Bilanz: Das hat sich in Nürnberg für Radfahrer getan

26.12.2019, 05:50 Uhr
Im Vergleich zu den 90er Jahren hat sich die Bedeutung des Radverkehrs in den Großstädten erheblich gewandelt – auch in Nürnberg spielt das Fahrrad wieder eine wichtigere Rolle beim Thema Mobilität.

© dpa Im Vergleich zu den 90er Jahren hat sich die Bedeutung des Radverkehrs in den Großstädten erheblich gewandelt – auch in Nürnberg spielt das Fahrrad wieder eine wichtigere Rolle beim Thema Mobilität.

Nach fast 27 Jahren geht der städtische Fahrradbeauftragte Hugo Walser Ende 2019 in den Ruhestand. Im Vergleich zu den 90er Jahren hat sich die Bedeutung des Radverkehrs in den Großstädten erheblich gewandelt – auch in Nürnberg spielt das Fahrrad wieder eine wichtigere Rolle beim Thema Mobilität.

Herr Walser, mit welchem Gefühl gehen Sie in den Ruhestand?

Hugo Walser: Das ist durchaus gemischt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es gab auch wilde und wirre Zeiten, man hat zweimal versucht, meine Stelle zu kippen, 1996 und 2002. Das zeigt: Der Radverkehr hat nicht immer den Stellenwert gehabt wie heute.

Wie wurde Ihre Stelle gerettet?

Walser: 1996 war es der öffentliche Druck. Und die NN hatte eine Umfrage gestartet und das Ergebnis war so eindeutig für den Erhalt, dass die Politik sich den Schritt nicht getraut hat. 2002 war es der damalige Baureferent Wolfgang Baumann, der entschied, dass die Stelle bleibt.

Hugo Walser (61) war seit Februar 1993 der städtische Fahrradbeauftragte in Nürnberg. Nach dem Abitur am Pirckheimer-Gymnasium studierte er Geografie, Soziologie und Politologie. Vor seinem Wechsel zur Stadt war Walser an der Uni Bayreuth im Bereich Regionale Entwicklungsforschung tätig.

Hugo Walser (61) war seit Februar 1993 der städtische Fahrradbeauftragte in Nürnberg. Nach dem Abitur am Pirckheimer-Gymnasium studierte er Geografie, Soziologie und Politologie. Vor seinem Wechsel zur Stadt war Walser an der Uni Bayreuth im Bereich Regionale Entwicklungsforschung tätig. © Foto: Jo Seuß

Haben Sie sich in den Anfangsjahren verwaltungsintern öfter mal eine blutige Nase geholt?

Walser: Das wäre übertrieben, aber es war schon so, dass der Radverkehr eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Da ich, anders als in anderen Städten, nicht dem Bürgermeisteramt, sondern dem Verkehrsplanungsamt angesiedelt war, hatte ich den Vorteil, frühzeitig Einsicht in Planungsprozesse zu haben. So konnte ich verhindern, dass die Fahrradbelange hinten runterfallen.

Trotzdem war der Job des Fahrradbeauftragten anfangs sicher kein Honigschlecken . . .

Walser: Ja, zuerst war ich schon ein Einzelkämpfer, jetzt sind drei Mitarbeiter im Amt mit dem Thema beschäftigt. Und der Radwegeetat lag 1993 bei 110 000 Euro, 2019 waren es 3,5 Millionen Euro. Das spricht auch für die gestiegene Bedeutung.

Es hat sich in Ihrer Zeit einiges für den Radverkehr getan. Was verbuchen Sie unter der Rubrik Erfolge?

Walser: Es sind gut 80 Kilometer Radwege neu entstanden, 170 Kilometer Radrouten beschildert und 180 Einbahnstraßen in Gegenrichtung geöffnet worden, Fußgängerzonen wurden in den Lieferzeiten freigegeben und rund 2000 zusätzliche Abstellbügel in vier Stadtteilen aufgestellt. Es kam ein Radwege-Winterdienstplan und 2009 sind viele Einzelkonzepte erstmals im Programm "Nürnberg steigt auf" gebündelt worden.

