Gegen das Vergessen aufpoliert: Stolpersteine in Neumarkt und Sulzbürg

9.11.2020, 09:42 Uhr
In den Tagen vor dem 9. November haben in Neumarkt Helfer der Initiative Stolpersteine die verlegten Exemplare aufpoliert, damit sie von den Passanten wieder besser gesehen werden.

© Foto: Wolfgang Fellner In den Tagen vor dem 9. November haben in Neumarkt Helfer der Initiative Stolpersteine die verlegten Exemplare aufpoliert, damit sie von den Passanten wieder besser gesehen werden.

Als am 9. November 1938 in Deutschland die Synagogen brannten: Da stürmten auch Neumarkter das Bethaus ihrer jüdischen Mitbürger und plünderten es. Die Synagoge wurde verwüstet, die Inneneinrichtung zertrümmert, die Thorarollen zerstört.

Die Schulräume und die Wohnungen im Obergeschoss wurden ebenfalls verwüstet und geplündert. Josef Neustädter, der dort wohnte, wurde so brutal geschlagen, dass ihm laut Augenzeugenbericht "das Blut wie eine Fontäne aus dem Kopf spritzte". Er kam in Schutzhaft ins Neumarkter Gefängnis, das neben dem Schloß am Hofplan war. Nach drei Tagen wurden die "arbeitsfähigen" jüdischen Neumarkter, darunter auch der schwer verletzte Josef Neustädter, der Gestapo in Regensburg überstellt, von dort ins Konzentrationslager nach Dachau verschleppt. Im Sommer 1942 deportierten die Nazis die letzten, noch verbliebenen Juden aus Neumarkt.


Gelähmte Jüdin wurde in Heilanstalt ermordet


Dass heute wieder an das Schicksal dieser Neumarkter erinnert wird, darum hat sich die Initiative Stolpersteine verdient gemacht. Die Stolpersteine sind ein Kunstprojekt von Gunter Demnig, er verlegt sie seit 1996 in Deutschland und im europäischen Ausland. 2015 schloss sich in Neumarkt ein interessierter Kreis an Bürgern zusammen, der sich erfolgreich für Verlegungen in Neumarkt und Sulzbürg engagierte.

Besuch war der Auslöser

Auslöser war der Besuch von David Neustädter und seiner Kinder in Sulzbürg bei Heide Inhetveen, eine der Sprecherinnen der Initiative. Damals keimte in ihr die Idee, sich des Themas anzunehmen. Mit dabei auch der verstorbene Hans Georg Hirn, der grundlegend über die Juden in Neumarkt und Sulzbürg geforscht hat.


"Stolpersteine" erinnern an ermordete Juden im Landkreis


Blank poliert: Diese Steine liegen in der Stephanstraße in Neumarkt.

Blank poliert: Diese Steine liegen in der Stephanstraße in Neumarkt. © Foto: Wolfgang Fellner

Und mit an Bord: Ein P-Seminar des Ostendorfer Gymnasiums; das OG fühlt sich der jüdischen Geschichte Neumarkts besonders verbunden, Ernst Haas, der einzige jüdische Neumarkter, der das KZ überlebt hatte, war dort ebenso ein gern gesehener Gast wie Hans Rosenfeld, dessen Eltern rechtzeitig aus Neumarkt geflüchtet waren.

Die erste Verlegung war bereits ein Jahr später: Vor dem Haus an der Oberen Marktstraße 5 finden sich die ersten der fünf Pflastersteine. Auf ihnen sind die Namen und Daten von fünf früheren Hausbewohnern eingraviert, der Kolonialwarenhändler Emanuel Hahn, seine Kinder Edith Regina, Anneliese und Max sowie sein Bruder Julius Hahn. Sie wurden 1944 deportiert und in den NS-Todeslagern ermordet.

Einen weiteren Stolperstein setzte Gunter Demnig damals auch in Sulzbürg vor dem Gebäude, in dem die Synagoge einst war. Das Haus wurde in der Reichspogromnacht 1938 von der SA verwüstet und wenig später zu einem Wohnhaus umgebaut. Seit Juli 2018 erinnern Stolpersteine an die Familie Freising, die auch in Sulzbürg zuhause war: An Simon Freising, geboren 1857, der 1940 in das jüdische Altersheim in Regensburg gebracht wurde und am 19. Januar 1941 starb. Und an Thekla Freising, Jahrgang 1900, die 1940 gezwungenermaßen nach Nürnberg zog und 1942 in das KZ Izbica deportiert und dort ermordet wurde. Ebenfalls seit 2018, verlegt im Oktober, erinnern Stolpersteine in Sulzbürg an Rebekka Weil, ihren Sohn Leopold und dessen Frau Bertha. Sie kamen in Auschwitz und Theresienstadt um. Ihrem Sohn Lazarus gelang die Flucht in die USA, das Schicksal der deportierten Tochter Cäcilie ist unbekannt.

