Millionenschaden

Immer mehr Telefonbetrug: Hier spricht ein falscher Polizist mit seinem Opfer

27.7.2021, 05:59 Uhr
Seit Anfang des Jahres 2021 hat die Polizei Mittelfranken bereits mehr als 2000 betrügerische Anrufe bei Senioren registriert.

© Bodo Marks, NN Seit Anfang des Jahres 2021 hat die Polizei Mittelfranken bereits mehr als 2000 betrügerische Anrufe bei Senioren registriert.

Claus D. hat einfach mal so getan, als ob. Er spielt mit, als der angebliche Kripo-Mann bei ihm zu Hause anruft. D. mimt den um sein Vermögen besorgten Bürger und der Mann in der Leitung den Ermittler. D. kennt die Masche, berichten Medien doch regelmäßig über falsche Polizisten. Er ist allerdings erstaunt, mit welcher Raffinesse der angebliche Herr Krambach von der Kripo in Nürnberg vorgeht. Der Anrufer spricht glasklares Hochdeutsch. Um die psychologisch-gerissene Gesprächsführung festzuhalten, schneidet D. den Anruf mit. Die Audio-Datei hat er der Redaktion zur Verfügung gestellt, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Zweifel verblassen

Die Masche ist mit leichten Abwandlungen immer gleich: Der falsche Beamte stellt sich mit Namen vor, fragt, ob der Angerufene Herr D. sei, wohnhaft in der Straße soundso. Die Angaben fischte der Täter zuvor aus dem Telefonbuch oder Internet. Das erkennen aber die wenigsten. Zweifel, ob das wirklich die Polizei ist, verblassen oder lösen sich ganz auf. "Wir müssen Ihnen mitteilen, dass wir vor kurzem zwei Osteuropäer festgenommen haben, bei denen wir einen Zettel mit ihrem Namen und Ihrer Adresse sowie einen Hinweis auf ein Schließfach fanden." Dann die Fragen, ob es tatsächlich ein Schließfach gibt, bei welcher Bank und was sich im Schließfach befindet - Geld, Münzen, Schmuck, Goldbarren?

D. macht falsche Angaben, ködert den Täter. Der wiederum versucht auszuloten, welche potenzielle Beute ihm winken könnte. Und erhöht den Druck, sagt, dass die Wertgegenstände nicht mehr sicher seien, weil Bankmitarbeiter bei genau dieser Filiale mit besagten Osteuropäern unter einer Decke stecken. Der Betrüger behauptet, das der Inhalt im Schließfach am Besten der Polizei gegeben werden müsse. D. müsse das Schließfach leeren und den Inhalt in einer Tasche nach Hause bringen. Ein Kollege würde die Tasche abholen und an einem sicheren Ort verwahren. Der Betrüger fragt D. auch, ob er ein Handy habe. D. verneint. Der falsche Polizist fragt, wie lange D. brauche, bis er von der Bank wieder da sei. Antwort: eine gute halbe Stunde. So lange wolle der angebliche Herr Krambach die Telefonverbindung halten, D. solle sich nach der Rückkehr sofort wieder am Telefon melden.

Betrüger-Boss geht Ermittlern ins Netz

Doch D. ruft auf seinem zweiten Telefon die Polizei an. Bis er aber den richtigen Gesprächspartner an der Stippe hat, verrinnen wertvolle Minuten. Wenigstens der Abholer der Beute soll geschnappt werden. D. packt zwischenzeitlich Altpapier in eine Tasche, die er für den Abholer vor die Türe legen wollte. Doch die Absprache mit der Polizei gestaltet sich schwieriger, als erwartet. Erst 45 Minuten später stehen zwei Beamte in Zivil vor der Türe. Als er den Hörer des ersten Telefons wieder in die Hand nimmt, ist die Leitung tot. Ein Abholer ist weit und breit nicht zu sehen. Es kam zwar zur Anzeige, doch wie in den meisten dieser Fälle, stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren später ein.

Kein Wunder, agieren die Banden zum größten Teil vom Ausland aus. Im Dezember 2020 ist ein Betrüger-Boss den Ermittlern in der Türkei ins Netz gegangen. In einem Callcenter wurden 30 Mitarbeiter, die Telefon-Abzocke betrieben, festgenommen. 1,5 Millionen Euro in bar, fünf Kilo Gold, Luxusautos, Uhren, Schmuck und Schusswaffen wurden sichergestellt. Federführend in dem Verfahren war die "AG Phänomen" des Polizeipräsidiums München.

Hohe Dunkelziffer

Ob das weitere Täter abschreckt? Fehlanzeige. Die Zahlen in diesem Deliktsbereich steigen. "Wenn den Ermittlungsbehörden ein derartiger Erfolg wie im Dezember gelingt, ist das ein empfindlicher Schlag, aber nicht das Ende allen Übels", sagt Wolfgang Prehl, Sprecher im Polizeipräsidium Mittelfranken. "Es gibt unterschiedliche Gruppen, die oft mehrere Callcenter betreiben, und es kommen immer weitere hinzu." Warum? Weil Ermittlungen im Ausland oft schwierig sind, die Täter sich dort in Sicherheit wiegen und diese Betrugsmasche aus Sicht der Kriminellen noch immer sehr erfolgversprechend ist.

"Wir werden seit Ende 2020 mit einer steigenden Anzahl von betrügerischen Anrufen konfrontiert​​​​​​. Gerade in den letzten acht Wochen müssen die Ermittler feststellen, dass kaum Tage vergehen, an denen nicht mehrere Dutzend dieser Anrufe von Betroffenen an die Polizei gemeldet werden", berichtet Prehl. ​Mehr als 2000 solcher Anrufe hat die Polizei in Mittelfranken seit Beginn des Jahres registriert. "Die Dunkelziffer der Betrugsversuche dürfte nochmals höher liegen, da nicht alle Anrufe der Polizei gemeldet werden."

Schadenshöhe beträgt 1,2 Millionen Euro

Bei einem Erfolg gelingt den Tätern oft auf einen Schlag große Beute. "Es kommt immer wieder vor, dass die Opfer den Tätern Bargeld und Wertgegenstände im Wert von mehreren zehntausend Euro aushändigen", sagt der Polizeisprecher. Im vergangenen Jahr entstand alleine in Mittelfranken ein Schaden in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Prehl: "Bereits zum jetzigen Zeitpunkt beläuft sich die geschätzte Schadenshöhe in einem hohen sechsstelligen Bereich." Die Prognosen verheißen nichts Gutes. "Wir müssen davon ausgehen, dass bis Jahresende der Vorjahreswert sogar noch übertroffen wird."