«Gostenhof bringt meine Kreativität zum Blühen»

10.7.2009, 00:00 Uhr
«Gostenhof bringt meine Kreativität zum Blühen»

Nürnberg zu einer Großstadt macht.

Und großstädtisch heißt dabei nicht Randale, wie am Wochenende.

Das Szeneviertel ist für seine junge, multikulturelle und lässige Atmosphäre bekannt. Viele Kreative haben sich hier niedergelassen. Nürnbergplus

stellt einige von ihnen vor.

Rehkitze und seit kurzem auch Seepferdchen tummeln sich im Schaufenster von «bambiboom» in der Preisslerstraße. Für ihre zweite Kollektion hat sich Inge Klier von der Ästhetik der Meeresbewohner inspirieren lassen. Auf T-Shirts aus Bio-Baumwolle bilden die glitzernden Tierchen einen bunten Kontrast zur urbanen Umgebung in Gostenhof-West. Seit zwei Jahren residiert die Designerin hier mit ihrem Mode- Label.

Mit dem Stadtteil ist Inge Klier aber schon viel länger verbunden. «Ich wohne und arbeite seit etwa 15 Jahren hier», sagt die 40-Jährige mit Wurzeln in der Oberpfalz. Eigentlich sei sie ursprünglich auf der Suche nach einer günstigen Wohnung nach Gostenhof gekommen, aber schon bald war klar, dass sie hier ihr ideales Lebens- und Arbeitsumfeld gefunden hatte.

«Gostenhof ist für mich das lebendigste Viertel in Nürnberg. Es ist nicht steril und chic, sondern authentisch und multikulturell», sagt sie. Vor allem das bunte Treiben auf den Straßen gefällt ihr: «Hier sieht man Menschen aus allen Ecken und Schichten unserer Gesellschaft, und jeder kann so sein wie er möchte. Ich fühle mich hier mittendrin im Leben.» Individualisten, Querdenker – für alle gebe es Raum, und dieses Miteinander inspiriere sie: «Die vielfältigen Eindrücke in Gostenhof bringen meine Kreativität zum Blühen.»

Wer sich für bildende Kunst aus Gostenhof interessiert, stößt früher oder später auf Laurentiu Feller. Der gebürtige Rumäne lebt und arbeitet seit 13 Jahren in seinem Lieblings-Stadtteil. In seinem Atelier in der Denisstraße entstehen großformatige Bilder und Installationen, die sich kritisch mit gesellschaftlichen und medienkritischen Fragen beschäftigen. Mit viel Herzblut engagiert er sich für die kreative Gemeinschaft in «GoHo». «Gostenhof ist nicht nur ein Stadtteil, sondern ein Lebensgefühl», findet der 32-Jährige und organisiert zum Beispiel die Gostenhofer Ateliertage mit. Sein größtes Projekt ist die Galerie «Artelier», die seit fünf Jahren internationale Künstler präsentiert.

In dem früheren Gemüseladen in der Knauerstraße bieten Feller und die weiteren Mitglieder des Vereins Creativ Forum entspannte Klänge und kühle Drinks an der Bar. «Ich will die Kunst von ihrem sakralen Podest runter holen, man soll sie da genießen, wo man gerne verweilt», so die Philosophie des Künstlers und Galeristen.

Im Sommer lädt der Verein beispielsweise zu kubanischen Nächten mit feinem Essen und guter Musik in den üppig bewachsenen und lauschigen Hinterhof ein.

Es ist eine unscheinbare Hofeinfahrt, über die man Lucie Schallers Atelier in der Austraße erreicht. Ein wenig versteckt hinter Sträuchern und einem alten Zaun befindet sich ein kleiner Hinterhof. «Eine tolle Oase», schwärmt die Malerin und bildende Künstlerin, «ich fühl’ mich pudelwohl hier.» Seit zwölf Jahren kreiert sie in der ehemaligen Lithografiewerkstatt ihre Arbeiten – und wohnt auch dort. «Eigentlich waren die Räume nicht bewohnbar», erinnert sich die 43-Jährige.

Verliebt hat sie sich trotzdem auf Anhieb, in ihr Atelier, aber auch in Gostenhof und seine Bewohner. Eine «verrückte, bunte Rasselbande» lebt in den Wohnhäusern ringsum, aus denen es «immer lecker nach indischem Essen und Räucherstäbchen riecht.»

«Einfach good vibrations» verbreite die Nachbarschaft. Lucie Schaller hat aber nicht nur die rosarote Brille auf, wenn sie auf ihr Umfeld blickt. Die Jugend kommt ihr heute aggressiver vor als früher. Und sie fürchtet um die Kleinteiligkeit und Vielfalt des Stadtteils, weil sich umsatzschwache Läden nicht mehr halten können.

