Abschiebung

Abschiebung: Flüchtlingshelfer in Nürnberg erheben schwere Vorwürfe

20.5.2021, 07:44 Uhr
Stempelt ein Arzt, der im Auftrag der Ausländerbehörde arbeitet, kranke, abgelehnte Asylbewerber gesund?  

© imago images/blickwinkel, NNZ Stempelt ein Arzt, der im Auftrag der Ausländerbehörde arbeitet, kranke, abgelehnte Asylbewerber gesund?  

Im Mittelpunkt steht eine Frau, die um ihre Existenz kämpft. Um ihre Gesundheit, ihre Kinder und um ihre persönliche Perspektive. Für Behörden ist sie ein Einzelfall. Doch an ihrem Beispiel wird deutlich, mit welcher umstrittenen Konsequenz der Staat gegen Menschen vorgeht, deren Aufenthaltsstatus erloschen ist und deren Abschiebung ansteht. Ihre Akteure: Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB), das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführung (LfAR) und ein Honorararzt, der als externer Mediziner die Reisefähigkeit von erkrankten, aber abgelehnten Asylbewerbern begutachtet.
Dann gibt es auch die Akteure, die die Rechte der abgelehnten Asylsuchenden vertreten: die Flüchtlingshilfe "Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg" und der Rechtsbeistand der betroffenen Frau, die wir mit K. nennen. Instanzen, die sich für K. einsetzen und den vom ZAB beauftragten Gutachter und Arzt, Dr. B., scharf kritisieren und als befangen ablehnen. Der Honorararzt arbeitet seit Jahren für Ausländerbehörden, zuvor in Baden-Württemberg und seit etwa drei Jahren in Franken.

AfD stellte mehrere Strafanzeigen

B. hatte 2018 noch in Baden-Württemberg Ärzten und Psychologen vorgeworfen, gezielt falsche Atteste auszustellen, um die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern zu verhindern. Das wiederum führte im baden-württembergischen Landtag dazu, dass die AfD mehrere Strafanzeigen stellte. Laut AfD-Watch hat die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe die Verfahren wegen der Ausstellung angeblicher "Scheinatteste" mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt.

Ärger gab es dann später in Bamberg: Innerhalb der Ärztekammer soll es zu Beschwerden gekommen sein, weil Dr. B. Reisefähigkeiten ausstellte, obwohl Ärzte und Ärztinnen des medizinischen Dienstes im Ankerzentrum Bamberg Reisefähigkeiten verneinten. Nürnberger Flüchtlingshelfer erheben nun schwere Vorwürfe gegen den vom ZAB eingesetzten Mediziner: Dr. B. begutachte alles andere als objektiv, das würden "zahlreiche Internetkommentare und Verstrickungen zu Verschwörungstheoretikern" belegen, heißt es in einer Stellungnahme der "Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg". Im April 2020 charakterisiert B. etwa den Attentäter von Hanau, der aus rassistischen Motiven tötete, als "psychisch schwer kranken Menschen" und fordert Medien auf, das "krankheitsbedingte Geschehen" nachzutragen anstatt einen Zusammenhang zu Äußerungen zur AfD herzustellen.

Eine dreifache Mutter und Jesidin aus Armenien

Anders als bei dem Attentäter von Hanau kommt B. bei der Begutachtung der 54-jährigen K. zu einem gegenläufigen Ergebnis und attestiert ihr Reisefähigkeit. In seinem Gutachten, das der Redaktion vorliegt, stellt er ihre Krankheit in Frage und schreibt von einer "Persönlichkeitsstörung ,an sich‘". Er behauptet, K. versuche, "ihre mehrfach vorgetragenen subjektiven Empfindungen [...] zu akzentuieren". Dabei habe K., wie ihr Betreuer Ben Schwägerl von der Freien Flüchtlingsstadt Nürnberg sagt, eine medizinische Diagnose, die sich mit einem Gegengutachten eigentlich nicht entkräften lasse. Seit 2013 wird K., eine dreifache Mutter und Jesidin aus Armenien, ambulant in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nürnberg behandelt. Immer wieder musste sie auch stationär im Bezirksklinikum Erlangen aufgenommen werden.

