Geschichte: Das «Kaufhaus Weißer Turm»

15.7.2009, 00:00 Uhr
Geschichte: Das «Kaufhaus Weißer Turm»

© Ulrich

«Weiße Marmorschäfte streben hinan zu den Etagen und hoch oben an der Decke hängt ein kostbarer Kronleuchter, dessen 853 Glühlichter eine gleißende Lichtfülle von sich geben», schrieb die NZ weiter. Bis ins Detail gab die Zeitung die große Auswahl an Waren wieder – von den Textilien über Schmuck, Haushalts- und Lederwaren bis zu großen Bassins, in denen «munter die Fische und Krabben, träge die Krebse umher schnalzen».

Heute sind Fische, Krabben und der große Lichthof verschwunden, doch die prächtige Fassade von «H. Tietz & Co.» kennt immer noch jeder Nürnberger: In dem Gebäude am heutigen Ludwigsplatz befindet sich seit Ende der 1980er Jahre das Modehaus «Wöhrl». Bis dahin lief der Betrieb des «Warenhaus Tietz» weiter – allerdings unter anderem Namen. Seit 1933 hieß das Geschäft «Kaufhaus Weißer Turm» – kurz «KWT». Zu diesem Zeitpunkt hatte das Geschäft schon eine lange Tradition in Nürnberg.

Am 30. März 1886 gründeten die deutsch-jüdischen Unternehmer Herrmann und Oscar Tietz in Nürnberg das erste Kaufhaus Nordbayerns, nachdem die Familie in anderen Städten bereits erfolgreich eigene Geschäfte etabliert hatte. Oscars Bruder, Leonhard Tietz, begründete 1879 sein norddeutsches Warenhausimperium – aus dem nach der Zwangsenteignung durch die Nazis die «Kaufhof»-Kette hervorgehen sollte. Die Häuser der Familie in Süddeutschland, die von Oscar Tietz mit dem Kapital des Onkels Hermann aufgebaut worden waren, bildeten den Grundstock für «Hertie», kurz für Hermann Tietz. Endgültig verschwinden wird «Hertie» wohl in rund zwei Wochen – die Kaufhauskette, die heute den Markennamen trägt, ist pleite.

Diese Entwicklungen waren 1886 noch nicht absehbar, als in einem schmalen Haus in der Königstraße 18 das Zeitalter des Massenkonsums in Nürnberg begann. Obwohl das kleine Warenhaus wie die anderen Läden der Familie «H. Tietz & Co.» hieß, wurden die Geschäfte vom Bruder des Namensgebers geleitet, von Julius Tietz.

Trotz des Erfolgs des Hauses verkaufte die Familie das Nürnberger Haus Ende 1905 an den Unternehmer Ludwig Levy, der den Betrieb zunächst unter dem ursprünglichen Namen fortsetzte. Levy setzte den Expansionskurs fort und brauchte bald mehr Platz für das gefragte Angebot. Also gab er in den Jahren nach der Übernahme das Haus in der Königstraße auf: Das Geschäft zog in größere Gebäude in der Ludwigstraße um.

1911 begannen dort die Bauarbeiten am oben beschriebenen Neubau – auf ungewöhnliche Art und Weise. Um den Geschäftsbetrieb nicht einstellen zu müssen, wurden zunächst die Seitenflügel des Gebäudes fertiggestellt, während im vorhandenen Warenhaus zwischen den Baustellen der Verkauf weiterging. Erst als das Geschäft provisorisch in die Seitenflügel ziehen konnte, wurde der Altbau in der Mitte abgerissen und die Lücke geschlossen.

1922 starb Ludwig Levy, seine Frau Louise übernahm die Führung des Kaufhauses, zu dem auch das kleinere Haus «H. Tietz & Co.» am Fürther Kohlenmarkt gehörte. 1933 heiratete Louise Levy den nicht-jüdischen Geschäftsmann Theodor Hartner, auf dessen Namen die Firma ab 1933 lief. Das Warenhaus wurde im selben Jahr in «Kaufhaus Weißer Turm» umbenannt. Die Familie hoffte so einer «Arisierung» zu entgehen.

Gegen rassistische Boykotte während der Reichsparteitage der NSDAP in den 30er Jahren schützten die Maßnahmen freilich nicht. Und auch wenn eine erzwungene «Arisierung» dem «KWT» erspart blieb: Die Familie Levy wurde schließlich trotzdem aus dem Geschäft gedrängt. 1938 trennte sich Theodor Hartner auf Druck der Nationalsozialisten von seiner Frau, der Witwe des Erbauers Ludwig Levy. Sie nahm sich einen Monat später das Leben.

Nach dem Krieg, gegen dessen Ende das Kaufhaus nach einer Plünderung durch Zwangsarbeiter vollständig ausbrannte, erhielten die Nachfahren Ludwig Levys einen Teil ihrer ehemaligen Firma wieder zurück. Sein Sohn Hans Ludwig, der seinen Namen geändert hatte, stieg in die Geschäftsleitung auf und verhalf dem «Kaufhaus Weißer Turm» zu weiteren erfolgreichen Jahrzehnten.

Erst in den 1980er Jahren, als «Wöhrl» das Haus übernahm, endete die wechselvolle Geschichte des ersten Nürnberger Kaufhauses.

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