Hunger auf Neues: Was das Hirn am sichersten jung hält

16.4.2018, 19:09 Uhr
Hunger auf Neues: Was das Hirn am sichersten jung hält

© Bild: colourbox.de

"Schrecklich, mein Gedächtnis lässt mich im Stich!" Wir suchen nach einem Begriff, ein Name will uns partout nicht einfallen. Besonders Älteren geht das so, denn das Gehirn altert mit, graue und weiße Zellen sterben ab. Die gute Nachricht: Die Lebenserfahrenen nehmen mehr Muster wahr
als nur Einzelinformationen, so dass sie in der glücklichen Lage sind, den Überblick zu behalten, sagt Neurowissenschaftler Martin Korte. "Weisheit ist die Fähigkeit, intuitiv zu wissen, auf was wir nicht achten müssen." Sein neues Buch trägt den Titel: "Wir sind Gedächtnis: Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind."

Hunger auf Neues: Was das Hirn am sichersten jung hält

© Foto: Karin Becker/Kortizes

Natürlich lässt die Reaktionsgeschwindigkeit mit zunehmendem Alter messbar ab. Tröstlich dabei: "Ein 70-Jähriger reagiert am Steuer immer noch schneller als ein 20-Jähriger, der zugleich am Handy spielt." Der Professor an der TU Braunschweig, einst Schüler des prominenten Hirnforschers Wolf Singer am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, berichtet von einer kanadischen Studie mit Probanden am Flugsimulator. In der Tat lernten Jüngere schneller und reagierten prompter auf plötzliche Gefahren, gleichwohl wurden die über 60-Jährigen nach längerer Übung immer besser. Und sie hatten besser im Blick, was nötig ist, um Kollisionen insgesamt aus dem Weg zu gehen.

Genetische Veranlagung nicht so entscheidend wie angenommen

Doch welche Faktoren beeinflussen die Leistungsfähigkeit des Gehirns? Der genetische Anteil sei früher eindeutig zu hoch bewertet worden, meint Korte. Die Veranlagung sei in Wahrheit viel weniger wichtig als Umwelteinflüsse. Damit meint er Dinge wie Diabetes, Übergewicht, aber auch schlechte Bildung und Ernährung sowie hohen Stress.

Umgekehrt belohnt das Gehirn den Menschen dafür, dass er immer wieder Neues beginnt. Korte: "Die Nervenzellen leben umso länger, je mehr sie beansprucht werden — ganz anders als Kniegelenke." Deshalb ermuntert er Ältere, neue Aktivitäten zu wagen. Wer davor zurückscheut, zum Beispiel aus Angst vor Fehlern, lasse das eigene Potenzial darben. "Wir brauchen in der Gesellschaft eine andere Fehlerkultur", fordert er. Der Mensch, der alle Fehler begangen hat, die überhaupt möglich sind, wird zum wahren Experten."

Neugierde hält jung

In dieselbe Richtung geht das Plädoyer von Henning Beck für "kluge Fehler im Denken". Der Biochemiker und Neurowissenschaftler singt ein Loblied auf die Neugierde, denn sie halte jung. Er sieht das Hirn als fehlerhafteste und zugleich innovativste Struktur überhaupt, als ein streng hierarchisches Unternehmen — ohne Boss. Auf die Frage, was wirkliche Unternehmen am besten tun, um ideenreiche Mitarbeiter zu fördern, antwortet er: Firmen sollten geschützte Bereiche bieten, wo in unterschiedlichen Richtungen kreative Projekte ausprobiert werden. Von zentraler Bedeutung sei der Austausch über kulturelle Grenzen hinweg. "Am besten, ich frage jemanden, der sich bei dem Thema überhaupt nicht auskennt." Dabei kämen die Geistesblitze.

Und beim Musizieren und Tanzen, empfiehlt Eckart Altenmüller. Der Mann aus Hannover hat eine seltene berufliche Kombination, denn er ist Flötist, Direktor des Instituts für Musikphysiologie an der dortigen Musikhochschule — und Neurologe. Schon nach wenigen Minuten wirke das Musizieren trotz großartiger Koordinationsleistung wie Balsam für das Hirn: Es wirke stressmindernd, fördere die Anpassungsfähigkeit des Gehirns und die Kapazität des Gedächtnisses.

Das Symposium Kortizes widmet sich im nächsten Jahr dem Thema "Hirn im Glück — Freude, Liebe Hoffnung im Spiegel der Neurowissenschaften" vom 17. bis 19. Mai 2019.

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