In einem Bericht des Klinikums Nürnberg heißt es: "Die o. g. ist eine sehr schwer betroffene Patientin, die jahrelang die schwersten Misshandlungen durch den drogenabhängigen sadistischen Ehemann durchleiden musste. Fr. K. verlor z.B. mehrere Zähne, der Ehemann habe seine Zigaretten an ihrer Zunge und ihrem Gesicht gelöscht, sie geschlagen, sie mit einem Beil bedroht, ihr untersagt, zu arbeiten, die Kinder geschlagen und missbraucht. Als Folge von diesen Misshandlungen leidet Fr. K. unter ausgeprägten psychischen Störungen, eine stationärpsychiatrische Behandlung im BKH Erlangen wurde bereits mehrfach notwendig, auch aufgrund der akuten Suizidalität."

Anwältin findet Gutachten "befremdlich"

Im vorliegenden Fall hat das Gesundheitsamt Nürnberg eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung für K. ausgestellt. Der Inhalt: Die Patientin K. kann die Reise nach Armenien aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. Die 54-Jährige war in der medizinischen Fachstelle Trauma der Behörde in Behandlung. "Zur Bescheinigung kann ich sagen, dass in einer 15-seitigen ausführlichen Stellungnahme alle im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes geforderten Inhalte berücksichtigt wurden", sagt Dr. Katja Günther, Leiterin des Nürnberger Gesundheitsamtes, gegenüber der Redaktion. Das Gutachten von Dr. B. sei ihr bekannt. "Es kommt zu einer anderen Einschätzung als die qualifizierte ärztliche Bescheinigung der Fachstelle für Flüchtlinge. Das Gutachten von Herrn Dr. B. möchte ich nicht bewerten", sagt sie.

Das aber macht aber K.s Anwältin Giannina Mangold. Sie findet es "befremdlich", dass die ZAB einen Gutachter beauftragt, obwohl es bereits eine amtliche Expertise über die Patientin K. gibt. Richtig entsetzt sei sie aber gewesen, dass Dr. B.s Bericht "gespickt ist, mit persönlichen Empfindungen des Gutachters selbst. B. äußert darin Unterstellungen und Bewertungen, die ihm als Arzt gar nicht zustehen", sagt die Anwältin für Migrationsrecht. Sie fragt sich, wie eine Behörde wie die ZAB an so einen Gutachter gerät. Am 7. April 2021 habe sie das ZAB darüber unterrichtet, dass sie B. als befangen ablehne. "Daraufhin antwortete mir die ZAB sinngemäß, dass ich nicht den Anspruch habe, einen bestimmten Arzt zu fordern."

2020 wurden 1558 Personen aus Bayern abgeschoben

Auf Anfrage teilt die Regierung von Mittelfranken als übergeordnete Behörde mit: "Die Beauftragung eines Arztes erfolgt bei der ZAB ausschließlich aufgrund dessen fachlicher Qualifizierung." In vielen Fällen entsprächen die vorgelegten Atteste nicht den gesetzlichen Anforderungen. Doch eben das trifft nach Angaben von Anwältin Mangold und dem Gesundheitsamt Nürnberg im Fall von K. nicht zu - hier liegt eine amtliche Expertise nach den Vorgaben des Ausländergesetzes vor.
Zuständig für die praktische Ausführung von Abschiebungen ist das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR). Auf Anfrage heißt es, dass im vergangenen Jahr 1558 Personen abgeschoben wurden. Im Februar 2021 hat es einen Sammelabschiebeflug nach Armenien gegeben. Ein Teil der Insassen hatte Atteste zur Reiseunfähigkeit, die überprüft wurden. "Hierbei wurde festgestellt, dass die vorgelegten Atteste bzw. vorgebrachten Erkrankungen keine Abschiebehindernisse" seien, heißt es in einem Schreiben des LfAR. Die Behörde bestätigt, dass in einem Fall die Abschiebung aufgrund eines Herzproblems abgebrochen werden musste und ein Notarzt hinzugezogen wurde. "Vorher wurden geeignete Medikamente zur Behandlung der Symptome seitens der betroffenen Person abgelehnt."
Der Fall um die abgelehnte Asylbewerberin K. zieht nun weitere Kreise: Das Abgeordnetenbüro der mittelfränkischen SPD Politikerin Alexandra Hiersemann bereitet Landtagsanfragen zu diesem Thema vor – sowohl zu abschiebebegleitenden Ärzten, als auch zur Feststellungspraxis von Reisefähigkeit im Rahmen von Abschiebungen.

Mehrfache Versuche seitens der Redaktion, von Dr. B. eine Stellungnahme einzuholen, blieben ohne Erfolg.