Irgendwann wird sie dem Stadtteil vielleicht den Rücken kehren. «Ich müsste eigentlich in der Natur arbeiten, denn von dort inspiriere ich mich für meine Arbeiten», erzählt die Künstlerin. Besonders im Winter sehnt sich Lucie Schaller in ihrem schlecht isolierten Wohnatelier nach der Sonne: «Ich liebäugele mit Griechenland.» Seit 1997 arbeitet sie freischaffend und gibt Kurse über Zeichnen oder plastisches Gestalten, Kontakte nach Gostenhof schloss sie schon während ihres Studiums an der Nürnberger Akademie der bildenden Künste. «Schicke Lokale, verrückte Spelunken – hier gibt es eigentlich alles.»

Ernst Schultz wurde schon als «Großvater des Deutschrock» bezeichnet, als Nürnberger Musikadel. In den Sechziger Jahren war er Mitbegründer von «Ihre Kinder», einer der ersten Rockbands, die ausnahmslos auf Deutsch sang. Mit seiner Frau Heidi lebt der 66-Jährige seit über 20 Jahren in Gostenhof.

Der Stadtteil ist für Schultz «wie ein großes Wohnzimmer». Damit meint er nicht in erster Linie Gemütlichkeit, die zu einem kreativen Kopf wie ihm nicht so recht passen mag. «Vertrautheit ist ein wichtiges Wort und trifft es wohl besser.» Eine noch weitgehend funktionierende Infrastruktur sorge dafür, dass man sich schnell treffen kann, «aber auch ständig jemanden trifft.» Ernst Schultz ist ein kommunikativer Mensch. Austausch mit anderen ist für ihn sehr wichtig. «Man muss es aber dosieren, damit man nicht immer den gleichen Gesprächsstoff hat», findet er.

Sicher, in den siebziger Jahren sei Gostenhof noch urwüchsiger gewesen. Mittlerweile sei es ja beinahe trendig, hier zu wohnen. Seinen Charme hat das Viertel für Schultz aber noch immer. «Viele Verschönerungsaktionen sind sehr gelungen», meint der Musiker, der seine Leidenschaft lange Jahre mit dem Nebenjob als freiberuflicher Grafiker mitfinanzierte. Und als Ernst die Vielfalt und die Vorzüge der Gostenhofer Gastronomie rühmt, schiebt seine Frau Heidi gleich noch eine Liebeserklärung wie auf Zuruf ein: «Man kann hier alles.»

Gut, nicht ganz. «Clubs sind relativ dünn gesät», findet er. Für seine Auftritte könnte es mehr Bühnen geben. Seine Geschäfte macht Ernst Schultz also meist anderswo – doch wer will daran schon denken, im Wohnzimmer?

Harry Trepte spielt Bass in verschiedenen Rock- und Jazzcombos. Seit rund 30 Jahren frei- und hauptberuflich. Fast genauso lange wohnt er mit seiner Frau Inge – sie spielt Schlagzeug – in Gostenhof. «Die untere Ebene des Geschäfts kann man hier im Grunde fast komplett abdecken», findet Trepte: Denn die Wege in die nächste Kneipe sind kurz, und für «ein Essen und zwei Bier» findet er eigentlich immer einen Bekannten, der ihm Plakate oder Flyer für den nächsten Auftritt macht.

Mehrmals im Monat spielt er mit seinen Musikprojekten auf, darunter «Jonny Glizzer & der blanke Neid», «Pearl» und «Wundertüte». Nicht nur Kollegen, Freunde und «intelligente Gesprächspartner» hat er in Gostenhof gefunden, sondern in Ernst Schultz auch jemanden, «der etwas von einem Mentor für uns hat». Schultz habe ihn den Umgang mit der Kunst, mit ihrer Wahrhaftigkeit gelehrt. Von der Musik zu leben, sei sicher kein Leben in Milch und Honig, «aber man muss sich auch nicht für blöd verkaufen lassen.»

In Harry Treptes Augen hat besonders Gostenhof-Mitte seinen dörflichen Charakter erhalten. Und dafür hat er sich selbst engagiert, ob im Nachbarschaftshaus, in der Musikzentrale oder für die SPD im Jugendhilfeausschuss. Verständlicherweise liegen ihm die jungen Musiker besonders am Herzen, und er findet, dass es zu wenige Proberäume gibt: «Als Maler findest du leichter ein Atelier, weil man die nicht hört.» Auch, dass es keinen «gescheiten Metzger und Bäcker» mehr gibt, sei schade. «Mir gefällt auch nicht, wenn sich verschiedene Ethnien in Nischen verschanzen.» Den demografischen Wandel in seinem Viertel beobachtet er dagegen mit einer Art optimistischer Spannung. «Früher sind die gebildeten Alten ja von hier weggegangen», sagt Trepte, «das scheint sich jetzt zu ändern.» Ein ehemaliger Mathelehrer von ihm ist in der Nachbarschaft eingezogen. «Den Lebensabend hier in Gostenhof verbringen – das will ich ja auch.»

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