Stürmischer Gipfelsturm ohne jede Fernsicht

31.8.2012, 00:00 Uhr
Stürmischer Gipfelsturm ohne jede Fernsicht

© privat

Die erste Woche mit Spezialbrillen, die diverse Sehbehinderungen simulieren, die zweite mit komplett zugeklebten Augen: „Es gab Situationen, in denen ich kurz davor war, mir das Teil von den Augen zu reißen“, gibt Heiko Gärtner zu. Zum Beispiel als beim Aufstieg zur Zugspitze ein Gewittersturm losbrach und ein Blitz nahe der Klettergruppe einschlug. Doch dann habe er sich gedacht, ein Blinder kann ja auch nicht einfach aussteigen. „Wir wollten ja diese Ohnmacht und diese Hilflosigkeit spüren.“

Stürmischer Gipfelsturm ohne jede Fernsicht

Und beides bekommen die Neumarkter in den zwei Wochen zur Genüge. Zum Beispiel als sie mitten in der Nürnberger Fußgängerzone um Hilfe rufen, auf der Suche nach dem Weg zu einem Laden. Hunderte Passanten passieren die beiden, nur hilft keiner. „Die Menschen sind der Meinung“, hat Tobias Krüger gelernt, „in der Gegenwart von Blinden müsse man sich immer ganz leise verhalten, nur nicht stören.“

Dabei sei, wenn man von seiner Umwelt visuell nichts mitbekommt, gerade das Gegenteil der Fall. So war das auch bei den beiden Begleitpersonen, die nur im Notfall und bei Zeitnot eingreifen sollten. „Sonst stört es dich, wenn einer neben dir alles kommentiert, was er macht. Für Blinde ist das aber total wichtig, dauernd fragst du: Was machst du denn?“

Gaudi in Geiselwind

Die Stationen der skurrilen Tour waren Neumarkt, der Hochseilgarten bei Velburg, Nürnberg, Erlangen, Fürth, Augsburg, der Bodensee, Garmisch, München, wieder Erlangen und der Vergnügungspark Geiselwind. Dann zurück in die Heimat, wo das Duo an der Quelle des Lengenbachs bei St. Helena wieder das Licht der Welt erblickte.

Auf dem Weg besuchten Krüger und Gärtner „echte“ Blinde und auch ein Fernsehstudio. Viele Strecken wanderten sie zu Fuß, auch mit U-Bahn, Bus, Zug und mit Trampen kamen sie weiter. Und das anfangs völlig mittellos, unterwegs wurden sie dann von Banken, der Bahn und anderen Dienstleisern großzügig unterstützt. „Und auch das Wetter war zum Glück super, so konnten wir uns ganz auf das konzentrieren, was wir uns vorgenommen haben.“ Übernachtet haben die Outdoor-Spezialisten bei Freunden oder unter freiem Himmel – eine Nacht aus Versehen inmitten eines beliebten Schwulentreffs.

Der Gipfel der Verrücktheit war der zwölfstündige Aufstieg auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze – möchte man meinen. „Da geht es ja wenigstens immer bergauf“, klärt uns Heiko Gärtner auf. „Das war nichts gegen die Tücken des Alltags.“ Der Gang auf ein öffentliches WC (besonders wenn man sich nicht vorher vergewissert hat, dass Klopapier da ist), das Einkaufen, das Überqueren einer belebten Kreuzung, all die Geh- und Bahnsteigkanten.

Und auch die Mahlzeiten: „Das Frühstück ist die Hölle. Wie fühlt man nach der Butter?“ Kaum habe man sich alles zurechtgelegt, setzt sich ein Sehender dazu und verstellt blauäugig wieder alles. Und, besonders hinterhältig, dreht den Salzstreuer um. „Ich hab zehn Minuten mit dem Ding herumhantiert, weil nichts raus kam.“

Spätestens da konnte die beiden ermessen, mit welchen immensen Problemen Blinde in einer Zivilsation zu kämpfen haben, die von und für Sehende gemacht ist.

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