Fall 25 von "Freude für alle"

Erfrierungen, riesige Wunden, Läuse: Die Straßenambulanz Nürnberg hilft auch ohne Krankenkasse

Max Söllner

Redaktion Neumarkt

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10.12.2023, 16:00 Uhr
Wunde am Schienenbein: Der Wohnungslose Malte A. wird vom Krankenpfleger und Wundmanager Patrick Phillips behandelt.

© Günter Distler, NNZ Wunde am Schienenbein: Der Wohnungslose Malte A. wird vom Krankenpfleger und Wundmanager Patrick Phillips behandelt.

Das rechte Bein nach oben angewinkelt liegt Malte A. (Name geändert) auf dem Behandlungstisch. Sein linkes hat er durchgestreckt, die Jeans ist über das Knie nach oben geschoben. Vorne an seinem Schienenbein klafft eine große Hautverletzung. "Es ist eine Wunde, die jeden Menschen treffen kann", sagt Krankenpfleger und Wundmanager Patrick Phillips, als er den Verband wechselt. "Das Schwierige daran ist, auf die jeweilige Situation einzugehen."

Damit meint Phillips die Bedingungen, unter denen seine Patientinnen und Patienten leben. Er arbeitet in der Straßenambulanz der Nürnberger Caritas in St. Ludwig in Gibitzenhof und behandelt kostenlos diejenigen, die vom Gesundheitssystem teils oder ganz ausgeschlossen sind. Alle hier sind arm, viele wohnungs- oder obdachlos. Manche haben keine Krankenversicherung, andere genieren sich, eine normale Praxis aufzusuchen - die Straßenambulanz bietet deshalb an, vor Ort zu duschen und frische Klamotten zu erhalten. Oft scheitert es an scheinbaren Kleinigkeiten wie der Rezeptgebühr.

Malte A. zum Beispiel ist in die Notversorgung seiner Krankenkasse abgerutscht, er würde nicht einmal eine Schutzimpfung gezahlt bekommen. Ihn kann auch kein ambulanter Pflegedienst besuchen, um in seinem Zuhause die Wunde zu versorgen, denn er lebt wohnungslos in einer Obdachlosenpension - keine guten Umstände für eine schnelle Heilung.

Wundvermessung per App

Der Mediziner Phillips ist daher schon zufrieden, wenn die Wunde nicht größer wird. Er misst per Smartphone-App nach: schaut gut aus. Noch ein Reaktionstest am Fuß und der Wohnungslose kann mit einem frischen und seiner Situation angemessen robusten Verband hinausgehen - bis zum nächsten Termin in wenigen Tagen. Seit einem Jahr wird er von Phillips behandelt.

Roland Stubenvoll, Leiter der Caritas-Straßenambulanz.

Roland Stubenvoll, Leiter der Caritas-Straßenambulanz. © Günter Distler, NNZ

Mit welchen Verletzungen und Krankheiten sonst Menschen die Straßenambulanz aufsuchen, zeigt deren Leiter Roland Stubenvoll anhand einer Präsentation zur medizinischen Ausbildung: Vor Kälte halb abgestorbene Füße, verlauste Haare oder riesige Wunden, die bis an die Knochen reichen.

"Normalerweise sind Ärzte es gewohnt, dass Patienten kommen und sagen: 'Gottseidank habe ich einen Termin'", erklärt Stubenvoll. Doch das Klientel der Straßenambulanz ticke anders, es müsse aktiv an das Angebot herangeführt werden. Dabei sind Arme öfter krank und haben eine geringere Lebenserwartung, weswegen auch vergleichsweise wenigen Menschen im Rentenalter in die Ambulanz kommen.

"Mensch, wir haben das Gefühl, Ihnen geht es nicht gut"

Einmal pro Woche gehen deren Mitarbeitende auf die Straße, um die Menschen dort aufzusuchen, wo sie leben. Ähnlich niederschwellig sind der im Ambulanzgebäude integrierte Tagestreff und die Lebensmittelausgabe. Wer kommt, um kostenlos zu essen, kann bei Bedarf direkt angesprochen werden: "Mensch, wir haben das Gefühl, Ihnen geht es nicht gut. Wir hätten einen Arzt da", gibt Stubenvoll ein Beispiel.

So behandelt die Straßenambulanz jedes Jahr rund 1000 Menschen. Entsprechend groß ist der Bedarf an Medikamenten, die mit Spendengeldern etwa von der Weihnachtsaktion "Freude für alle" bezahlt werden. Vor gut einem Jahrzehnt zog die Einrichtung aus beengten Verhältnissen im Hummelsteiner Weg in das frühere Franziskanerkloster in der Straßburger Straße, zu dessen Konvent auch der Gründer der Ambulanz, Bruder Martin, gehört hatte. Dass sie früher in eine Dreizimmerwohnung gepasst hat, ist heute unvorstellbar.

Weil es neben einer Arztpraxis und der medizinischen Ambulanz auch eine Substitution gibt, hat die Anlaufstelle 365 Tage im Jahr geöffnet. Für die Drogenersatztherapie muss man versichert sein, sich bewerben und das erste Vierteljahr jeden Tag vor Ort erscheinen. Die Medikamente werden in Tresoren gelagert, da sie als Betäubungsmittel gelten.

Der integrierte Tagestreff kann ein niederschwelliger Einstieg in die medizinische Behandlung sein.

Der integrierte Tagestreff kann ein niederschwelliger Einstieg in die medizinische Behandlung sein. © Günter Distler, NNZ

Kleiderkammer schließt

Das Personal der Straßenambulanz wird von der Caritas und der Stadt Nürnberg finanziert, die meisten Mitarbeitenden sind fest angestellt. Es gibt auch einige Freiwillige beispielsweise in der Kleiderkammer, die aber in der bisherigen Form zum Jahresende schließt, da die Engagierten sich altersbedingt zurückziehen. Für die Zukunft ist ein Klamottenlager ohne Spendenannahme geplant.

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