Viele Mittel nicht verfügbar

Medikamentenengpass immer dramatischer - Apothekerin: "Das ist eine Katastrophe"

Eva Orttenburger

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22.12.2022, 05:53 Uhr
Der Medikamentenengpass in Deutschland wird immer dramatischer. Mittlerweile fehlen eine Vielzahl an Arzneien, vor allem gegen Grippe und Erkältungen. (Symbolfoto)

© Bernd Weißbrod, NN Der Medikamentenengpass in Deutschland wird immer dramatischer. Mittlerweile fehlen eine Vielzahl an Arzneien, vor allem gegen Grippe und Erkältungen. (Symbolfoto)

In den deutschen Apotheken fehlt es derzeit an allen Ecken und Enden. Kindersäfte sind seit Monaten nicht verfügbar, auch Ibuprofen und Paracetamol gehen zur Neige. Probleme gibt es auch bei Antibiotika, Blutdrucksenkern, Cholesterinsenkern und Magenschutzmitteln. Auch Halsschmerztabletten und Schleimlöser für Kinder sind kaum noch erhältlich. Und das ausgerechnet in der großen Grippe- und Erkältungswelle, die derzeit durch Deutschland rollt. "Das ist eine Katastrophe", sagt Renate Winkler, Sprecherin des Apothekerverbandes für den Landkreis Roth und selbst Apothekerin.

Viele Hersteller begründen den Mangel damit, dass einzelne Wirkstoffe für die Medikamente nicht verfügbar seien. Hinzu kommen Schwierigkeiten in den Lieferketten, etwa für Verpackungen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat nun "Flohmärkte" für Kindermedikamente vorgeschlagen, um den Engpässen entgegenzuwirken. Die Idee dahinter: Gesunde Bürgerinnen und Bürger sollten Arzneimittel, die sie noch zu Hause haben, an Kranke abgeben. Reinhardt zufolge sollen dafür auch Medikamente in Frage kommen, deren Haltbarkeitsdatum schon überschritten ist.

Apothekerin sieht Medikamenten-"Flohmärkte" kritisch

Renate Winkler hält wenig von diesem Vorschlag, denn die Arzneimittel müssten richtig gelagert werden und marktunabhängig allen Menschen zur Verfügung stehen. Husten- und Fiebersäfte müssen beispielsweise im Kühlschrank gelagert werden und sind nach Anbruch nur eine kurze Zeit haltbar. Zudem könnten Betrüger die "Flohmärkte" nutzen, um mit unwirksamen oder gar schädlichen Mitteln Profit zu machen.

Welchen Aufwand Apotheken haben, um Kunden trotzdem beliefern zu können und was sich bei der Arzneimittelbeschaffung ändern muss, lesen Sie im Hintergrundartikel bei NN.de.

Winklers Kundinnen und Kunden wissen mittlerweile Bescheid, dass viele Medikamente nicht verfügbar sind. Trotzdem reagieren sie "frustriert" auf die angespannte Lage in Deutschland. Der dringende Appell der Apothekerin: Vor den Weihnachtsfeiertagen sollen vor allem ältere Menschen oder chronisch Kranke ihre Hausapotheke überprüfen und sich alle notwendigen Medikamente noch vom Arzt verschreiben lassen. Notdienst-Apotheken dürfen nämlich auch an Feiertagen die Arzneien nur mit Rezept ausgeben.

Wegen Engpass: Darf ich Medikamente aus dem Ausland bestellen?

Versandapotheken im Ausland wären eine Option, doch Privatpersonen dürfen sich eigentlich keine Medikamente aus dem EU-Ausland nach Deutschland liefern lassen. Lediglich aus zwei Ländern, die ähnliche Sicherheitsstandards wie Deutschland haben, ist dies erlaubt: Aus Tschechien dürfen Medikamente und Arzneimittel bestellt werden, die nicht verschreibungspflichtig sind. Aus Schweden dürfen auch Medikamente eingeführt werden, die verschreibungspflichtig sind. Als Nachweis gilt hier ein Online-Rezept (E-Rezept), das sich Kranke von ihrem Arzt ausdrucken oder in die E-Rezept-App als QR-Code übertragen lassen können.

Aus den Niederlanden dürfen nur Medikamente eingeführt werden, die über eine stationäre Präsenz-Apotheke in Deutschland ausgegeben werden. Zudem dürfen Sie sich Medikamente von einer Privatperson aus dem EU-Ausland zuschicken lassen, wenn die Arzneimittel in den entsprechenden Ländern legal verkauft werden. Die Menge darf den persönlichen Bedarf nicht übersteigen. Ob die Krankenkassen den Betrag übernehmen, sollten Sie im Vorfeld abklären. Sie können auch selbst ins Ausland fahren und dort Medikamente kaufen, allerdings dürfen Sie nur eine Menge für etwa drei Monate einführen - den sogenannten Reisebedarf.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat indessen einen Plan vorgelegt, wie er die Situation verbessern will. Unter anderem soll das Angebot wichtiger Arzneimittel besonders für Kinder besser gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Bestimmte Medikamente sollten in Deutschland teurer verkauft werden dürfen, um deren Produktion für Anbieter in Europa attraktiver zu machen. Kritiker werfen dem Minister allerdings vor, dass die Pläne nur langfristig Entlastung bringen könnten und nur wenig die jetzige Lage entschärfen. "Es wird viele Monate dauern, bis die Versorgungssituation besser wird. Wir gehen davon aus, dass die Lieferprobleme auch 2023 anhalten und noch weitere Arzneimittel betroffen sein werden", sagt Thomas Preis vom Apothekerverband Nordrhein-Westfalen der Rheinischen Post.

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