Brandschutz-Mängel: Hochhaus in Nürnberg wird geräumt

22.9.2018, 05:51 Uhr
Brandschutz-Mängel: Hochhaus in Nürnberg wird geräumt

© Anestis Aslanidis

Anna-Elisabeth Löckler wohnt seit 50 Jahren in der Leuschnerstraße 6, das Hochhaus ist ihr Zuhause. Ein anderes kann sich die Rentnerin nicht vorstellen. Dass sie ausziehen soll, ist für Löckler eine Katastrophe. Als am Donnerstag Abend Vertreter des ESW bei der Mieterversammlung völlig überraschend mitteilten, dass das Hochhaus im Brandfall nicht sicher sei, war das für alle Bewohner ein Schock. "Ich habe bei der Versammlung an Händen und Füßen gezittert, in der Nacht darauf habe ich nicht geschlafen", sagt Löckler. Der Gedanke an einen Umzug mache ihr Angst. Und sie glaubt nicht, dass mangelhafter Brandschutz der Grund für die Räumung ist.

Raisa Rhabinovich ist ebenfalls misstrauisch. Sie wohnt im siebten Stock, die Kaltmiete für ihre zwei Zimmer sei mit 348 Euro sehr günstig. "Das ESW will das Haus sanieren, um höhere Mieten kassieren zu können", sagt sie. Und Nachbar Surender Sehgal ergänzt: "Wir kämpfen alle zusammen dafür, nicht raus zu müssen."

Die Mieter in der Leuschnerstraß 6 gehören nicht zu den gut Betuchten. Die Hälfte ist über 70 Jahre alt. Die meisten wohnen hier, weil es günstig ist. Sehgal hat seine Wohnung frisch tapeziert, für ihn kostete es viel Geld, es sich hübsch zu machen. "Wenn ich umziehen muss, kann ich es mir nicht leisten, schon wieder Geld für die Einrichtung auszugeben", sagt er.

Marodes Treppenhaus und Asbest

Sehgal wohnte vorher in einem Hochhaus des ESW in der Albrecht-Dürer-Straße in Fürth. Ab 2013 sanierte das Wohnungsbauunternehmen auch dieses Gebäude, die Begründung war die selbe wie jetzt in Langwasser: Es gebe nur ein marodes Sicherheitstreppenhaus und in den Wänden stecke Asbest, weshalb alle Mieter während der Brandschutzsanierung ausziehen müssen. Seit dem Umbau heißt das Hochhaus in Fürth "Sonnenturm", die Mieten stiegen kräftig. Von den über 90 Mietern kehrten nur zwei zurück. Sehgal nicht. Er kann sich keine teure Wohnung leisten.


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In der Leuschnerstraße werde ebenfalls saniert, um anschließend abzusahnen, vermuten Mieter. Elaine Eckert, Pressesprecherin des ESW, kennt die Ängste. Sie war bei der Mieterversammlung dabei, "für uns ist das auch nicht schön", kommentiert sie die Entscheidung für den "Leerzug". So nennt das Unternehmen die Zwangskündigungen.

Keine Alternative

Doch eine Alternative gebe es nicht, sagt Eckert. Bei der Betonsanierung seien die Mängel beim Brandschutz aufgefallen. Das Hochhaus ist Baujahr 1966, damals war es erlaubt, neben dem Aufzug nur ein Treppenhaus als einzigen Fluchtweg zu bauen. Die Leuschnerstraße 6 ist also kein Einzelfall. Laut städtischer Feuerwehr, die seit 2014 die 120 Hochhäuser in Nürnberg auf ihre Brandschutzeinrichtungen hin überprüft, verfügen die wenigsten Altbauten über zwei getrennte Treppen. Und nachrüsten müssten alte Wohntürme nicht, sagte Bernd Ach von der städtischen Feuerwehr vor einem Jahr im Gespräch mit der Lokalredaktion, als der Großbrand in einem Wohnturm in London weltweit Entsetzten auslöste.


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"Das Treppenhaus in der Leuschnerstraße ist außerdem nicht feuerfest", führt Eckert weiter aus. Das selbe gelte für Wände und Glasflächen in den Fluren sowie Elektroleitungen. Die städtische Feuerwehr war bei den Begehungen dabei. Erkennen die Spezialisten, dass Gefahr in Verzug ist, melden sie dies der Unteren Bauaufsicht im Rathaus. Im schlimmsten Fall muss – wie in Dortmund-Dorstfeld genau vor einem Jahr – ein Hochhaus sofort geräumt werden.

"Mittelgravierende" Mängel

Die Mängel in Langwasser sind lange nicht so gravierend. Ein Anruf am gestrigen Freitag in der Bauaufsichtsbehörde führt zu der Auskunft: Der Fall Leuschnerstraße ist uns nicht bekannt. Thomas Schertel, Sprecher der städtischen Feuerwehr, weiß, dass es eine Begehung gab, "es wurden Mängel zur Abstellung angezeigt". Er dürfe zu laufenden Verfahren nicht viel sagen. Man habe die Probleme mit dem ESW besprochen, das Unternehmen aber nicht aufgefordert, das Haus zu räumen. "In dem Fall würden wir die Bauaufsicht informieren."

Baureferent Daniel Ulrich spricht von "mittelgravierend" Mängeln. Er lobt das ESW als vorbildlichen Eigentümer: "Es ist eher ungewöhnlich, dass so schnell auf Brandschutzprobleme reagiert wird." Jetzt müsse das ESW das Hochhaus eben früher generalsanieren als geplant.

Auszug bis Ende 2019

Laut Elaine Eckert werden zügig kleinere Maßnahmen ergriffen, um kurzfristig für einen besseren Brandschutz zu sorgen. Im Treppenhaus werden feuerfeste Wände und ein automatischer Rauchabzug eingebaut. Elektroleitungen in den Fluren müssen raus. Lüftungsschächte in den Küchen werden dicht gemacht.

Die komplette Sanierung könne wegen der Asbestbelastung nicht gemacht werden, wenn die Mieter bleiben, so Eckert. Letzter Zeitpunkt für deren Auszug ist Ende 2019. "Wir hoffen aber, dass es schneller geht."

Man helfe bei der Suche nach neuen Wohnungen, möglichst bald würden die Mieter nach ihren Wünschen gefragt. Ob das Hochhaus tatsächlich saniert oder ob es abgerissen wird, sei nicht entschieden. "Wir wissen noch nicht, was technisch und wirtschaftlich möglich ist." Dass hinter der Sanierung das unternehmerische Interesse steht, anschließend mit höheren Mieten mehr Geld zu verdienen, bestreitet sie ausdrücklich.

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