Junges Leben wohnt in alt-ehrwürdiger Mühle

20.8.2011, 08:00 Uhr
Junges Leben wohnt in alt-ehrwürdiger Mühle

© Birgit Herrnleben

Rückblick: Es war einmal eine junge Familie, wir schreiben das Jahr 2000. Der zweite Sohn, Valentin, ist gerade geboren, Vinzenz ist drei Jahre alt. Die Familie lebt in der lauten Großstadt und ist auf der Suche nach einem kleinen Wochenendhäuschen auf dem Land.

Zwei Zimmer, ein holzbefeuerter Ofen, viel Grün drumherum für die Jungs zum Spielen und Toben, mehr braucht es nicht. Zwei Inserate in der Lokalzeitung wecken das Interesse: ein Wochenendhäuschen in Bad Windsheim, ein „Bauernhaus bei Hersbruck“. Der Vermieter aus Bad Windsheim geht nicht ans Telefon, also macht sich die kleine Familie auf in Richtung Hersbruck.

In Oed, einem Weiler in der Gemeinde Weigendorf im Landkreis Amberg-Sulzbach, stehe das Häuschen, sagt der Vermieter. Es ist Oktober. Sanft legen sich die Nebelschwaden übers Land, die Örtchen auf dem Weg dorthin sind wie in Pastellfarben getaucht, buntes Herbstlaub raschelt auf der Straße, die Anfahrt ist malerisch, hier möchte man bleiben.

Viel Eigenleistung

Vor Ort ein Schock: Das vermeintliche „Bauernhaus“ entpuppt sich als stillgelegte heruntergekommene Mühle mit komplettem Inventar und einer voll möblierten, historischen Gaststube im Erdgeschoss noch dazu.

„Das müssen wir retten“ meinte Leonies Ehemann spontan. Also haben sich die Eheleute in zahllosen Stunden durch Archive gewälzt, zwei Jahre lang waren Architekten und Statiker mit den Voruntersuchungen beschäftigt. Schließlich wollte man, mit zwei kleinen Söhnen, auf keine Altlasten wie Quecksilber oder dergleichen bauen.

Enormes Durchhaltevermögen und erstaunlich gute Nerven waren dafür nötig: Mehr als 6000 Stunden haben die Bräutigams in Eigenleistung gebuddelt und gewerkelt. „Bei jeder Tapetenschicht, die im Haus abgelöst wurde, lernt man den Besitzer und auch die Geschichte des Hauses kennen“, erzählt Leonie Bräutigam, als sie von ihrer „persönlichen Ausgrabung“ spricht.

Lebendiger Denkmalschutz sei nur möglich, sagt sie, wenn das Gebäude auch heute noch benutzbar ist. Stilecht haben die Bräutigams das fünfgeschossige Haus renoviert, aus tiefer Überzeugung. Die wunderbaren Holzböden und Treppen sind erhalten, die für die Gegend so typischen Juraplatten als Fußbodenbelag im Erdgeschoss hat Leonie nach langer Internet-Recherche aus einem Krankenhaus-Restbestand in Chemnitz aufgetrieben. Die Moderne macht sich einzig im Mobiliar mit schnörkellosen schwarzen Ledersofas und in der Beleuchtung sichtbar.

Spannende Geschichte

Wie ein steinernes Gedächtnis kommt ihr ihre Mühle manchmal vor, voller Fundstücke, die zahllose Geschichten erzählen. Wie die eines Besuchers der Oedmühle etwa, der während des „Tags der offenen Tür“ still staunend vor einem alten Einbauschrank im Obergeschoss stand: „Hier bin ich geboren“ flüsterte er seiner Frau zu, damals, als in den Nachkriegsjahren die Mühle mehr als 50 Flüchtlingen ein Zuhause gab.

Heute kann Leonie Bräutigam darüber lauthals lachen, dass die Abbruchunternehmer gestanden haben: Wetten hätten sie untereinander abgeschlossen, dass sie bald wieder ausziehen. Doch die Bräutigams haben die weithin sichtbare Mühle, die mit einem historischen roten Anstrich „ihre persönliche Moulin Rouge“ geworden ist, Stein für Stein lieben gelernt. Den Mühlbach, der am Haus vorbeiplätschert, den knapp 4000 Quadratmeter großen Bauerngarten...

Gaststube wird vermietet

Und sie wollen ihr Haus auch mit anderen Menschen teilen und beleben. Sie vermieten die Gaststube und auch das Wochenendhäuschen nebenan an Städter, die ihr persönliches „Bullerbü“ suchen. Und vielleicht lesen die mal in der Abgeschiedenheit der Oed das Märchen von Dornröschen...
 

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