Mordprozess in Regensburg: Das Doppelleben des Christian F.

1.7.2020, 07:34 Uhr
Mordprozess in Regensburg: Das Doppelleben des Christian F.

© Foto: Alexander Auer/dpa

Am 8. September 2013 stieß ein Pilzesammler auf ein Skelett – ein Zufallsfund an einem Sonntag. Fast sieben Jahre später könnte einer der rätselhaftesten bayerischen Kriminalfälle endlich rekonstruiert werden: Es waren die sterblichen Überreste von Maria Baumer, die im Landkreis Regensburg, bei Bernhardswald, entdeckt wurden. Die 26-jährige Maria Baumer war seit Pfingsten 2012 spurlos verschwunden, nur wenige Wochen vor ihrer Hochzeit.

Heute beginnt vor dem Landgericht Regensburg der Mordprozess gegen Christian F., den damaligen Verlobten der jungen Frau. Mit ihm hatte Maria Baumer den Abend des 25. Mai 2012 auf einem Reiterhof in Bernhardswald verbracht, ihm wollte sie am 8. September 2012 ihr Ja-Wort geben.

Was ist damals Ende Mai 2012 passiert? Warum musste Maria Baumer sterben? Wer trägt die Verantwortung für ihren Tod?

Der Angeklagte Christian F., geboren 1984 in Regensburg, führte ein Doppelleben – davon ist der Staatsanwalt überzeugt. Christian F. hatte sich damals in eine andere Frau verliebt. Sie war Patientin in jener Klinik, in der F. als Gesundheits- und Krankenpfleger gearbeitet hatte. Mit ihr wollte er ein neues Leben beginnen, kurz vor der geplanten Hochzeitsfeier mit Maria.

Maria Baumer stand ihm dabei im Weg. F. habe aus niederen Beweggründen gehandelt, seine Verlobte heimtückisch vergiftet und ihren Körper im Wald vergraben – so sieht es der Ankläger.

Seitensprung und Lügen

Treffen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zu, war F.s Verhältnis mit der anderen Frau nicht seine einzige Lüge: Seit Jahren gaukelte Christian F. Freunden und Bekannten vor, Medizin zu studieren – tatsächlich sei er nur ein Angeber und Hochstapler. Das spurlose Verschwinden seiner Verlobten habe ihm den Anlass geliefert, sein angebliches Medizinstudium offiziell abzubrechen.

Mordprozess in Regensburg: Das Doppelleben des Christian F.

© Foto: Polizei Oberpfalz/Regensburg

Christian F. soll ein makabres Schauspiel abgeliefert haben: Er meldete Maria bei der Polizei als vermisst, und trat in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" ungelöst auf. Dort mimte er den verzweifelten Verlobten und gab später den trauernden Witwer.

Rudi Cerne, Moderator der Sendung "Aktenzeichen XY" zeigte sich später öffentlich schockiert: "Dass ein besorgter Verlobter bei uns im Studio Rede und Antwort steht und dann als Verdächtiger hinter Gittern landet, ist mir auch noch nicht passiert."

Begraben im Kreuther Forst?

Tatsächlich geriet Christian F. von Anfang an ins Visier der Ermittler, doch bisher mangelte es an Beweisen. Heute kommen die Erkenntnisse moderner Analyse-Methoden hinzu – und diese Indizien lasten schwer auf dem Angeklagten.

Der Staatsanwalt wirft Christian F. vor, dass er Maria Baumer in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2012 eine tödliche Dosis der Medikamente Lorazepam und Tramadol verabreichte, sie dann in den Kreuther Forst brachte und vergrub.

Das Medikament Lorazepam konnten die Experten an aufbewahrten Haaren und Kleidungsstücken von Maria Baumer nachweisen, wie Staatsanwalt Thomas Rauscher im Dezember 2019 offiziell bekannt gab. Er sagte, dass die Ermittler mit Hilfe neuer technischer Möglichkeiten Beweise entdeckten, "die wir bisher nicht finden konnten". Und so kam Christian F. im Dezember 2019 in Untersuchungshaft – bereits zum zweiten Mal in diesem Fall.

Rückblick: Plötzlich verschwunden

Rückblick: Am 26. Mai 2012 verschwand Maria Baumer, ausgerechnet an dem Tag, an dem sie und ihr künftiger Mann die Einladungen zu ihrer Hochzeitsfeier verschicken wollten, das Paar plante im großen Stil, mit 250 bis 300 Gästen.

Er sei an jenem Morgen joggen gewesen, behauptete Christian F. damals, und als er zurückkam, war Maria plötzlich weg. Später behauptete er, mit ihr noch zweimal telefoniert zu haben, Maria habe von einer für sie nötigen "Auszeit" gesprochen.