Wie bedeutend war denn die Öffnung des Hauptmarkts 2016 für den Radverkehr?

Walser: Von der Strecke sind die 70 Meter kein großer Gewinn gewesen, doch von der Symbolkraft war es ein ganz wichtiger Schritt. An dem Thema hatte sich die Politik gerieben – im Gegensatz zum Jakobsplatz und zur Vorderen Sterngasse, die problemlos für den Radverkehr freigegeben worden waren.

Wünschten Sie sich da manchmal einen anderen Job?

Walser: Nein, man sitzt als Fahrradbeauftragter nun mal zwischen sämtlichen Stühlen und kann es nicht allen recht machen. Es ist durchaus ein nervenaufreibender Job, aber ein spannender und letztlich lohnenswerter, denn der Radverkehr wird inzwischen stärker gefördert.

Sie waren ja im Laufe der Jahre auch in echten Fahrradstädten wie Münster oder Kopenhagen. Wie fühlt man sich danach, wenn man wieder in Nürnberg ist?

Walser: Ein Kollege am "Runden Tisch Radverkehr" hat mal gesagt, er könne den Vergleich mit Kopenhagen nicht mehr hören. Wir sind keine Uni-Stadt wie Münster mit 30 Prozent Studentenanteil, wir haben andere bauliche und soziale Rahmenbedingungen. Und wir leben in einem Land, wo jahrzehntelang das Auto dominant war, auch wegen Deutschlands Autoindustrie. Insofern war das "Leitbild Verkehr" vom damaligen Baureferenten Walter Anderle Anfang 1990er Jahre bahnbrechend. Und es gilt ja im Prinzip heute noch der Ansatz "Weg vom nicht notwendigen Autoverkehr" und Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und von Alternativen wie dem Fahrrad.

Wie empfanden Sie damals den Ansatz?

Walser: Mir war schon früh klar, dass sich wegen der Klimadiskussion etwas ändern muss.

Trotzdem gab es jahrelang immer wieder Rückschläge für den Radverkehr.

Walser: Typisch war zum Beispiel die jahrzehntelange Vertagung der Entscheidung zur Verkehrsführung in der Äußeren Laufer Gasse und der Beckschlagergasse oder die Aufteilung des öffentlichen Raums. Die im September 2019 vom Verkehrsausschuss beschlossene Reduzierung auf eine Spur zugunsten eines breiten Radstreifens in der Pillenreuther Straße, Gibitzenhofstraße und Katzwanger Straße wäre auch schon früher denkbar gewesen.

Manche Radwegeprojekte wie in der Ansbacher Straße haben über 20 Jahre gedauert, bis sie verwirklicht wurden, obwohl sie als dringend galten. Warum dauert das manchmal so lange?

Walser: Das habe ich mich bei manchen Projekten auch gefragt. Bei der Ansbacher Straße waren es zuerst Planungen, die politisch nicht auf Wohlgefallen stießen. Dann gab es eine Alternative, die Platz für Parkbuchten kostete, was man sich nicht getraut hat. Danach ging es um die Finanzierung, die mit der Regierung von Mittelfranken abgestimmt werden musste – nach 15 Jahren ist es dann zu einer Einigung gekommen.

Da gibt es sicher noch mehr solche Fälle, wo nichts vorangegangen ist . . .

Walser: Bei der Maximilianstraße fehlt weiter der Lückenschluss, obwohl schon viel geplant wurde – vielleicht kommt er ja, wenn die neue Feuerwache fertig ist. Und beim Fahrradparkhaus hat man auch 20 Jahre diskutiert, wobei die Bahn der Bremser war. Die Praxis zeigt: Eine Planung ist schnell gemacht, aber die Abstimmung mit Bürgervereinen, Politik, Verbänden, aber auch Natur- oder Denkmalschutz dauert oft sehr lange. Manchmal landet ein Projekt dann in der Schublade, wie bei der Tetzelgasse, wo das Granitgroßsteinpflaster nicht gerade fahrradfreundlich ist.

Apropos: Nürnberg wurde 2013 mit dem Titel "Fahrradfreundliche Stadt in Bayern" ausgezeichnet. Gerade von Fahrradverbänden wie dem ADFC wurde die Auszeichnung belächelt.

