2. Januar 1970: Stimmen im Puppenhaus

2.1.2020, 07:33 Uhr
2. Januar 1970: Stimmen im Puppenhaus

© Ulrich

Zu vergessen waren auch die Nürnberger Operetten-Tiefs des Jahres. Der immer wieder hinreißende Triumph der Musik über die reine Bühnen-Vernunft, in einer Starbesetzung, Generalmusikdirektors-Bütten, mit saalweitem Szenenprunk setzte sich glanzvoll in Positur.

Der glückliche Kartenbesitzer räkelte sich in Walzerseligkeit und Augenfestfreude auf Stuhl und Stehplatz. Das Theater hatte sein Publikum zum guten Jahresschluß wieder. Auf solcher Ebene auf Besucherfang auszugehen ist legitim.

Max Bignens baute saalweiten Szenenprunk

Auf der Bühne gaben die Bildideen von Max Bignens den Ton an. Ein Alt-Wiener Puppenhaus mit Kitschsäulen, durch dessen Musselinvorhänge der lüsterne Liebhaber mit dem Fernrohr äugt. Tabakbrauner, raffiniert pompöser Palastklassizismus mit verschwiegenen Knutschbalkonen, aus denen umgedreht Gefängnis-Vogelkäfige wurden. Die Bürgerlichkeit, die sich da aufs unwahrscheinlichste zum Narren hält, war mit optischer Brillanz präzis umrissen.

Hans Gierster leitete eine Starbesetzung

Dazu die Apotheose des bürgerlichen Musiklebens, das Phänomen Johann Strauß, von Hans Gierster ins empfindliche Gleichgewicht zwischen tanzendem und seriösem Romantiker gebracht. Die Ouvertüre versprach schon alles, was den ganzen Abend lang gehalten wurde. Beseelte Motive, makellose Transparenz, als gelte es einer Mozart-Sinfonie, schwärmerische Rubati wie bei Chopins Walzer, moussierender Akzent-Tornado à la Rossini, dazu einige tanzunwillig retardierende und anhaltende Nuancen, an denen sich die unmittelbare und die bewußte Beziehung zu Johann Strauß scheidet.

Des Generalmusikdirektors mächtige Hand vereinte dazu „Fledermaus“-Gesang von denkwürdigem Format. Simone Mangelsdorff, bei ihrer Gastrückkehr nach Nürnberg umjubelt, gab eine Rosalinde mit mächtig und parodistisch strahlendem Sopran. Den heiklen Csardas weitete sie zur faszinierenden Gesangsszene aus. In höchste Koloraturlagen entführte Grit van Jüten die Adele. Mühelosen Stimmglanz hatte dieses schnippische Kammerkätzchen jederzeit!

Dann die Aura der Männerstimmen. Der Eisenstein bekam von Barry Hanner den Schmelz eines eleganten Kavaliers-Bariton. Den Gesanglehrer Alfred machte Cesare Curzi zu einer burlesken Parodie der eigenen Kehlfertigkeit. Andreas Camillo Agrelli und Georg Nowak spannen weitere baritonale Ensemble-Fäden.

Da konnte man dann den Operettentenor Ulritz Gentzens an den kurzen Playboysong des Orlofsky und die Soubrette Marita Krâl an die kleine Tänzerin verschwenden.

Dezent-ironische Regie

Fast verständlich wurde bei dem großen Sängerfest der einzige Ausrutscher der Regie. Kurt Leo Sourisseaux machte aus der Schwipsszene ein Rum-Steh-Oratorium über „Brüderlein und Schwesterlein“. Die Frivolität war denn auch genauso groß wie bei Beethovens Neunter Sinfonie.

Bis auf das von Walter Kohutek mehr schludrig als komisch bevölkerte Gefängnis herrschte aber Dezenz und bekömmlich-leichte Ironie. Man wahrte Stil, bildete zwanglose Gruppen mit dem hörenswerten Chor Adam Rauhs. Stilgraziös, wenn auch etwas zu breit aufs Dekorative hin angelegt, der große Walzer des Krämerschen Balletts mit der stupenden Schwerelosigkeit von Nini Stucky.

Am letzten Tag des alten Jahres wurde ein Sieg der alten Operette gefeiert.

                                                                                             

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