Monsignore Richard Distler sagt "Adieu"

20.7.2017, 17:00 Uhr
Monsignore Richard Distler sagt

© Wolfgang Fellner

Fast dreißig Jahre hat er in Neumarkt die Hofpfarrei betreut, als Seelsorger den Kontakt mit den Menschen gesucht. Eine lange Zeit war das, und das sei gerade in Neumarkt wichtig, findet er, für die Präsenz der Kirche in der Stadt. Viele Neumarkter hat er schon im Kindergarten gesegnet, jetzt sind manche in alle Welt versprengt. Wenn sie nach Neumarkt in die Hofkirche kommen, dann "sehen sie ein vertrautes Gesicht", sagt Distler.

Für ihn geht Seelsorge mit der Beziehung zu den Menschen einher, er nimmt Anteil an ihrem Schicksal, an ihren Freuden und am Leiden. Er sei der Hirte, einer, der nicht davonläuft, nicht einer, der mal eine Zeitlang seinen Job macht. "Für mich ist das eine Berufung."

Daher werde er auch, wenn er Anfang August mit seiner Haushälterin Elisabeth Harrer nach Meckenhausen zieht, weiter "auf Einladung der Mitbrüder" bestimmte Aufgaben wahrnehmen, Taufen und Hochzeiten halten, predigen und Vorträge halten oder, wie sein evangelischer Kollege Pfarrer Ernst Herbert, sich um verfolgte Christen kümmern.

Aus Röckersbühl stammt Richard Distler, mit 24 Jahren wurde er in Ingolstadt zum Priester geweiht. Ein wichtiger Begleiter und Mentor auf diesem Weg war für ihn der spätere Papst Joseph Ratzinger, der damals an der Universität in Tübingen und dann in Regensburg Theologie lehrte.

Kurz vor der Priesterweihe hatte Distler eine Krise: Ob es der richtige Weg sei für ihn, die Priesterlaufbahn einzuschlagen? Ob er nicht lieber Gymnasiallehrer für Religion und Latein werden sollte? Das war nicht einfach zu entscheiden für den jungen Mann. "Ratzingers Brillanz, seine Spiritualität und seine Theologie haben mich aufgefangen", sagt Distler heute. Er fand seine Entscheidung, seinen Weg, wurde Priester. "Ein Gottesgeschenk" sei diese Begegnung für ihn gewesen.

Mit der Familie Ratzinger sei er auch verbunden, weil seine von ihm sehr geschätzte Tante, eine Ordensfrau, im Studienseminar in Traunstein die Familie Ratzinger betreut hat — als er sie besuchte, saß Distler mit den Ratzingers zu Tisch.

Ratzinger habe ihn als Mensch und Theologe geprägt. Viele Bücher in seinem Regal, er weist im Pfarramt hinter seinen Schreibtisch, stammen von Ratzinger. Auch die Skripten der Vorlesungen habe er noch, die will er im Ruhestand noch einmal durchgehen.

Monsignore Richard Distler sagt

© Foto: Fritz-Wolfgang Etzold

In seinem Studium in Eichstätt, Tübingen und Regensburg hat er auch drei Semester Naturwissenschaften gehört — Astrophysik und Atomphysik gehörten dazu. Wissenschaft und Glaube – das verträgt sich gut, meint Distler mit Ratzinger: "Glaube braucht Vernunft und Wissenschaft, damit er nicht fanatisch wird, Vernunft und Wissenschaft brauchen den Glauben, damit sie nicht arrogant werden."

Eine Krise wie damals mit 24 Jahren hatte er nicht noch einmal, aber Zweifel gehören zu einem lebendigen Glauben dazu, sagt Distler: "das bedeutet, mit Gott zu ringen". Gefährlich werde es dann, wenn alles zu glatt, zu hundertprozentig daherkomme.

Milder und freier

Das sagt er mit Feuer, denn Distler hat Temperament. "Aber ich bin ruhiger geworden", sagt er. Das Temperament habe er immer wieder zügeln müssen, aber beim Predigen sei es auch ganz richtig, mal etwas aus sich heraus zu gehen und dann wieder zurückhaltender. Doch wenn es um Themen wie aktuell um die Ehe für alle gehe, "das kann ich nicht nur kühl machen, das ist eine Aushöhlung des Begriffs", findet Distler.