Walser: Die Kritik habe ich nicht ganz verstanden, aber vielleicht bin ich da etwas befangen. Wir haben diese Arbeitsgemeinschaft mitgegründet, die den Preis vergibt. Für alle Städte gilt ein umfangreicher Kriterienkatalog, den Nürnberg erfüllt hat, was eine Kommission vor Ort auch überprüft hat. Der Preis besagt, dass wir auf dem Weg zu einer fahrradfreundlichen Stadt sind und nicht schon alles toll ist – wir werden im Herbst 2020 nachzertifiziert. Dann wird sich zeigen, ob der Titel Bestand hat.

 

Wie schaut Ihre Vorstellung einer fahrradfreundlichen Stadt mit Blick auf die Zukunft aus?

Walser: Dass der Radverkehr endlich den Stellenwert hat, der ihm zusteht. Denn er ist umweltschonend und meistens die schnellste Form der Fortbewegung. Wichtig ist dabei, den nicht notwendigen Autoverkehr einzudämmen und durchgehende Radrouten und -schnellwege zu schaffen. Unheimlich viel hängt aber davon ab, wie die Verkehrsteilnehmer miteinander umgehen. Gegenseitige Rücksichtnahme und Akzeptanz ist hier noch verbesserungswürdig, ebenso das Ahnden von Verstößen – ob beim Zuparken von Radwegen oder beim illegalen Radeln auf dem Gehsteig, das auf Kosten der Fußgänger geht.

Sie sind schon in vielen Ländern mit dem Rad unterwegs gewesen. Gibt es eine ideale Fahrradstadt?

Walser: In Bologna war es sehr entspannt, obwohl die Fahrradinfrastruktur nicht großartig ist. Auf Nürnbergs Straßen fühle ich mich übrigens nicht so schlecht, wie oft getan wird.

Das liegt aber vermutlich auch daran, dass Sie die alternativen Radrouten aus dem Fahrradstadtplan im Kopf haben.

Walser: Ja, das ist wichtig (lacht). Für die Route durch die umgebaute Humboldtstraße haben wir die "Goldene Speiche" vom ADFC verliehen bekommen. Das Radleraufkommen hat sich dort nach Sanierung der Fahrbahn und der Beschilderung verdreifacht.

Was versprechen Sie sich vom geplanten Radbegehren 2020 in Nürnberg?

Walser: Politisch kann es sicher etwas bewirken, aber es kommt darauf an, was es inhaltlich bringt. In Berlin war es zum Teil zweifelhaft, denn dort sollen nun die Kreuzungen umgebaut werden, was bei drei beschlossenen im Jahr sicher 300 Jahre dauern wird. Ich halte es für wichtig, dass es klare Radinfrastrukturen gibt, auf die man sich einstellen kann.

Henrike Heym ist die Nachfolgerin

Vor einer ganz anderen Ausgangslage als Hugo Walser vor knapp 27 Jahren steht Henrike Heym, die neue Fahrradbeauftragte der Stadt Nürnberg. Die 38-jährige Geografin, die seit 2012 für die Kommune tätig ist, übernimmt ihre Aufgabe zum Jahreswechsel in Zeiten mit spürbarem Rückenwind für den Radverkehr.

Henrike Heym ist die neue Fahrradbeauftragte.

Henrike Heym ist die neue Fahrradbeauftragte. © Foto: Jo Seuß

Über ein Jahr in der Abteilung für Baugesuche kam Heym zum Verkehrsplanungsamt. Seit drei Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema Fahrrad – und durch das gemeinsame Zimmer kennt sie ihren Vorgänger und die Aufgaben einer Fahrradbeauftragten auch gut.

Priorität werden zuerst die Fortschreibung des Programms "Nürnberg steigt auf" und der "Runde Tisch Radverkehr" haben, aber auch die Frage, ob der Titel der "Fahrradfreundlichen Stadt in Bayern" erhalten bleibt. Seit September 2019 war stadtintern klar, dass Heym die Beauftragte für das Thema Fahrrad wird.

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