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6. Juni 1971: Proteste gegen die US-Pläne

6.6.2021, 07:55 Uhr
6. Juni 1971: Proteste gegen die US-Pläne

© Gerardi

Nach den Sozialdemokraten hat auch die FDP ihre Bundes- und Landesprominenz um Intervention gebeten. Die Stadtratsfraktion beantragte bei Oberbürgermeister Dr. Urschlechter, das Plenum möge sich baldigst mit der Gefahr beschäftigen, die eineinhalb Jahre nach TennenIohe nun einem weiteren Erholungs- und Entwicklungsgebiet im Nürnberger Raum droht, und die Stellungnahme der Bevölkerung wirkungsvoll zusammenzufassen.

Das Vietnam-Komitee, Schülerorganisationen und gewerkschaftlich orientierte Jugendliche rufen zu einer Demonstration am Sonntag um 16 Uhr in Moorenbrunn (Ecke Wendelsteiner Weg/Gutshofstraße) auf: der Landesverband der Jungdemokraten versichert, er werde Bürgerinitiativen mit dem Ziel, den Plan zu durchkreuzen, rückhaltlos unterstützen.

Bleibt der Standort? SPD-Landtagsabgeordneter Leonhard Heiden (Fischbach), der den Truppenübungsplatz in der Nachbarschaft von Altenfurt/ Moorenbrunn, Feucht und Röthenbach bei St. Wolfgang als Wahnsinn bezeichnete, hat auf Anhieb eine Menge Gleichgesinnter gefunden.

Die Nürnberger Rathausfraktion seiner Partei findet es unverantwortlich, solche militärischen Einrichtungen in die Nähe eines Erholungsgebietes und inmitten des Ballungsraumes anzulegen. Stellvertretender Fraktionsvorsitzender Hans Keller verweist nicht nur auf die unerträgliche Lärmbelästigung, der Erholungssuchende und Bewohner der angrenzenden Orte und Ortsteile ausgesetzt wären. Er befürchtet sogar Konsequenzen für den Standort des zweiten Krankenhauses im Süden.

Ähnlich äußerte sich auch Oberbürgermeister Dr. Urschlechter: „Truppenübungsplätze an solchen Punkten sind unzumutbar.“ Die SPD-Landtagsabgeordnete Lilo Seibel fügt hinzu: „Ich glaube, es ist an der Zeit, daß die Nürnberger sich mit aller Entschiedenheit gegen eine solche Zumutung zur Wehr setzen. Daß der Minister für Landesentwicklung und Umweltschutz der Stadt bis heute das so dringend notwendige Erholungsgebiet Birkensee verweigert, aber den Amerikanern Platz reservieren will, ist noch bedauerlicher.“

Von „hoher Sorge“ spricht Dr. Friedrich Bergold, der Vorsitzende der FDP/CVD-Fraktion. „Wenn die Pläne Wirklichkeit werden, ist das ganze Naherholungsgebiet um Feucht der Nürnberger Bevölkerung für sehr lange Zeit verloren“, meint der Kommunalpolitiker, dem Berichte aus Oberursel bekannt sind, wonach dort auf die gleiche Weise größere 'Waldstücke für die erholungssuchende Frankfurter Bevölkerung unpassierbar geworden sind.

Geld für innere Reformen

FDP-Kreisvorsitzender Leo Flach hat inzwischen Bundesaußenminister Walter Scheel und den Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Otto Bezold, alarmiert. „Wenn weiterhin im Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen seitens der US-Armee eine derartige Politik betrieben wird, brauchen sich die Bundesregierung und die Staatsregierung nicht zu wundern, wenn in der betroffenen Bevölkerung der Ruf ,ami go home‘ laut wird“, schrieb Flach seinem Bundesvorsitzenden.

6. Juni 1971: Proteste gegen die US-Pläne

© NN

Außerdem erkundigt sich die Nürnberger FDP, ob es zutrifft, daß das Bundesfinanzministerium Geld dafür bereitgestellt hat. „Wenn dies zutrifft, müssen wir Ihnen sagen: wir glauben, daß diese Mittel wesentlich besser eingesetzt wären, wenn damit Teile der inneren Reformen realisiert würden“, schrieb Flach und bittet, die Errichtung des Truppenübungsplatzes zu verhindern.

Die Methode, ohne Absprache mit der Bevölkerung mit den US-Streitkräften ins Reine zu kommen, stößt besonders bei den Jungdemokraten auf Widerstand. Der stellvertretende Landesvorsitzende Peter Hürner und Bezirksvorsitzender Klaus-Peter Murawski haben dazu vier Forderungen:

1. Der Raum muß als Erholungsgebiet für Nürnberg und Umgebung erhalten bleiben.

2. Alle bisher mit den US-Streitkräften getroffenen Vereinbarungen im Raum Nürnberg-Fürth-Erlangen-Schwabach sollen offengelegt werden.

3. Sowohl der Landtag wie der Bezirkstag sollen über die Affäre ausführlich debattieren.

4. Die Staatsregierung soll erklären, daß sie sich souverän genug fühlt, in derartigen Situationen die Interessen der Bürger vor solche amerikanischen Ansprüche zu stellen, deren Herkunft aus der Besatzungszeit evident ist.

Aber nicht nur von Politikern, auch aus der Bevölkerung direkt kommen geharnischte Briefe. „Jawohl, es ist Wahnsinn, in unmittelbarer Nähe von Siedlungen ‚Kriegsspielplätze‘ zu planen. Es langt schon jetzt der Motorenlärm über Langwasser durch niedrig und langsam fliegende Hubschrauber.

Für den Umweltschutz sollen in Zukunft Milliarden ausgegeben werden, damit die Bevölkerung weniger belästigt wird. Was sagt Gesundheitsminister Käte Strobel dazu?“ schreibt Rudolf Riedel aus Neuselsbrunn. In den betroffenen Gemeinden sind inzwischen Unterschriftenaktionen angelaufen. Bürgerkomitees sollen gegründet werden. In Fischbach ist außerdem vorgesehen, bald eine Bürgerversammlung abzuhalten.

Übrigens: ganz so hoffnungslos ist das Unterfangen, gegen den Truppenübungsplatz zu Felde zu ziehen, noch nicht. Im Gespräch mit Regierungspräsident Karl Burkhardt erfuhr Dr. Friedrich Bergold, daß die Regierung bereits zwei noch folgenschwerere Projekte abgelehnt hat, jetzt aber das gegenwärtige Ersuchen der amerikanischen Militärbehörden zunächst einmal behandeln muß. Die Regierung rechne damit, daß eine heftige Protestwelle aus der Bevölkerung sich in ihrer endgültigen Stellungnahme niederschlagen kann.

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