Gewalttätige Polizisten landen nur selten vor einem Richter

5.9.2019, 09:34 Uhr
Im Juni dieses Jahres prügelten Polizisten auf einen am Boden liegenden Betrunkenen ein.

© privat Im Juni dieses Jahres prügelten Polizisten auf einen am Boden liegenden Betrunkenen ein.

Diese Nachricht sorgte Ende Juni in Nürnberg für Empörung: Polizisten prügeln im Stadtteil Gibitzenhof auf einen betrunkenen 45-Jährigen ein. Sie setzen ihre Teleskop-Schlagstöcke ein und zielen mit Pfefferspray ins Gesicht des Mannes.

Mit roher Gewalt, so sieht es im mitgeschnittenen Video eines Anwohners aus, versuchen die beiden jungen Beamten, den 45-Jährigen auf den Bauch zu drehen – was ihnen misslingt. Denn der Mann stemmt sich mit aller Kraft erfolgreich gegen diese Maßnahme, wohl wissend, dass die Beamten ihm so keine Handschellen anlegen können. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt schließlich Unterstützung von Kollegen, die den Mann fixieren und festnehmen.

Sowohl die beiden Polizisten, als auch der Mann wurden bei der Auseinandersetzung verletzt. Klar ist: Gegen den 45-Jährigen laufen, abgesehen von einer Anzeige wegen Beleidigung, auch Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, Widerstands und tätlichen Angriffs gegen Vollzugsbeamte.

Ermittlungsverfahren gegen Polizisten

Doch auch den beiden Beamten drohen Konsequenzen. Auf Anfrage der Lokalredaktion bestätigt das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA), dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen beide Polizisten ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet hat. "Die Untersuchungen dauern an", heißt es. Nach Abschluss der Ermittlungen wird durch die Justiz über mögliche strafrechtliche Folgen entschieden. Außerdem stehen mögliche disziplinarrechtliche Sanktionen im Raum.

Ob es aber wirklich zu strafrechtlichen Konsequenzen kommt, ist mehr als fraglich. Denn Ergebnissen eines Projekts der Ruhr-Universität Bochum zufolge werden derartige Übergriffe von Polizisten nur selten strafrechtlich geahndet. "Das Anzeigeverhalten hängt wesentlich von den wahrgenommenen Erfolgsaussichten ab – und die sind in solchen Verfahren denkbar schlecht. Hinzu kommt, dass viele Leute Angst vor Repressalien haben. Sie wollen nicht, dass ihre Daten auf diese Weise bei der Polizei landen", sagt der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein.

Weniger als zwei Prozent der Fälle münden in ein Gerichtsverfahren und weniger als ein Prozent enden mit einer Verurteilung. Wie im Falle eines USK-Beamten, der im Oktober 2015 in Nürnberg einem am Boden knienden Schüler mit einem Fußtritt den Kiefer gebrochen hatte.

34-Jähriger schied aus dem Polizeidienst aus

Die gefährliche Körperverletzung im Amt brachte dem damals 34-Jährigen eine Strafe von eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung ein. Der Fall hatte für ihn auch disziplinarrechtliche Folgen: Er schied aus dem Polizeidienst aus. Dieser Fall ist aus der Sicht von Singelnstein eine Seltenheit. Zumal ein Kollege des verurteilten USK-Beamten seinerzeit den Gewaltausbruch beobachtet und den vorgesetzten Zugführer darüber informiert hatte. "Es ist in der Praxis selten, dass ein Polizist einen Kollegen belastet. Die kriminologische Forschung spricht von einer Mauer des Schweigens, von Zusammenhalt und Korpsgeist, die dem entgegenstehen", erklärt er.

Es gebe immer wieder Fälle, die für Betroffene rechtswidriger Polizeigewalt, die Anzeige erstatten, tragisch enden: Ihre Anzeige hat keinen Erfolg, aber es folgt ein Gerichtsverfahren gegen sie selbst, weil die Polizei ihrerseits Anzeige gegen den Betroffenen erstattet hat. "Am Ende werden sie selbst verurteilt, weil die Justiz den Schilderungen der Polizeibeamten Glauben schenkt. Für denjenigen, der als Betroffener rechtswidriger Polizeigewalt Gerechtigkeit gesucht hat, bricht dann eine Welt zusammen, Hilflosigkeit macht sich breit."

In Bayern wurden im vergangenen Jahr beim BLKA, Dezernat 13 - interne Ermittlungen - insgesamt 1253 Vorgänge bearbeitet. Die Beamten führen strafrechtliche Ermittlungen gegen Beschäftigte der bayerischen Polizei, soweit die Straftaten im Dienst begangen wurden oder einen Bezug zum Dienst haben. Doch das BLKA führt keine Statistik darüber, ob und wie viele Verfahren eingestellt werden. Die Behörde verweist auf die Justiz.