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30. Januar 1972: Ein handfester Eklat im Rathaus

30.1.2022, 07:00 Uhr
30. Januar 1972: Ein handfester Eklat im Rathaus

© Kammler

In einem Brief an den Oberbürgermeister klagte er, die Planungsgruppe für die Gesamtschule Langwasser werde von Linksextremen beherrscht und trage Volksfront-Charakter. Angriffe gegen das bestehende Gesellschaftssystem seien an der Tagesordnung. Werner Frank bat Dr. Andreas Urschlechter, ihn von seiner Aufgabe als zukünftiger Verwaltungsleiter der Gesamtschule zu entbinden. Auch forderte er den Oberbürgermeister auf, der „marxistischen Unterwanderung Einhalt zu gebieten“. Schul- und Kulturreferent Dr. Hermann Glaser brachte wenige Stunden nach Bekanntwerden des Skandals den ganzen Fall vor den Schulausschuß und die Öffentlichkeit. Er nannte die Vorwürfe unhaltbar. Der Oppositionsführer im Stadtrat, Georg Holzbauer, sieht dagegen in den Ausführungen Franks eigene Beobachtungen bestätigt und besteht auf einer sofortigen Bereinigung der Angelegenheit.

Rathaus in Erregung

Amtmann Frank, seit 20 Jahren bei der Stadt tätig, war als Verwaltungsleiter der Gesamtschule vorgesehen und gehörte damit der Planungsgruppe an, in der neben Architekten auch Lehrer aller Schultypen sowie Studenten verwaltungstechnische und pädagogische Fragen diskutierten. Jetzt versetzte er mit seinem Brief an den OB nicht nur das Schulreferat, sondern das ganze Rathaus in Erregung. In dem Schreiben vom 26. Januar beschwerte er sich, er werde durch seine Tätigkeit beim Schulreferat permanent gezwungen, gegen das Beamtengesetz zu verstoßen. Nach diesem Gesetz habe er dem Volk zu dienen, nicht aber einer Partei. In der Planungsgruppe würden Auffassungen vertreten, wie sie dem linken SPD-Flügel und der DKP eigen sind. „Andere als linke Kräfte treten überhaupt nicht in Erscheinung.“ Frank fuhr fort, er sei nicht bereit, die Diffamierung des Staates als „Gesellschaft, die von Unternehmern und sonstigen Kapitalisten beherrscht wird“, weiter hinzunehmen.

„Symptomatische Äußerungen“

Der Verwaltungsamtmann legte dem Brief eine Sammlung „symptomatischer Äußerungen“ aus der Planungsgruppe bei. Danach hat ein Student gefordert, die Kinder so zu erziehen, daß sie die Gesellschaft verändern. Der junge Mensch müsse fähig sein, Widerstand gegen Anpassungszwänge zu leisten. Ein Pädagoge habe argumentiert, wegen des Lehrermangels habe der Lehrer die Möglichkeit, in der Schule Politik zu machen, denn man könne ihn nicht vor die Türe setzen. Frank notierte sich auch Polemiken gegen die Nürnberger CSU. Er registrierte unter anderem einen Heiterkeitsausbruch der Planungsgruppe, als er einmal bemerkte, Unternehmer-Interessen seien für ihn Interessen wie andere auch. Und er schloß darauf, daß es in der Gruppe nicht möglich sei, andere als linke Auffassungen überhaupt zu diskutieren.

Harte Diskussionen

Er, Frank, müsse sich fragen, ob die Tätigkeit der Planungsgruppe nicht einer „Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ gleichkomme. Er habe den Eindruck, die Marxisten seien im Begriff, den gleichen Weg wie die Nationalsozialisten zu gehen, bei dem es zum organisierten Mord an den Juden, zu Enteignung, Verfolgung und Mord gekommen sei. Diesen Brief legte Kulturreferent Dr. Glaser dem Schulausschuß und der Öffentlichkeit ungekürzt vor. Dazu gab er bekannt: In der Planungsgruppe würden nicht nur bau- und organisationstechnische Fragen beraten, sondern auch Lerninhalte diskutiert. Dabei sei es bislang zu harten Diskussionen gekommen, bei der durchaus auch Meinungen vertreten wurden, die er für die Gesamtschule Langwasser ablehne. Es gehe aber nicht an, daß ein Beamter stenografische Notizen von aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen nimmt, um die ganze Planungsgruppe zu diffamieren.

Dr. Glaser distanzierte sich in einem Gespräch mit den „NN“ von Äußerungen, wonach Lehrer in der Schule Politik machen könnten, weil sie der Lehrermangel quasi vor Kündigung schütze. „Dieses Argument können wir nicht billigen“, sagte er. Aber mehr als ein Argument im Meinungsbildungsprozeß sei dies auch nicht, denn über die Lerninhalte der Gesamtschule als Experiment könne nur der Stadtrat entscheiden. Der Fall des Amtsmanns Werner Frank wird personalrechtlich den normalen Verwaltungsweg nehmen, heißt es im Schulreferat. Dr. Glaser könnte sich demnach außerstande sehen, mit Frank weiter vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Damit käme die Angelegenheit vor den Personalausschuß. Frank persönlich hielt unserer Zeitung gegenüber eine gütliche Einigung für möglich, „weil ich weiß, daß Dr. Glaser die besten Absichten hatte“. Möglicherweise werde ihm eine andere Dienststelle zugewiesen, aber er wolle auf jeden Fall in Nürnberg bleiben.

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