Bewegende Momente

Nach der Verlegung in Sulzbürg fuhr Gunter Demnig seinerzeit weiter nach Neumarkt: Am Oberen Markt 39 führte Semi Haas einst sein Geschäft. Semi Haas, seine Frau Frieda und seine Tochter Ilse wurden in Lagern in Riga und Stutthof ermordet. Sohn Walter kam mit einem Kindertransport nach Amerika. Der zwei Jahre ältere Ernest überlebte KZ und Todesmarsch, wurde von der russischen Armee in Rieben befreit und emigrierte in die Staaten.

Blinken wieder in der Herbstsonne: Die Stolpersteine der Familie Haas.

Blinken wieder in der Herbstsonne: Die Stolpersteine der Familie Haas. © Foto: Wolfgang Fellner

"Jahrzehntelang erinnerte sich niemand an diese Familie und dann geschah Wunder über Wunder und heute gibt es in Neumarkt die Stolpersteine", sagte seine Frau Myrna bei der Verlegung gerührt. Ernest Haas war im Jahr zuvor gestorben. "Vergessen Sie niemals dieses Familie", sagte Myrna Haas, die mit ihren Söhnen den Kaddish sprach.

Weitere Stolpersteine finden sich in der Bahnhofstraße 13, wo der Viehhändler Kurt Baruch mit seiner Frau Henriette und Sohn Herrmann lebte; alle drei wurden 1942 im KZ Piaski im damals von Deutschland besetzten Polen ermordet.


Weitere Stolpersteine in Neumarkt und Sulzbürg verlegt


Weitere vier Stolpersteine sind um die Ecke in der Stephanstraße 17. Hier wohnte Semis Vater Seligmann Haas, Albert Haas sowie Leopold und Rosa Löw. Leopold Löw starb im Frühjahr 1939 an den Folgen einer schweren Misshandlung in der Pogromnacht, seine Frau wurde aus Theresienstadt befreit. In der Bahnhofstraße 13 erinnern Steine an Kurt, Helene Henriette und Hermann Baruch.

Insgesamt, sagt Gertud Heßlinger, 2. Bürgermeisterin von Neumarkt und ebenfalls Sprecherin der Initiative, liegen in Neumarkt inzwischen 27 Stolpersteine, in Sulzbürg zehn. Für heuer war die Verlegung weiterer Steine geplant, fünf sollten es in Neumarkt sein. Doch die Corona-Kirse hat der Initiative einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Steine sind schon da

Dieser Stein erinnert an die frühere jüdische Synagoge in Sulzbürg.

Dieser Stein erinnert an die frühere jüdische Synagoge in Sulzbürg. © Foto: Wolfgang Fellner

Die Steine sind schon in Neumarkt, verrät Heide Inhetveen, doch das für die Zeremonie notwendige Hygiene-Konzept sei so aufwendig gewesen, dass alles um ein Jahr verschoben wird. Zumal Angehörige aus Israel dazu kommen wollen. Doch die waren erst im Lockdown gefangen, und als der in Israel aufgehoben wurde, gab es den in Deutschland. Mit Frank Präger hat Heide Inhetveen zu den Familien Neustädter und Archenhold recherchiert.

Doch nicht nur die Verlegung ist geplatzt: Auch eine bereits vorbereitete Reise auf jüdischen Spuren ins tschechische Sušice liegt derzeit auf Eis. Angedacht ist zudem eine Partnerschaft mit einer Kleinstadt in Tschechien oder Israel.

Losgelöst vom Lockdown läuft die Forschungsarbeit in den Archiven; für 2022 sind weitere Verlegungen geplant. Dazu müssen erst einmal die Grunddaten für die Steine zusammengetragen werden. Und es braucht Spender oder Paten, die der Initiative unter die Arme greifen.


Neun weitere Stolpersteine erinnern und mahnen


Nicht viel gekostet hat dagegen eine kleine Aktion der Initiative in den Tagen vor dem 9. November: Helfer machten sich auf, um die bereits verlegten Stolpersteine in Neumarkt und Sulzbürg wieder auf zu polieren. Dazu nötig waren lediglich Zitronen, mit denen die Messingschilder ordentlich abgerieben wurden. Damit sie besser ins Auge stechen, wenn Passanten vorbei gehen. Und sie daran erinnern, was einmal war, nie wieder sein wird und nie wieder geschehen darf.

Initiative Stolpersteine für Neumarkt und Sulzbürg, Kontodaten: Ev. Kreditgenossenschaft Kassel, IBAN DE33 5206 0410 0201 5010 03, BiIC GENODEF1EK, Stichwort: Stolpersteine Neumarkt/Sulzbürg

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