Über die Jahre sei ihm seine Haushälterin Elisabeth Harrer ein wichtiges Korrektiv, als treue Gottesdienst-Besucherin und Beobachterin habe sie ihm immer wieder Rückmeldung gegeben. "Sie meinte, wenn du ruhiger sprichst, wirkt das besser, gewinnender, und das habe ich mir schon zu Herzen genommen". Mit der Zeit sei er milder geworden und freier: Als junger Priester habe er noch mehr darauf gepocht, dass die Leute jede Woche in die Kirche kommen. Jetzt sieht er, dass viele mit der Kirche anders umgehen, nicht regelmäßig zum Gottesdienst gehen, dass die Kirche aber für sie ein Ort der Heimat und des Kraftschöpfens geblieben ist.

"Deshalb müssen wir auch hier bleiben, unseren Dienst anbieten", findet er. (Siehe dazu auch den Artikel zum Kapitelsjahrtag, S. 27) Für ihn zählt, dass jeder - ob Katholik, Protestant, Muslim, Agnostiker, Jude oder aus der Kirche Ausgetretener – eine unsterbliche Seele habe. "Da lasse ich mich nicht vom Äußeren leiten", sagt Distler. So spreche er Jugendliche, die gerade auf dem Residenzplatz ein Bier trinken, ebenso an wie einen, der aus dem Gefängnis ins Pfarramt kommt, um etwas Geld zu erbitten.

Seine Gefühle, gerade wenn es jetzt um den Abschied geht, müsse er beherrschen, findet er; das sei auch auf Beerdigungen so, da müsse er sich und seine Befindlichkeit zurücknehmen. Viele Menschen, mit denen ihn gemeinsame Wege und Jahre verbunden haben, hat er beerdigt. Und auch schwere Nachrichten überbracht, etwa, als 1996 ein Polizist im Dienst erschossen wurde. Gemeinsam mit dem damaligen Polizeichef Helmut Lukas fuhr er zur Familie - ein schwerer Gang, eine entsetzliche Tat. "Ein Mord ist so brutal, viel brutaler als ein anderer Tod, weil noch etwas anderes dahinter ist – wie wenn Kain seinen Bruder Abel erschlägt."

Auch der Suizid eines jungen Menschen aus seiner Pfarrei hat ihn erschüttert, weil er diesen persönlich gekannt und geschätzt hat - er hätte ihm gern in seiner Verzweiflung beigestanden und war selbst tief betroffen, als er von dem Tod erfahren hat.

Lebendige Ökumene

Auf ein Priesterleben mit vielen schweren und vielen, vielen frohen Stunden schaut Distler zurück. Der Bau des Jugendheims, die Gründung des Kindergartens St. Franziskus nennt er als Highlights, ein Zeichen der Wertschätzung der Jugend sei das — viele Familien- und Jugendgottesdienste habe er gehalten, viele Pfarrfeste gefeiert, von Tisch zu Tisch sei er gegangen, um mit vielen zu sprechen. Drei Primizen habe es in der Hofkirche gegeben, auch das große Feste.

Mit "meinen lieben Nachbarn", den evangelischen Kollegen und Christen, habe es gute Zusammenarbeit gegeben, etwa die ökumenischen Pfarrer-Treffen reihum. "Dabei haben wir den ökumenischen Kirchenkalender besprochen, uns amüsant unterhalten und gut gegessen." Distler bedauert, dass er wegen des Unfalls seiner evangelischen Kollegin Christiane Murner nun weniger Gottesdienste mit ihr feiern konnte. Sie habe aber zugesagt, zu seinem Abschiedsgottesdienst am 30. Juli in der Hofkirche zu kommen.

Nach 28 Jahren an der Hofkirche sagt Distler zu dieser Aufgabe "Adieu". Als "Konzilspriester", beeinflusst vom zweiten vatikanischen Konzil, sah und sieht er seine Aufgabe in der Welt mit den Menschen – getragen von Nähe und Wertschätzung.

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