In Neumarkt brannten Bücher früher als im übrigen Reich

10.3.2013, 07:00 Uhr
In Neumarkt brannten Bücher früher als im übrigen Reich

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Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler riss sich die NSDAP Zug um Zug die Schaltstellen der Macht im Reich unter den Nagel. In Neumarkt, wo weiterhin die Bayerische Volkspartei den Bürgermeister stellte, ließen sich die Nazis mit der Machtübernahme noch etwas Zeit. Zumindest oberflächlich: Im Hintergrund wurde die Gleichschaltung freilich schon vorbereitet, und Repressalien gegen politische Gegner ließen auch nicht lange auf sich warten.

In Neumarkt brannten Bücher früher als im übrigen Reich

Als erste gerieten die Neumarkter Kommunisten ins Visier. Schon Anfang Februar bekamen sie Besuch von der Nürnberger Polizei, die bei einer Razzia in Neumarkt rund 30 Wohnungen durchsuchte. Die KPD hatte zuvor in einem Flugblatt zum Kampf gegen Hitler aufgerufen.

Den Brand des Reichstags am 27. Februar – die Hintergründe sind bis heute nicht eindeutig geklärt – gossen die Nazis flugs in die „Reichstagsbrandverordnung“, das gesetzliche Okay für offenen Terror gegen die Kommunisten. Nicht nur die SA, auch die Neumarkter Polizei beteiligte sich als Handlanger der neuen Machthaber an den Übergriffen.

Nach dem Krieg berichtete Wolfgang Wein, wie er an einem Märzmorgen des Jahres 1933 aus dem Bett geholt und aus dem Haus getrieben wurde. In der Nähe des Schlossweihers schlugen ihn die Polizisten zusammen. „In halb bewusstlosem Zustande wurde ich dann zur Polizeiwache geschleppt und in eine dunkle Zelle geworfen.“

Dann sei der Kommissar Berschneider „mit den andern beiden Henkern“ erschienen und habe ihn in eine andere Zelle schmeißen lassen. Auf nacktem Betonboden „aufrecht stehend mit seitwärts nach oben gestreckten Armen wurde ich die halbe Nacht von früh 1 Uhr bis morgens 8 Uhr in Handschellen hängend dort belassen. Es waren qualvolle Schmerzen“.

In der benachbarten Wirtschaft soll man Weins Schreie und Hilferufe gehört haben. „Ich wurde dann von den Henkern entlassen, ging dann sofort zu dem jüdischen Arzt Doktor Godlewsky in Behandlung. Der Herr Doktor stellte schwere Körperverletzung fest und sagte: ‚Stellen sie sofort Strafantrag.‘“ Fragt sich nur, wo? (Quelle: Markus Urban, Katrin Kasparek, „Neumarkt i.d.OPf. im Nationalsozialismus 1933-1945“, Sandberg Verlag, 2010.)

In den Tagen vor der Reichstagswahl am 5. März machen die Anhänger der Bayerischen Volkspartei BVP noch einmal mit kämpferischen Reden Front gegen die Nationalsozialisten. Nun setzen auch SA und SS ihre Kolonnen in Marsch. Nach einer Machtdemonstration in Berg folgt am Tag vor der Wahl der Aufmarsch von rund 250 SA- und SS-Leuten in Neumarkt. Am selben Abend ziehen ein letztes Mal Angehörige der republikanischen „Eisernen Front“ durch die Stadt.

Die Wahl endet für die Neumarkter NSDAP mit einer Enttäuschung. Die BVP bleibt mit 37,8 Prozent stärkste Partei in der Stadt, die Hitler-Partei kam nur auf 33,5 (reichsweit 43,9), die SPD auf 15,6, die KPD auf 8,2 Prozent. Als dann am 9. März aber das Münchner Rathaus und die Bayerische Staatsregierung in die Hände der Nazis fallen, sieht sich auch die Neumarkter SA bemüßigt, die Hakenkreuzfahne am Neumarkter Rathaus zu hissen. Mit dem Horst-Wessel-Lied auf den Lippen und brennenden Fackeln in den Händen ziehen die Braunhemden über die Marktstraße.

Brutale Schlägertruppe

Am 10. März holt die SA zum ersten großen Schlag die noch nicht gleichgeschaltete Presse aus. Vornehmliches Ziel der Angriffe ist der Inhaber des katholischkonservativen Tagblattes, Josef Matthäus Boegl. Doch genießt der ehemalige BVP-Stadtrat hohes Ansehen in Neumarkt. Deshalb holen sich der örtliche NSDAP-Vorsitzende Johann Dotzer und der Neumarkter SA-Chef Erb lieber Verstärkung aus Altdorf und Feucht.

