Nahverkehr in Sorge: Erneute Fahrgastverluste durch Lockdown?

3.11.2020, 15:31 Uhr
Wie sich der erneute Lockdown auf den Öffentlichen Nahverkehr auswirken wird, ist aktuell schwierig zu sagen. Aber es ist mit einem Rückgang der Fahrgäste zu rechnen.

© André De Geare Wie sich der erneute Lockdown auf den Öffentlichen Nahverkehr auswirken wird, ist aktuell schwierig zu sagen. Aber es ist mit einem Rückgang der Fahrgäste zu rechnen.

Prognosen wagt beim Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) niemand. Fest stehen bislang nur die diesjährigen Umsatzrückgänge bis zum Zeitpunkt des erneuten Teil-Lockdowns, die VGN-Sprecher Manfred Rupp mit 60,5 Millionen Euro beziffert.

Aber wie sich der nun wieder heruntergefahrene Alltag auf die Bilanz auswirken wird, lässt sich laut Rupp schlicht nicht vorhersehen. "Das hat uns überrollt." Was passiert, wenn nun wieder viele Arbeitnehmer im Homeoffice bleiben, der Sport- und Kulturbetrieb ruht, kaum Freizeitverkehr stattfindet und weiterhin die Touristen und Gelegenheitskunden wegen fehlender Veranstaltungen fehlen, sei aktuell nicht berechenbar. Und schon gar nicht, wie sich am Ende die Corona-Pandemie auf das Mobilitätsverhalten der Menschen auswirken könnte.

Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts wurde deutschlandweit der gesamte Eisenbahn-Nahverkehr einschließlich der S-Bahnen im zweiten Quartal von 59 Prozent weniger Menschen genutzt. Beim Liniennahverkehr mit Bussen war es ein Minus von 36 Prozent und für Straßenbahnen, zu denen Stadtbahnen, Hoch- und U-Bahnen sowie Schwebebahnen zählen, von mindestens 41 Prozent.

Leichte Erholung

Es sei davon auszugehen, dass die Zahlen die tatsächliche Situation nicht vollständig abbildeten - unter anderem, weil viele Pendler Zeitkarten besitzen, deren tatsächliche Nutzung unklar sei, so das Bundesamt in Wiesbaden. Mitte Oktober lag die Auslastung der Busse und Bahnen nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) im Schnitt wieder bei rund 70 Prozent des Vorjahresniveaus.

Mit einer großangelegten Kampagne warben Verkehrsunternehmen und -verbünde mit Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums und der Länder für den "Wiedereinstieg" in Bus und Bahn. Doch von steigenden Fahrgastzahlen ist in den nächsten Wochen nicht auszugehen. Bei vielen ist die Verunsicherung groß, auch wenn es keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Ansteckungsrisiko im ÖPNV gibt und viel in Hygienemaßnahmen investiert wurde.

"Die konkreten Auswirkungen der Corona-Beschränkungen ab 2. November 2020 sind derzeit nicht abschätzbar", heißt es auch aus dem Bayerischen Verkehrsministerium. "Nachdem Bund und Länder aber alle Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen haben, auf private Reisen zu verzichten, zahlreiche Veranstaltungen ausfallen werden, Freizeiteinrichtungen geschlossen werden und Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wo möglich Heimarbeit ermöglichen sollen, ist mit einem Rückgang der Fahrgastzahlen im ÖPNV zu rechnen", so ein Sprecher.

Kein neuer Rettungsschirm

Um die finanziellen Einbußen abzufedern, wurde im September vom Freistaat beschlossen, zusätzlich zu den 381 Millionen Euro, die aus dem ÖPNV-Rettungsschirm des Bundes nach Bayern fließen, Landesmittel in Höhe von 255 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Eine Aufstockung ist derzeit nicht geplant, auch wenn der Betrieb im November trotz der Einschränkungen des Alltags normal weiterlaufen soll. "Auf Grundlage der aktuellen Erkenntnisse sind die bereits zur Verfügung gestellten Mittel aktuell ausreichend", so der Sprecher.

Bislang seien bereits Gelder in Höhe von über 231 Millionen Euro ausgezahlt worden, davon 101 Millionen Euro für den allgemeinen ÖPNV und 130 Millionen Euro für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Dass der ÖPNV-Rettungsschirm des Bundes in Höhe von 2,5 Milliarden Euro am Ende ausreichen wird, bezweifelt beispielsweise der Interessensverband der privaten Eisenbahnunternehmen Mofair.

"Was wir sicher wissen, ist, dass am 31. Dezember nicht alles gut ist", so Geschäftsführer Matthias Stoffregen. Jetzt müsse die Debatte geführt werden, wie die Zukunft des Schienenpersonennahverkehrs insgesamt gesichert werden kann, der einmal das Rückgrat der Verkehrswende sein soll.

Geringe Margen

Zumal die Konkurrenten der Deutschen Bahn im SPNV nicht erst seit der Corona-Krise ein Problem haben. 1996 fiel das Monopol der DB, seither konnten Wettbewerber wie Agilis, Go Ahead, Abellio, Transdev oder Keolis viele Ausschreibungen für sich gewinnen – vor allem über auf Kante genähte Angebote.

Dazu kamen in den letzten Jahren Personalkostensteigerungen durch neue Tarifverträge, Ärger mit verzögerten Fahrzeugauslieferungen und mit den vielen Baustellen im Netz, die zu Verspätungen, Ausfällen und damit Strafzahlungen an die Aufgabenträger geführt haben.

Entsprechend angespannt sei teilweise die wirtschaftliche Lage bei den Unternehmen, so Stoffregen. Der Staatskonzern Deutsche Bahn AG und damit auch seine Nahverkehrstochter DB Regio käme hingegen alleine "aufgrund der schieren Größe" besser mit einer solchen Situation zurecht, so Stoffregen.

Noch deutlicher wird der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert. Um einzelne SPNV-Betreiber stehe es "übel", die ersten würden bereits über einen Rückzug aus dem deutschen SPNV-Markt nachdenken. In diesem Zusammenhang fordert er wie auch Stoffregen einzelne Bundesländer wie Bayern auf, in einem ersten Schritt zumindest die Corona-Schäden nicht nur zu 90, sondern tatsächlich zu 100 Prozent auszugleichen.

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