Die Handgranate in der Spielzeugkiste

31.3.2013, 07:00 Uhr
Die Handgranate in der Spielzeugkiste

© André De Geare

Eine Kostprobe aus seinem in Arbeit befindlichen Buch über Neumarkt zwischen 1945 und 1949 bekamen die Zuhörer beim Vortrag von Hans Georg Hirn. Der Referent berichtete im Rahmen der Projektwochen „Lass die Vergangenheit ruhn!?“ über die Einnahme und Zerstörung Neumarkts bei Kriegsende 1945.

Die Handgranate in der Spielzeugkiste

© privat

Der große Saal des Johanneszentrums war bis auf den letzten Platz besetzt. Und es war nicht allein die Kriegsgeneration da. „Mich hat es gefreut, dass auch junge Leute hier waren“, sagte der pensionierte Studiendirektor und passionierte Historiker.

Hirn förderte manches Unbekannte zutage und sprach mit vielen Zeitzeugen oder deren Nachkommen.

Eineinhalb Stunden fesselte Hirn seine Zuhörer, darunter auch den früheren Redaktionsleiter der Neumarkter Nachrichten, Rainer Krüninger. Dieser ging als junger Journalist den Endkämpfen um Neumarkt auf die Spur, sammelte über Jahre hinweg Material, das der Historische Verein in der Reihe der „Neumarkter Historischen Beiträge“ veröffentlichte.

Die Neumarkter, so Hirn, glaubten trotz der vielen Fliegeralarme, dass ihre Stadt verschont bliebe. Die hiesige Feuerwehr, darunter viele junge Frauen des Bundes deutscher Mädel (BdM), mussten in Nürnberg Brände löschen. Die Männer waren großenteils im Krieg.

Nur Ruinen blieben übrig

In drei Wellen mussten die Neumarkter dann im Februar und April 1945 miterleben, wie von ihrer Heimatstadt Ruinen und Staub übrig blieben. Karl Gmelch, der Fahrer des Landrats Fritz Greim, führte penibel Buch über die Fliegeralarme. Zwischen 20. und 23. Februar 1945 war das Notizbuch randvoll. Ziel der 74 US-Bomber war am 23. Februar der Bahnhof. Die Gleisanlagen und die benachbarten Industriebetriebe wurden zerstört. Hirn konnte dazu auch seinen früheren Mitschüler Klaus Burkheiser, den Sohn des damaligen Stadtwerke-Direktors, befragen. In einem Bunker wurden allein 90 Russen getötet. Am Bahnhof spielten sich dramatische Szenen ab. Zwei Züge waren abgestellt, darunter ein Lazarettzug und ein Zug mit Familienangehörigen von ungarischen Pfeilkreuzlern, die als fanatische SSler galten.

Rund 400 Personen fanden den Tod, darunter 22 Neumarkter. Hirn sprach darüber mit Engelbert Kellerer, der am Bahnhof arbeitete, und dem 2012 verstorbenen Richard Knerler, der die Verstümmelten oder Toten aus dem vor dem Bahnhof befindlichen Splittergraben ausbuddeln musste. „In Neumarkt herrschte große Trauer und die Angst ging um“, schilderte Hirn die psychische Verfassung der Einheimischen.

Die Gleise waren schnell geflickt und der Verkehr rollte wieder. Daraufhin wollten die Amerikaner ein zweites Mal den Schienenstrang unterbrechen. Bahnhofsvorstand Ludwig Kirchinger listete für seine vorgesetzte Dienststelle die Zerstörungen auf. Am 11. April wurde statt des Bahnhofs die Altstadt getroffen. Durch die Detonation kam der Kirchturm von St. Johannes ins Schwanken und die Glocken begannen von selbst zu läuten. Ein makabres Zeichen für das, was noch kommen sollte.

Flucht in den Wald

Die Neumarkter flohen kurz vor dem Angriff in die Wälder, darunter den Heiligenwald zwischen dem Kloster St. Josef und Höhenberg. Auch der vierjährige Hans Hirn war mit seiner Mutter dabei. „Mama, jetzt legen wir uns hin“, forderte der kleine Hans instinktiv seine Mutter auf. Wie durch ein Wunder blieben beide unversehrt. „Mein Mäntelchen war auf einem Baumwipfel. Das Fahrrad der Mutter wurde von einem Baum getroffen und die Handtasche der Mutter mit den Lebensmittelmarken darin war verschwunden. Ein Pole blieb an der Schlaufe hängen und brachte die Tasche meiner Mutter“, so Hirn. Als junger Bub hat er Sanitäter mit Toten und Verletzten gesehen. „Ein Bild, das ich nie vergessen werde.“

Acht US-Piloten waren im Neumarkter Gefängnis neben dem Pfalzgrafenschloss eingesperrt. Die Gestapo wollte sie erschießen, doch Gefängniswärter Alois Schmid protestierte massiv. Als die Hofkirche beim Angriff brannte, halfen die Piloten beim Löschen. „Wenn es um neue Straßenbenennungen geht, sollte man Alois Schmid berücksichtigen für sein großartiges menschliches Verhalten“, meinte Hirn.

Mutige Neumarkter

Zu den weiteren Mutigen gehörte Chefarzt Fritz Kraus, der am 21. April 1945 mit einem Flugblatt zum Kampfkommandanten Walter Nestler rannte, die Kämpfe am 19. und 20. April 1945 doch zu beenden. Doch es half nichts.

Nur 48 von 573 Gebäuden in der Altstadt blieben nach offizieller Zählung unversehrt. Die Stadt wurde drei Tage lang zur Plünderung freigegeben. Die in Neumarkt beschäftigten Zwangsarbeiter aus Russland und Polen bedienten sich, doch auch etliche Neumarkter suchten bei ihren Nachbarn nach Verwertbarem.

„Aber auch Bauern mit Kuhwagen kamen aus der Umgebung“, schilderte Hirn. Hirns Elternhaus in der Schweningerstraße wurde total durchwühlt und die US-Soldaten lebten ihre Wut aus. „In meiner Spielkiste fand ich eine Eierhandgranate“, berichtete Hirn über das seltsame „Geschenk“, das die Mutter sofort aus dem Fenster warf.

Für US-Kommandeur Charles Ziegler bestand die vordringlichste Aufgabe darin, die öffentliche Ordnung halbwegs wieder herzustellen. Mit der Bestellung des Oberbürgermeisters gab es Probleme. Max Auer von der SPD blieb es nur kurze Zeit, man entdeckte in seiner Vita NSDAP-Zugehörigkeit. Der frühere Bürgermeister Georg Weidner amtierte bis 1. September 1945. Dann kam Theo Betz zum Zuge, den Ludwig Heigl empfahl. „Er wurde dann der personifizierte Motor des Wiederaufbaus“, schloss Hirn seine mit großem Ernst aufgenommenen Ausführungen.

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