Altdorf ist in diesen Jahren eine regionale Hochburg der Braunen. Dort hat sich 1926 die erste Ortsgruppe der Partei im Bezirk Nürnberg gegründet. Der große Rädelsführer ist hier der Lehrer Robert Bergmann, der für die NSDAP im Reichstag sitzt, Ende 1933 zum SS-Gruppenführer befördert wird und als Adjutant von SA-Stabschef Ernst Röhm beim so genannten „Röhmputsch“ im Sommer 1934 nur knapp dem Erschießungskommando entkommen wird.

Angeführt vom Zahnarzt Dr. Georg Molitor entwickelt sich die Altdorfer SA schnell zu einer gefürchteten Schlägertruppe, die sich kaum eine Straßenschlacht, kaum eine Saalrauferei in der Umgebung entgehen lässt. Schon bei den Novemberwahlen von 1932 treten die Altdorfer in Neumarkt martialisch auf: „Auf dem Marsch durch Neumarkt hat sich die Kommune wie toll gebärdet", schildert Molitor diesen Wahlkampfauftritt später in einem NS-Blatt. „Mit unseren Fackeln aber haben wir sie gelehrt, sich gesittet zu benehmen.“

In seinem Buch über die Nazizeit in Neumarkt schildert Markus Urban die Vorfälle am 10. März 1933 wie folgt: „Mit Gewehren (umstellten) bewaffnete SA-Abordnungen, die per Lkw aus Feucht und Altdorf angefahren worden waren, die Redaktion des Neumarkter Tagblatts, um eine Durchsuchung durchzuführen. Der Inhaber (...) Josef Matthäus Boegl wurde mit seiner Familie mit vorgehaltener Waffe bedroht (...) Während die SA-Leute bei Boegl nicht fündig wurden, beschlagnahmten sie im Gewerkschaftshaus, in der Buchhandlung Holland sowie im Kiosk des Sozialdemokraten Josef Geiß Zeitungen und Bücher. Diese wurden vor dem Rathaus übereinandergeworfen, mit Benzin übergossen und zusammen mit schwarz-rot-goldenen Fahnen der Republik, die bei den Neumarkter Behörden konfisziert worden waren, demonstrativ verbrannt.“

Somit ereignet sich im kleinen Neumarkt, der Heimatstadt von Hitlermentor Dietrich Eckart, schon zwei Monate vor den reichsweiten Bücherverbrennungen eine jener „Aktionen wider den undeutschen Geist“. Rufe wie „Verbrennt doch die schwarze und rote Brut auch!“ sind wie ein Fanal der nun einsetzenden Verhaftungswelle. Betroffen sind neben den Kommunisten auch Mitglieder von SPD und Reichsbanner, die massiv eingeschüchtert und nach einigen Tagen wieder freigelassen werden.

Juden in „Schutzhaft“

Auch Juden werden in Schutzhaft genommen. Salomon, Josef und Siegmund Neustädter sitzen bis zum 18. Mai in den Zellen des Amtsgerichts. In den folgenden Jahren werden Sozialdemokraten und andere Nazigegner aus Neumarkt als „Schutzhäftlinge“ ins KZ Dachau verschleppt.

Wo sie in Reihen der brutalen Wachmannmannschaft womöglich das ein oder andere bekannte Gesicht aus jenen unheilschwangeren Tagen des März 1933 entdecken. Denn der Altdorfer SS-Sturm stellt von Anfang an Männer zur Bewachung des KZ ab. Nach einer Schätzung des früheren stellvertretenden Chefredakteurs der Nürnberger Nachrichten, Rainer Krüninger, der sich näher mit dem „braunen Altdorf“ beschäftigt hat, wurden bis 1938 wechselweise 30 bis 40 Mann aus Altdorf in Dachau eingesetzt.

Zwei Wochen nach der Bücherverbrennung beginnt in Neumarkt der Kampf um das Bürgermeisteramt. Allerdings muss sich der junge NSDAP-Vorsitzende Dotzer noch bis September gedulden, bis er die politische Führung der Stadt auch offiziell an sich reißen kann. „Platzhirsch" Rössert erweist sich als zäher Gegner mit Beziehungen in höchste Kreise, wird dann aber doch ins zweite Glied „zurückgetreten“. Die Obere Marktstraße wird in Adolf-Hitler-Straße umbenannt, und der Namenspate mit dem kleinen Bärtchen auf der Oberlippe rollt selbst bald an – im Oktober dazu mehr.

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