseen in Deutschland

In einer ganzen Reihe von Technikmuseen in Deutschland, unter anderem im Museum Industriekultur in Nürnberg, wird zwar auch dem Fahrrad Platz eingeräumt, doch oftmals gehen die Exponate angesichts größerer und spektakulärerer Ausstellungsstücke ein wenig unter. Es gibt aber auch einige spezielle Präsentationen wie das Deutsche Fahrradmuseum in Bad Brückenau. Die Ausstellung im Kreis Bad Kissingen ist in einer Jugendstil-Villa untergebracht und gilt mit über 230 historischen Fahrrädern als die umfassendste deutsche Fahrradsammlung.

Initiator Ivan Sojc präsentiert auf zwei Etagen die Fahrradgeschichte von den ersten Laufrädern um das Jahr 1820 bis zum modernen E-Bike. Das Angebot wird abgerundet durch interaktive Aktionen wie Kurse im Hochradfahren.

Ein weiteres Fahrradmuseum öffnete vor kurzem im oberpfälzischen Arnschwang (Landkreis Cham). Die Sammlung hat als Schwerpunkt die Entwicklung im 20. Jahrhundert. Außerdem werden Räder aus bayerischer und böhmischer Produktion gegenübergestellt. Damit geht der Förderverein darauf ein, dass das Arnschwanger Museum auch das Produkt einer deutsch-tschechischen Kooperation ist.

Geschichte ist dagegen seit einigen Jahren das Fahrrad- und Brauereimuseum in Zumhaus bei Feuchtwangen. Nachdem der Gründer die Region verlassen hatte, wurde die Sammlung aufgelöst.

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