13. August 1965: Bahnsteigsperre gegen Bummler

13.8.2015, 07:00 Uhr
13. August 1965: Bahnsteigsperre gegen Bummler

© Kammler

Denn die neue Eisenbahnverordnung, die seit 1. August gilt und mit ganz empfindlichen Strafen für Schwarzfahrer aufwartet, hat auch für die Regel, daß in den nächsten Wochen die Bahnsteigsperren grundsätzlich fallen sollen, eine Ausnahme vorgesehen. „Ausgenommen sollen nur die Sperren bestimmter Bahnhöfe bleiben“, heißt es, „bei denen die Beibehaltung aus Gründen der Ordnung und Sicherheit – zum Beispiel in gewissen Großstädten – oder im kommerziellen Interesse der Bundesbahn erforderlich ist.

Zu diesen „gewissen Großstädten“ zählt das Dezernat für Personenverkehr der Bundesbahndirektion in der Sandstraße neben Nürnberg, Fürth, Erlangen, andere fränkische Verkehrszentren wie Würzburg, Bamberg, Schweinfurt, Ansbach, Coburg und Aschaffenburg. Die Bundesbahn, so erklärt der Leiter des Dezernates, Oberrat Ernst Holtsch, will damit verhindern, daß gerade die nächtlichen Besucher des Bahnhofsvorplatzes und der Wartehallen ungehinderten Zugang zu den Betriebsanlagen bekommen. Auch wäre zu befürchten, daß sich die Bahnhofsbummler immer mehr auf den ohnehin schmalen Bahnsteigen aufhalten und die Betriebsabwicklung behindern oder gar gefährden. Keinesfalls sind die bescheidenen Einnahmen aus dem Bahnsteigkartenverkauf ein Grund, Sperren in Nürnberg beizubehalten, versichert Bundesbahn-Oberrat Holtsch mit Entschiedenheit. Um die Sperrenbeamten in Nürnberg braucht sich also das Personaldezernat keine Sorgen zu machen.

Entschieden schwieriger ist es allerdings, für die anderen der insgesamt 169 Sperrenbeamten im Direktionsbereich eine Beschäftigung zu finden. Sie sind entweder schwerkriegsbeschädigt (90) oder erwerbsgemindert (79). Denn die Bahn hat nicht nur wie andere Betriebe die gesetzliche Pflicht, Schwerkriegsbeschädigte zu beschäftigen, sondern auch die moralische Aufgabe, ihren bei Betriebsunfällen verunglückten Bediensteten einen neuen Arbeitsplatz zu geben.

Diese Überlegungen werden aber den Abbau der Bahnsteigsperren nicht verzögern, erklärt der Dezernent. Bereits jetzt sind in Mittelfranken rund 47 v. H. aller Bahnhöfe ohne Bahnsteigsperren. Diese Zahl wird jetzt ständig wachsen, nachdem die neue Eisenbahnverordnung die rechtlichen Grundlagen für die weitere Rationalisierung geschaffen hat. „Springschaffner“, die von einem Zug zum anderen wechseln, sollen in Zukunft auf den sperrefreien Zügen dafür sorgen, daß niemand ohne Fahrkarte reist. Die Bundesbahndirektion Nürnberg will durch innerbetriebliche Umorganisation in der nächsten Zeit 50 Leute für diesen Dienst gewinnen. Nürnberg möchte damit die schlechten Erfahrungen umgehen, die von der Bundesbahndirektion Stuttgart kürzlich auf einer sperrefreien Nahverkehrsstrecke gemacht worden sind. Bei einer Überprüfung wurde festgestellt, daß von den 115 Fahrgästen sage und schreibe 58 keinen Fahrschein vorweisen konnten.

Strafen für Schwarzfahrer steigen deutlich

Seit dem 1. August kostet das den doppelten Fahrpreis, mindestens jedoch 20 DM statt bisher 3 DM. Dafür genügt es jetzt, daß sich der Reisende unaufgefordert meldet, wenn er ohne Karte fährt und der Schaffner erscheint. Die Nachlösegebühr ist jedoch von 50 Pfennig auf eine DM erhöht worden. Ebenfalls eine DM kostete es, wenn jemand ohne gültigen Ausweis die abgesperrten Teile eines Bahnhofes betritt. Diese Bestimmung kann – das dürfte fast unbekannt sein – auf jeden angewandt werden, der nur mit seiner Bahnsteigkarte in einen Zug klettert. Das sollte einem aber der Großvater oder die Großmutter, denen man den Koffer im Netz verstaut, schon wert sein.

Eine unangenehme Überraschung mag aber der Reisende erleben, der sein Gepäck zu spät zum Schalter bringt. Auf größeren Bahnhöfen wie Nürnberg braucht die Bahn das Gepäck nur bis zu einer halben Stunde vor Abfahrt des Zuges anzunehmen, mit dem es befördert werden soll. Die bisherige Viertelstunden-Frist gilt nur noch für kleine Bahnhöfe. Der Reisende muß also künftig zeitiger zum Bahnhof kommen.

Die Rationalisierung im Zeichen des Personalmangels zeigt sich in der neuen Eisenbahnverordnung auch darin, daß „die Fahrkartenschalter so rechtzeitig vor Abfahrt eines Zuges zu öffnen sind, wie es die örtliche Verkehrsverhältnisse erfordern“. Vorher hatte es ausdrücklich geheißen, die Schalter müßten eine Viertelstunde vor Abfahrt des Zuges geöffnet werden. Die Schalter können auch ganz geschlossen werden; dann wird der Fahrkartenverkauf in die Züge verlegt.

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