Hier ist jeder mittendrin: Besuch in einer integrativen Kinderkrippe

29.12.2019, 06:00 Uhr
Ein Lieblingsplatz: Vom großen Spiegel in der integrativen Kita "Goldbachbärchen" ist die kleine Greta - und ihre Mama - sehr gerne.

© Foto: Michael Matejka Ein Lieblingsplatz: Vom großen Spiegel in der integrativen Kita "Goldbachbärchen" ist die kleine Greta - und ihre Mama - sehr gerne.

Aufmerksam betrachtet sich die Dreijährige, fasst mit den Händen an die Glasfläche und albert mit ihrer Mutter Katrin S. herum, die beim Faxen-Spiel gerne mitmacht. Der Spiegel im Gruppenraum der integrativen Kinderkrippe "Goldbachbärchen" in Gleißhammer ist ein Lieblingsort – doch die Kleine mit dem niedlichen Lockenkopf fühlt sich überall in der Kita wohl. Selbstbewusst marschiert sie zum Teppich auf der anderen Seite des Zimmers, holt sich eine Holzbox mit Spielsachen und freut sich, dass bald andere Kinder mit dazukommen.

Die Mädchen und Jungen stört es nicht, dass Greta, die mit einer doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auf die Welt gekommen ist, anders aussieht und mit ihren drei Jahren noch kaum spricht. Bei den "Goldbachbärchen", einer integrativen Einrichtung des Vereins für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg, verbringen Kinder mit und ohne Behinderung den Tag zusammen. Sie spielen, sie essen, sie machen gemeinsam Mittagspause: Von den zwölf Krippenplätzen ist ein Drittel für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf reserviert. Alle Kinder werden individuell gefördert – nach der Pädagogik von Maria Montessori. "Hilf mir, es selbst zu tun" ist das Motto. Kita-Leiterin Doris Kellermann und ihre Kolleginnen helfen ihren Schützlingen dabei, Selbstständigkeit und Autonomie zu entwickeln.


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Der integrative Ansatz ist laut Doris Kellermann ein Gewinn für alle: "Die Kinder lernen voneinander. Und sie nehmen den anderen so, wie er ist." Rücksicht und Toleranz, dies üben die Kinder ohne Behinderung quasi täglich ganz nebenbei ein. Und die Kinder mit Handicap werden nicht ausgeschlossen, sondern gehören ganz selbstverständlich mit dazu. Die Kita-Leiterin nennt ein Beispiel: An der kleinen Rutsche im Gruppenraum blieb Greta vor einigen Tagen liegen und machte es sich dort gemütlich. Die anderen Kinder rutschten eben an Greta vorbei oder bremsten vorher ab. Doris Kellermann sagt: "Greta ist Teil der Gruppe. Sie ist mittendrin — und macht sich bemerkbar."

Und auch Gretas Mutter sagt, dass ihr Kind seit der Aufnahme in der Kita einen Sprung in der Entwicklung gemacht hat: "Sie ist eine schwierige Esserin und tut sich mit dem Kauen schwer. Dank der Krippe hat sie hier große Fortschritte gemacht." So nahm Greta in der Kita anfangs nur Brei zu sich. Eines Tages gab es Kirschmichel, der allen gut schmeckte — und Greta machte sehr schnell ihren Willen deutlich. "Sie hat schnell gemerkt, dass die anderen keinen Brei essen. Greta hat auf den Kirschmichel gezeigt und durfte natürlich auch mitessen", berichtet Doris Kellermann und lacht.

Das Loslassen war nicht einfach

Besonders aufregend sei die Eingewöhnungszeit für Greta nicht gewesen. Doch ihre Mutter berichtet freimütig, dass ihr das Loslassen anfangs nicht so leichtgefallen ist. "Die ersten Wochen war ich nicht so entspannt und habe ständig auf einen Anruf gewartet, dass es Greta nicht gut geht – doch dieser Anruf kam nicht." Auch der Verein für Menschen, der an sieben Standorten integrative Kitas betreibt, hat den Eindruck, dass Eltern von Kleinkindern mit Behinderung hier eher zögerlich sind. Die Nachfrage nach Plätzen für Kinder mit Förderbedarf ist im Kindergarten deutlich größer als in der Kinderkrippe. Dabei werden speziell die Kinder mit Handicap in der Krippe besonders gefördert. So unterstreicht Carola Hahn, die beim Verein für Menschen für die pädagogische Leitung zuständig ist: "Wir können sehr individuell auf jedes einzelne Kind eingehen." Zudem schaut der heilpädagogische Frühdienst einmal in der Woche vorbei und fördert die Kinder mit Behinderung.


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Katrin S. ist froh, dass sie und ihr Mann sich für diese Krippe entschieden haben. Greta ist nicht nur beim Essen experimentierfreudiger. "Sie ist viel wacher und quirliger", sagt die 35-jährige Mutter.

Dabei hatte das Kind einen schweren, ja dramatischen Start ins Leben. Greta kam als Frühchen auf die Welt, lag in ihren ersten sieben Lebenswochen auf der Intensivstation, musste wegen ihrer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vier Operationen überstehen und hat eine allgemeine Entwicklungsverzögerung. "In ihrem ersten Lebensjahr ging es nur darum, in dieser Welt anzukommen und das Essen und Trinken zu lernen", sagt Katrin S. – auch für sie und ihren Mann war das mitunter eine harte Zeit.

Doch die 35-Jährige ist kein Mensch, der mit dem Schicksal hadert. "Greta ist so fröhlich und robust", betont die Mutter. In der Kita hat Greta schon lange ihren Platz gefunden – vor dem Spiegel oder auf dem Teppich im Spiel mit den anderen Kindern.

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