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Die Kripo fahndete auf Hochtouren, eine Sonderkommission wurde gegründet und eine lange und aufwändige Suche begann. Polizisten durchkämmten den Wald in der Nähe des Reiterhofes Bernhardswald, die Bevölkerung wurde um Mithilfe gebeten und Fahndungsaufrufe mit einem Foto von Maria Baumer wurden plakatiert.

Damals, im Oktober 2012, kam es auch zu Christian F.s Auftritt im Fernsehen: In der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" hielt er Marias Handy und ihren Verlobungsring in die Fernsehkamera – und sprach mit bebender Stimme: "Ich versuche, ihr durch Wünsche und Gebete Kraft zu schicken." Heute dagegen schweigt der Angeklagte Christian F. zu den Vorwürfen.

In den folgenden Wochen gingen rund 70 Hinweise bei der Polizei ein, so waren etwa zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen überzeugt, dass sie Maria Baumer am Bahnhof von Gevelsberg im südlichen Ruhrgebiet getroffen hatten. Die junge Frau habe von ihrem Plan gesprochen, allein den Jakobsweg zu gehen.

War sie einfach aus ihrem Leben ausgebrochen? Hatte sie sich tatsächlich einfach eine Auszeit genommen, wie ihr Verlobter Christian F. behauptet hatte? Maria Baumer hatte gerade ihr Studium der Geoökologie erfolgreich beendet, sie wollte ihre erste Stelle antreten, die Katholische Landjugendbewegung hatte sie gerade zu ihrer Landesvorsitzenden gewählt, dazu die große Hochzeitsfeier. War sie überfordert?

Späte Trauerfeier

Die Polizei dehnte die Suche aus, nun wurde mit mehrsprachigen Plakaten zwischen Köln und Santiago de Compostela nach Maria Baumer gefahndet. Sachdienliche Hinweise sollten mit 5000 Euro belohnt werden. Der nächste Tipp führte die Ermittler nach Norddeutschland, auch dort wollten Zeugen die Frau gesehen haben. Wie heute bekannt ist, lag die Leiche Baumers zu dieser Zeit im Wald. Der Täter hatte ihre sterblichen Überreste mit Anhydritbinder und Branntkalk überschüttet – um Spuren zu verschleiern, und die Identifizierung der Toten zu verhindern, wie der Ankläger vermutet.

Nach der Untersuchung des Leichnams durch die Erlanger Rechtsmedizin durfte die Familie Baumer am 21. September 2013 in ihrer Heimat Muschenried im Kreis Schwandorf endlich zur Trauerfeier laden.

Christian F. konnte nicht teilnehmen: Er wurde kurz nach dem Fund als dringend tatverdächtig verhaftet, bis November 2013 saß er in U-Haft in der JVA Straubing, zu den Vorwürfen schwieg er, mangels Beweisen kam er wieder frei.

"Der perfekte Mord"

Strafverteidiger Michael Haizmann holte Christian F. damals aus der Untersuchungshaft – F. lässt sich heute wieder von Haizmann sowie von Johannes Büttner und Michael Euler vertreten.

Doch beim Stichwort "Lorazepam" dürften auch die Anwälte zucken: Denn Christian F. hat Lorazepam schon einmal für ein Verbrechen missbraucht. Als die Polizei im September 2013 F.s Wohnung durchsuchte, stellten die Ermittler Bilder und Videos mit Kinderpornografie sicher, dazu Bilder, die sexuelle Handlungen zwischen F. und einem 13-jährigen Schüler des Domspatzen-Gymnasiums zeigen.


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Im Prozess gestand F. die Übergriffe und räumte zudem ein, dass er im April 2014 eine Patientin zu Hause besucht und ihr Lorazepam in den Tee gemischt hatte. Sie gab später an, sich wie "nach einer Narkose" gefühlt zu haben. Ein sexueller Übergriff konnte nicht nachgewiesen werden. Die Polizei hatte F. zu dieser Zeit observiert und brachte die Frau ins Krankenhaus.

Internetsuche nach Tötungsmethoden

Mitte Dezember 2016 wurde F. wegen sexuellen Missbrauchs und Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Ist er auch ein Mörder? Seit 14. Mai 2012 recherchierte er im Internet zu Tötungsmethoden, und gab Suchbegriffe wie "Lorazepam letale Dosis" und "der perfekte Mord" ein, so die Anklage.

Wird es im Landgericht Regensburg unter dem Vorsitzenden Richter Michael Hammer nun gelingen, zu rekonstruieren, was damals passierte? Bis Anfang Oktober sind 25 Verhandlungstage angesetzt, geladen sind 64 Zeugen und 19 Gutachter – gefragt sind ihre Kenntnisse aus Sachgebieten wie Rechtsmedizin, Molekularbiologie, Mineralogie, Chemie und Toxikologie, Botanik und Umweltchemie. Gehört werden auch IT-Spezialisten, die F.s Computer unter die Lupe genommen haben.