„Tötung von Städten“

16.10.2015, 19:57 Uhr
„Tötung von Städten“

© Foto: Martin Herbaty

Der Architekturhistoriker und Wahlnürnberger mit argentinischen Wurzeln warf in seinem Vortrag im Maybach-Museum einen kritischen Blick auf das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Architekturgeschichte. Mit deutlichen Worten ging er mit städtebaulichen Sünden und ihren Verursachern hart ins Gericht.

Zahlreiche deutsche Städte wurden im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Beim Wiederaufbau prallten wirtschaftliche und denkmalpflegerische Ansprüche aufeinander. Als positive Beispiele für den Umgang mit alter Architektur nannte er im Ersten Weltkrieg zerstörte flandrische Städte wie Ypern, Arras oder Leuwen, die als historische Kopien im Vorkriegszustand wieder aufgebaut wurden.

"Der Zahn der Zeit richtet über die Jahre den gleichen Schaden an wie eine Bombe in einer Minute.“ Riestra wies darauf hin, dass auch historisch erhaltene Gebäude immer wieder nachgebessert würden und von der ursprünglichen Substanz nur wenig erhalten bleibe: „Dieser Mythos Bausubstanz ist furchtbar hierzulande – was wirklich zählt, ist die Form.“ Der Sinn einer Dokumentation sei gerade, dass Baudenkmäler nach einer Beschädigung restauriert oder wieder aufgebaut werden könnten.

Dagegen gebe es in der deutschen Denkmalpflege ein großes Tabu gegen die Rekonstruktion – eine „fatale Einstellung“, wenn es um historische Kontinuität und das Bewahren von Baudenkmälern gehe. Als „besonders misslungenes Beispiel des Wiederaufbaus“ führte er das nach dem Krieg zur autogerechten Stadt umgebaute Köln an. Das moderne Köln ist für de la Riestra „eine Summe von Fehlern“.

Seit Kriegsende sei die „fantastische Dachlandschaft“ vieler großer Städte vernichtet worden: „Bei Architekten herrscht mittlerweile eine panische Angst vor Satteldächern.“ Während er Neumarkt als eine der wenigen Ausnahmen würdigte, fand er das Stadtbild Augsburgs zerstört durch „unmotivierte Flachdächer“. „Und das ausgerechnet in Deutschland, wo doch die Deutschen immer so viel Wert auf die Kostbarkeit der Architektur und des Stadtbildes gelegt haben.“ Dieser „Dämonisierung des Satteldachs“ verdanke das ebenfalls zum Weltkulturerbe gehörende Stralsund gesichtslose Geschäftshäuser unmittelbar neben der Nikolaikirche.

Ganz anders im Ausland – und nicht immer historisierend: So wurde einerseits das im Krieg zu 90 Prozent zerstörte St. Malo authentisch wieder aufgebaut und bewahrte so seinen Charakter als trutzige bretonische Stadt. Das gleichermaßen durch Luftangriffe eingeebnete Le Havre wurde dagegen modern wiedererrichtet – aber mit gelungenen Proportionen und damit ebenso eigenständig. Vergleichbare Beispiele aus Deutschland fand Riestra eher in der früheren DDR, wo etwa die Magistrale in Rostock in den 50er Jahren die alte Hansearchitektur wieder aufgriff.

Hemmungen fallen

Vor allem im Westen gebe es dagegen eine Denkblockade, die die Qualitäten alter Bauten negiere. Auch der „Urbanizid“, die „Tötung von Städten“, durch die großflächigen Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges mit seinem enormen Verlust an Kulturgütern, sei kein großes Thema. Deshalb fielen heute alle gestalterischen Hemmungen. „Ich habe den Eindruck, dass sich Architekten in Deutschland selbst ein Denkmal setzen wollen, ohne jegliche Rücksicht auf die Umgebung des Baus“, so de la Riestra. Der Architekturhistoriker bescheinigte den Vertretern der Moderne einen verkrampften Umgang mit der Vergangenheit und das Ignorieren und die Missachtung historischer Bezüge.

Dass Not und Flüchtlingsdruck der Nachkriegszeit keine Entschuldigung sind, zeigte er in seiner Gegenüberstellung von Nürnberg und Danzig, das – historisch rekonstruiert – heute eine der schönsten Städte Europas sei: „Wenn die Deutschen Danzig behalten hätten, wäre die Stadt heute ruiniert.“ Und auch wenn in Deutschland mittlerweile das Bewusstsein für die historischen Zusammenhänge wächst – de la Riestra findet immer noch genug Beispiele für die „moderne Barbarei“. „Das ist die letzte Bombe, die die Alliierten auf Ulm geworfen haben“, lautete sein Urteil zum Stadthaus Ulm des New Yorker Star-Architekten Richard Meier. Auch nicht weit von Neumarkt wurde er fündig, beim „rundum missratenen“ Anbau an das neue Biermuseum in Spalt: „Eine Art Kühlschrank – ich hoffe, der Architekt ist nicht im Saal.“

Fehlschläge und Vorzügliches

In der Diskussion war Pablo de la Riestra sich dennoch mit Gastgeber Johannes Berschneider einig, dass es sehr gelungene moderne Stadtarchitektur gebe, etwa das neue Rathaus in Nürnberg mit seiner Fülle von Zitaten und Bezügen auf die umgebende Architektur. „Architektonischen Fehlschlägen“ wie der Straße der Menschenrechte, dem Germanischen Nationalmuseum und dem Kornmarkt stünden positive Beispiele wie das „vorzügliche Gebäude“ Volker Stabs in der Luitpoldstraße gegenüber. Auch die von Sep Ruf gestaltete Akademie der bildenden Künste sei fantastisch.

Der frühere Neumarkter Stadtbaumeister Rudolf Müller-Tribbensee gab zu bedenken, dass der Wiederaufbau in Bayern anders als in anderen Bundesländern im historischen Raster erfolgt sei. Dadurch hätte er sich verträglicher als in Köln, Braunschweig oder Hannover gestaltet – „ein Glück für Bayern und für Neumarkt“.

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