1993: Das Ende des Todesengels von Köln

6.4.2013, 13:58 Uhr
1993: Das Ende des Todesengels von Köln

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Der Klinikarzt fragte die hinterbliebenen Töchter, ob sich die Mutter vergiftet haben könnte, da die Pupillen eng, die Muskeln schlaff und die Atmung flach gewesen seien. Als dann die Töchter die blaue Mappe, in der die Mutter ihre Ersparnisse aufbewahrte, leer fanden, keimte in ihnen ein schrecklicher Verdacht auf. Könnte die Altenpflegerin Marianne N. beim Tod der Mutter ihre Hände im Spiel gehabt haben? Die Pflegerin war schließlich die einzige, die einen Schlüssel für die Wohnung gehabt hatte. Sie gingen zur Polizei und erstatteten Anzeige.

Der Staatsanwalt veranlasste eine Obduktion. Als Todesursache stellte man vordergründig eine Lungenentzündung fest, die jedoch auf eine Vergiftung mit dem starken Beruhigungsmittel Truxal zurückzuführen war. In wahrer Sysiphusarbeit trugen Kölner Polizeibeamte über Monate hinweg Indizien zusammen, verhörten Marianne N., die sich in Widersprüche verwickelte, als Schmuck ehemaliger Patienten bei ihr gefunden wurde – und kamen einer der spektakulärsten Mordserien in der deutschen Kriminalgeschichte auf die Spur. Vor genau 20 Jahren erging das Urteil.

Langes Vorstrafenregister

Fünf Monate hatte die Be-weisaufnahme im Prozess vorm Landgericht Köln gegen die 57-jährige Altenpflegerin gedauert, die von der Boulevardpresse schnell den Namen „Todesengel von Köln“ bekommen hatte. Die Angeklagte hatte nicht das erste Mal mit der Justiz zu tun; ihr Vorstrafenregister umfasste eine Anzahl Verurteilungen wegen Diebstahls, Betrugs, Urkundenfälschung und Unterschlagung. Der Verdacht, sie könne beim Ableben der von ihr betreuten betagten Menschen ihre Hand im Spiel gehabt haben, war zwar aufgetaucht, konnte bis dato aber nie erhärtet werden. Weder die Patienten und ihre Angehörigen, noch die Hausärzte, die die ungelernte Pflegerin vermittelten, noch die Krankenkassen, mit denen ihre Leistungen abgerechnet wurden, hatten Kenntnis vom kriminellen Hintergrund der in ihrem Kölner Wohnviertel bekannten und beliebten Frau.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Reihe verstorbener Patienten exhumieren und auf Gift untersuchen lassen. 115 Zeugen und sechs Sachverständige wurden vor Gericht gehört. Am Ende konnten sechs Morde zwischen 1984 und 1992 nachgewiesen werden; die Kriminalpolizei ging aber von insgesamt 17 vollbrachten und 18 versuchten Tötungsdelikten aus.

Aus unzähligen Mosaiksteinchen entstand vor Gericht ein Bild von Vorgehensweise und Charakter der Marianne N. Stets hatte sie versucht, sich bei den alten Menschen unentbehrlich zu machen, indem sie sie mindestens einmal täglich versorgte, Essen brachte, Besorgungen erledigte, sie zum Arzt begleitete. Gleichzeitig war sie bestrebt, die Patienten von ihrem bisherigen sozialen Umfeld zu isolieren. So band sie sie an sich und schaffte es, Misstrauen zu beseitigen. Man vertraute ihr Wohnungsschlüssel und Vollmacht über das Girokonto an.

Als sich Marianne N. einmal um den Vater eines mit ihrer Familie befreundeten Staatsanwaltes kümmerte, verschwanden 10000 Mark. Doch man verdächtigte die Putzfrau und nicht die Pflegerin, die der alte Herr liebevoll „mein Mariannchen“ nannte. Als er, der vormittags noch äußerst lebendig mit seinem Sohn telefoniert hatte, mittags tot auf dem Sofa lag, drang die Schwiegertochter auf eine Obduktion. Doch ihr Mann, der Staatsanwalt, hielt das für unnötig.

Der Staatsanwalt im Prozess forderte zweimal lebenslänglich für sechsfachen Mord aus Habgier, obwohl Marianne N., die vor Gericht keine Aussage machte, die Tat während der Ermittlungen stets geleugnet hatte.

Warum konnte Marianne N. so lange ihr mörderisches Handwerk betreiben, ohne dass dies auffiel? Bei rund 11000 Toten wird laut einer Studie in Deutschland fälschlicherweise eine natürliche Todesursache diagnostiziert, obwohl es sich um Opfer von Tötungsdelikten, Unfällen, ärztlichen Kunstfehlern oder Suiziden handelt. Mindestens 1200 Tötungsdelikte bleiben pro Jahr hierzulande unerkannt.

Die Fehlleistungen bei der Leichenschau sind systembedingt, wie Sabine Rückert in ihrem Buch „Tote haben keine Lobby“ kritisiert. In Deutschland kann (mit Ausnahme weniger Bundesländer, die speziell schulen) jeder Arzt, sei er Augenarzt oder Psychiater, zur Leichenschau gerufen werden. Obwohl er nicht dafür ausgebildet ist, soll er Spuren kriminellen Handelns wahrnehmen können. Manche Ärzte scheuen sich zudem, Leichen wie vorgeschrieben gründlich zu untersuchen, haben Angst vor Differenzen mit den Hinterbliebenen, der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft, die bei unklaren Fällen tätig werden muss. Im Zweifelsfall wird die Verlegenheitsdiagnose „Herzversagen“ bescheinigt. Hinzu kommt, dass die Anzahl der rechtsmedizinischen Institute und die Anzahl der Leichenöffnungen immer weiter abnehmen. In den skandinavischen Ländern werden 20 bis 30 Prozent der Verstorbenen obduziert; in Deutschland kaum mehr als ein Prozent. So lange sich an diesen Missständen nichts ändert, haben kriminelle Elemente freie Bahn.

Marianne N. wurde im Übrigen zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt.



 

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