Jenseits des harten Lebens auf der Straße

19.12.2014, 21:53 Uhr
Jenseits des harten Lebens auf der Straße

© F.: Michael Matejka

Eigentlich hätte Mikes* Leben anders laufen sollen. Mit seiner Ehefrau, den beiden gemeinsamen Kindern, dem Job als Stahlformenbauer. Doch dann ging alles schief. „Mit der Scheidung wurde alles anders“, sagt Mike, der heute 44 Jahre alt ist. Mit zwei Taschen unter dem Arm verließ er sein sicheres Leben und versuchte, sich etwas aufzubauen. Job, eine neue Wohnung waren da. Nur der Halt fehlte, was ihn irgendwann gefährlich nah an den Abgrund führte, in den er bis heute blickt. „Ich habe schon früher hin und wieder mal Drogen genommen“, sagt er heute. Gewohnheit sei es nie gewesen.

Doch nun rutschte er immer mehr in ein Leben im Rausch und lernte schließlich Heroin kennen. „Es machte am Anfang alles so warm.“ Ihre Fratze zeigte die Droge dann aber doch und warf Mike schließlich endgültig aus der Bahn. Etwa 14 Jahre ist es her, dass er seinen Job verlor. Die Wohnung ist längst weg, alles andere auch, geblieben ist die Sucht und der tägliche Kampf damit. Dazwischen immer wieder der Versuch, davon loszukommen — bisher erfolglos.

Doppelt stigmatisiert

Er gehört zu den vielen Stammgästen der „Hängematte“ und kommt schon seit Jahren zu der Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige, die es bereits seit 1987 gibt. Dort gibt es einen Kontaktladen und Sozialpädagogen, die sich Geschichten anhören, die zuweilen nur schwer auszuhalten sind. Wer hierherkommt, der steht auf der sozialen Leiter weit unten — und lebt mit einem doppelten Stigma: Abhängigkeit von illegalen Drogen und Obdachlosigkeit. Die Öffentlichkeit dreht sich da lieber weg, als nach dem Warum zu fragen.

In der „Hängematte“ ist die Welt ein Stück weit heil geblieben. „Wir versuchen, ein Schutzraum vor der Drogenszene zu sein“, wie der Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins, Peter Groß, sagt. Dazu gehören auch 18 Schlafplätze. Die Menschen können sich duschen und Wäsche waschen. Jeden Abend ist um 22 Uhr Einlass. Wie jede andere Notschlafstelle in der Stadt, ist aber auch die „Hängematte“ jede Nacht voll.

Dennoch soll sie keine Dauerlösung sein, wie Peter Groß sagt. „Die Leute können maximal 50 Tage am Stück kommen, dann müssen sie zwei Monate lang pausieren.“ Das sei sicher hart. „Aber ansonsten würden wir zur WG. Wir wollen die Menschen aber motivieren, etwas anderes zu finden.“ Auch wenn das fast unmöglich geworden ist. Günstiger Wohnraum wird immer knapper, während immer mehr darauf angewiesen sind. Abhängige haben da kaum eine Chance.

„Wer will schon einem Junkie eine Wohnung vermieten“, wie Akan sagt. In den Augen der anderen sei man nur ein Abhängiger. Der 40-Jährige hat einen guten Blick für die Dinge. Sein überschaubar gewordenes Leben zwischen Nachtasyl und Bahnhof beschreibt er ohne jedes Selbstmitleid. Drogen gehörten schon zu seinem Leben, als er ein Teenager war, und sollten es zuerst lustiger, dann erfüllter machen. Am Ende waren sie nur noch eine Last.

„Ich habe den klassischen Weg hinter mir. Cannabis, Amphetamine, Trips, irgendwann Heroin.“ Dazwischen Quali, eine Ausbildung, Jobs, der Abrutsch in die Abhängigkeit, sechs Jahre clean, dann der Rückfall — auch in die Kriminalität, verbunden mit Haftstrafen wegen Diebstahls und ständigen Schwarzfahrens.

Der 24 Jahre lange Konsum harter Drogen hat längst seine Spuren hinterlassen. Kaum zu glauben, dass er einst ein leidenschaftlicher Fußballer war. Heute wirkt der gepflegte 40-Jährige vor allem gebrechlich. Seit ein paar Jahren wird er zudem immer wieder von Schimpfwort-Attacken heimgesucht, die ihm das Tourette-Syndrom beschert, an dem er inzwischen leidet. Kontrollieren kann der Frührentner seine verbalen Ausfälle nicht.

Dennoch kennen auch solche Lebensgeschichten winzige Lichtblicke: Seit einem Dreivierteljahr bekommt Akan von seinem Arzt täglich Methadon. „Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich heute schon einen acht-Stunden-Tag im Lager schaffen könnte.“

Immer auf der Suche

Gabi, eine der wenigen Frauen in der „Hängematte“, landete nach ihrer Scheidung auf der Straße und bei harten Drogen. Sie rutschte ab, verlor die Kontrolle über ihr Leben. „Irgendwann wollte ich da einfach nur noch raus“, sagt sie. Das ist lange her. Inzwischen ist die 49-Jährige clean, wie sie sagt. Eine Wohnung hat sie bis heute nicht. „Man sucht eigentlich den ganzen Tag, wo man abends hin kann“, sagt sie. Auch wenn sie immer versucht, in der Hängematte unterzukommen. Hier kann man sich etwas zu essen machen, reden, durchatmen.

Aus dem Drogen-Milieu ist sie trotz ihrer Heroin-Abstinenz nicht wirklich herausgekommen. „Es ist schwierig, man kennt ja nur die Leute“, sagt sie. Träume hat sie freilich dennoch. Eine Wohnung, einen Job — ein normales Leben, das auch Mike einst hatte. Der träumt heute davon, in ein Substitutionsprogramm zu kommen. Weihnachten wird er in der „Hängematte“ feiern. So wie viele andere.

 

Mit Beispielen wie dem Schicksal der drei Hängematten-Besucher bittet „Freude für alle“ um Spenden für Hilfsbedürftige in unserer Region.

Die Spendenkonten:

Sparkasse Nürnberg: DE63 7605 0101 0001 1011 11;

Sparkasse Fürth: DE96 7625 0000 0000 2777 72;

Sparkasse Erlangen: DE28 7635 0000 0000 0639 99;

Postbank Nürnberg: DE83 7601 0085 0400 0948 54.

Für Einzahlungen bis zu 200 Euro gilt der Beleg auch als Bestätigung für das Finanzamt. Für zweckgebundene Zuweisungen bitte Fallnummer angeben. Barspenden nehme gerne (und natürlich gebührenfrei) die Geschäftsstellen der Zeitung in der Mauthalle Nürnberg, in Fürth (Rud.-Breitscheid-Str. 19) und Erlangen (Hauptstr. 38) an.