Rätsel um Motiv

Islamist oder Verwirrter? Was über den Würzburger Messerstecher bekannt ist

26.6.2021, 20:31 Uhr
Würzburg steht nach der Messerattacke unter Schock. Vor dem Kaufhaus, in dem der Mann seine ersten Opfer tötete, stehen mittlerweile unzählige Kerzen. 

© Karl-Josef Hildenbrand, dpa Würzburg steht nach der Messerattacke unter Schock. Vor dem Kaufhaus, in dem der Mann seine ersten Opfer tötete, stehen mittlerweile unzählige Kerzen. 

Es sind nur ein paar Gegenstände, die klären könnten, was Abdirahman J. antrieb. Wahllos und scheinbar im Rausch stach er am Freitag in Würzburg auf jeden ein, der ihm in den Weg kam. Eine Blutspur zieht sich durch die Innenstadt, von einem Kaufhaus, in dem drei Menschen ihr Leben verloren, bis zu einer Sparkassen-Filiale an der Ecke zur Oberthürstraße, wo Dutzende Passanten den mutmaßlichen Täter in die Flucht schlugen. In einem Obdachlosenheim fanden Ermittler das Handy des gebürtigen Somaliers. Dort, westlich des Mains, weit entfernt von der Altstadt, lebte der Mann zuletzt. Auf Schriften seien Hassbotschaften und Propagandamaterial der Terrororganisation IS gefunden worden, berichten mehrere Medien übereinstimmend. Die Polizei bestätigt das nur vage. Die Ermittler sprechen von belastendem Material, das jetzt erst einmal übersetzt werden müsse. War die Messerattacke von Würzburg islamistisch motiviert?

Indizien dafür gibt es, deswegen schließt die Polizei einen religiösen Hintergrund ausdrücklich nicht aus. "Das, was gefunden wurde, muss jetzt ausgewertet werden", sagt Innenminister Joachim Herrmann. Der CSU-Politiker bestätigt auch, dass inzwischen mehrere Zeugen gehört haben wollen, wie Abdirahman J. "Allahu Akbar" rief. Zudem habe der 24-Jährige immer wieder vom "Dschihad", also dem vermeintlich Heiligen Krieg der Weltreligionen, gesprochen. Bewerten will das Herrmann nicht, der Innenminister sagt nur: "Dem muss nachgegangen werden."

Menschen, die den jungen Mann kannten, zeichnen ein differenziertes Bild. "Der Typ ist total unnormal", zitiert das Magazin Focus etwa einen früheren Nachbarn, der an einer Bushaltestelle Bekanntschaft mit Abdirahman J. machte. Er habe nur "totalen Schwachsinn" erzählt, "Sachen wie 'Der russische Präsident verfolgt mich' oder 'Die Deutschen wollen mich töten', völlig krankes Zeug". In der Gegend rund um die Obdachloseunterkunft habe jeder gewusst, "dass er total durchgeknallt ist". Es passt ins Bild, dass er bei der Attacke am Freitag in Würzburg keine Schuhe, dafür aber eine FFP2-Maske trug.

Abdirahman J. landete in der Psychiatrie - Ärzte ließen ihn gehen

Auch die Behörden wussten von den psychischen Problemen des Somaliers. Bereits im Januar 2021 sei es in dem Heim zu einem Streit mit Mitbewohnern und den Verwaltern gekommen - schon hier griff der mutmaßliche Täter von Würzburg zu einem Küchenmesser. Verletzt wurde zwar niemand, bis zum heutigen Tage läuft aber ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung und Beleidigung gegen den 24-Jährigen. Gleich mehrfach wurde Abdirahman J. in psychiatrische Anstalten eingewiesen - etwa nachdem er erst im Juni eine Straße in Würzburg blockiert hatte und zu einem völlig Fremden ins Auto gestiegen war. Ärzte kamen aber zu dem Ergebnis, dass er keine akute Gefahr für sich selbst oder Fremde sei.

War der junge Mann radikalisierter Islamist, psychisch verwirrt - oder beides? Genau das wollen die Ermittler in den kommenden Tagen klären. Inzwischen hat das bayerische Landeskriminalamt den Fall übernommen - weil es sich um eine "Amoklage" gehandelt habe, wie Würzburgs leitender Oberstaatsanwalt Frank Gosselke am Samstag bei einer Pressekonferenz sagte. Ein politisches Motiv und eine psychische Krankheit schließen sich aber nicht aus. "Sie können sich ergänzen - eventuell sogar verstärken", sagte der Terrorismusexperte Peter Neumann der Mainpost. Die entscheidende Frage wird sein, "ob der Täter bei der Ausführung oder Vorbereitung der Tat zurechnungsfähig war".

Der Somalier war legal in Deutschland

Fakt ist hingegen: Abdirahman J. hielt sich zum Zeitpunkt der Tat legal in Deutschland auf. Er stehe unter sogenanntem subsidiärem Schutz, sagte Unterfrankens Polizeipräsident Gerhard Kallert. Er sei am 6. Mai 2015 nach Deutschland eingereist, lebte zwischenzeitlich in Ostdeutschland und wurde am 4. September 2019 als Asylbewerber in Würzburg erfasst. Womöglich beging der Somalier, der wohl in der Hauptstadt Mogadischu geboren wurde, in seiner Heimat schon Straftaten. Entsprechende Hinweise eines anderen Asylbewerbers habe man verfolgt, aber nicht verifizieren können, erklärt Kallert. Damals sei er aber zwölf Jahre alt und nach deutscher Rechtssprechung ohnehin nicht strafmündig gewesen.

Inzwischen sitzt der 24-Jährige in Untersuchungshaft - trotz einer Beinverletzung durch den Schuss eines Polizisten, der seine Messerattacke stoppte. Ihm wird dreifacher Mord, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung in sechs weiteren Fällen sowie eine vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen.