28. November 1970: Ein Laie pinselte Nürnbergs Burg

28.11.2020, 07:00 Uhr
28. November 1970: Ein Laie pinselte Nürnbergs Burg

© Contino

Der Nürnberger Künstler Bodo Boden hat mir Staffelei, Palette, Pinsel, Leinwand, einen gefleckten Arbeitsmantel und einen Hut zur Verfügung gestellt. Ich bringe meine Utensilien vor der Lorenzkirche in Stellung. Als Motiv habe ich mir die Burg samt Umgebung ausgewählt.

Als ich gerade zehn Minuten drauf lospinsele, Farben und Formen wahllos mischend, kommt der erste Kommentar eines Passanten: „Hm.“ Langsam werden auch andere aufmerksam, weil ich bisweilen einige Schritte zurücktrete, das Werk beobachte und über den Pinsel in meiner ausgestreckten Hand Maß nehme für weitere Taten.

28. November 1970: Ein Laie pinselte Nürnbergs Burg

© Contino

Bald stellt sich Erfolg ein. Eine Frau kommt mit ihrem Sohn heranspaziert, bleibt stehen und schaut sich das Gemälde an. Dann hat sie etwas entdeckt. Ihr Zeigefinger sticht auf das Bild zu, und aufgeregt und zufrieden zugleich erläutert sie ihrem Sprößling: „Siehst, Bubi, da bei diesem Turm waren wir heute, weißt's noch?“ „Ja“, sagt Bubi gehorsam, und das stellt seinem vergleichenden Betrachten wahrhaftig ein gutes Zeugnis aus.

Nun wird es lebendig hinter dem Chronisten, ein Halbkreis bildet sich, noch stumm. Von rechts hinten kommt ein knurriges Räuspern, danach eine Bemerkung an die Umstehenden, doch laut genug, daß der Maler sie hören muß: „Der muß ja dazuschreiben, was das sein soll!“ Da freut sich das Volk und lacht herzlich. Das Selbstbewußtsein des Malers wird durch den Besuch einer Mutter mit ihrem Kind wieder aufgerichtet. Als nämlich das Kleine fragt, was denn der Mann mache, entgegnet die Frau andächtig: „Pssst, das ist Kunst.“

Inzwischen sind drei städtische Arbeiter damit fertiggeworden, die Weihnachtsbeleuchtung in der Königstraße zu installieren. Im Gänsemarsch kommen sie heran und bauen sich auf. Schließlich beginnt einer diplomatisch: „Nachher ... hm ... was kriegens ‘S denn für so ein Bild?“ Was antworten darauf? „So um die 150 Mark im Durchschnitt. Ich hoffe, daß ich es in eine Ausstellung bringen kann, dann wird‘s teuerer.“ Ein abschätzender Blick trifft die Leinwand, und dann kommt‘s: „So, Sie hoffen.“ In grimmigem Triumph ziehen sie von dannen.

Das Werk nähert sich seinem Ende, als ein Mann mittleren Alters auftaucht. Er schaut sich das .Gemälde lange an, dann läßt er den Blick höher wandern, zum Original. „Sie sehen das wohl etwas anders.“ „Ja, natürlich, aber kneifen Sie die Augen zusammen, bis alles verschwommen ist.“ Er tut es und geht überzeugt weiter.

Bei soviel Widersprüchlichem muß ein Fachmann herangezogen werden. Und Bodo Boden, neben viel künstlerischem Empfinden auch mit Zartgefühl gesegnet, urteilt milde: „Jaja, Malen ist schwierig.“ Er sieht dennoch Möglichkeiten: „Jetzt werde ich Ihnen den Himmel blau einfärben (er war vergessen worden) und das Werk einer Galerie anbieten. Es weicht von der gegenständlichen Wiedergabe weit genug ab, daß es glatt als moderne Kunst durchgehen und hohe Preise erzielen kann.“

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