"Krieg und Frieden": Memorium Nürnberger Prozesse zeigt erste Wechselausstellung

20.4.2021, 09:37 Uhr
Kurator Steffen Liebscher freut sich auf die erste Wechselausstellung im neuen Cube 600. Das an das Konzept eines weißen Würfels (White Cube) angelehnte Gebäude befindet sich gegenüber dem Memorium Nürnberger Prozesse. Es bietet künftig Raum für weitere kostenlose Wechsel- und Wanderausstellungen.  

© Michael Matejka, NNZ Kurator Steffen Liebscher freut sich auf die erste Wechselausstellung im neuen Cube 600. Das an das Konzept eines weißen Würfels (White Cube) angelehnte Gebäude befindet sich gegenüber dem Memorium Nürnberger Prozesse. Es bietet künftig Raum für weitere kostenlose Wechsel- und Wanderausstellungen.  

Keine Angst: Sämtliche Bilder, verspricht Kurator Steffen Liebscher, werden rechtzeitig an den vorgesehen Plätzen hängen. Mit den Aufnahmen des sowjetischen Fotografen Ewgenij Chaldej von Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs und dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zeigt das Memorium Nürnberger Prozesse vom 23. April bis zum 20. Juni erstmals eine Wechselausstellung.

Die Räumlichkeiten des Cube 600, dessen Name an den Saal 600 angelehnt ist, haben Liebscher längst durch ihren "Industrie-Charme" überzeugt. Bevor die einst blauen Fassaden weiß angestrichen wurden, befand sich hier eine Kfz-Werkstatt. Zahlreiche Spuren am Boden deuten noch auf die Vorgeschichte des Gebäudes hin. Für Liebscher sind sie dennoch ideal, um das Angebot des Memoriums deutlich auszuweiten.

Der 38-jährige wissenschaftliche Mitarbeiter bedauert, dass der Cube 600 nicht schon im vergangenen Jahr eröffnet werden konnte. Ob Chaldejs historische Fotos überhaupt live betrachtet werden können, ist in Corona-Zeiten alles andere als sicher. Dabei macht für Liebscher doch gerade die Möglichkeit, Objekte aus nächster Nähe betrachten zu können, den Reiz einer Ausstellung aus.

Sowjetische Flagge auf dem Berliner Reichstag

Ewgenij Chaldej (1917-1997) zählt zu den bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder bezeugen das verheerende Ausmaß des Zweiten Weltkriegs, aber auch die Bemühungen um eine Aufarbeitung und einen Neubeginn in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Als Kriegsfotograf der Roten Armee dokumentierte Chaldej verschiedene Schauplätze in der Sowjetunion, den Vormarsch der Roten Armee und die Einnahme von Städten wie Budapest und Wien. Weltbekannt machte ihn seine Aufnahme vom Hissen der sowjetischen Flagge auf dem Berliner Reichstag 1945. Nach Kriegsende erhielt er den Auftrag, die Stadt Nürnberg und den Hauptkriegsverbrecherprozess zu fotografieren.

Chaldej hat nicht nur das Grauen des Krieges dokumentiert – eine Aufnahme zeigt Überlebende der deutschen Besatzung in Rostow am Don beim Versuch, ihre getöteten Angehörigen zu identifizieren. Er hat auch immer wieder ungewöhnliche Perspektiven eingenommen.

So zeigt er Frauen, die sich den Trümmern der fast vollständig zerstörten Stadt Sewastopol sonnen. Ein anderes Motiv nimmt ein von sowjetischen Soldaten auf den Namen Jascha getauftes Rentier während der Verteidigung von Murmansk in den Blick. Chaldej kombinierte die Aufnahme mit einem Foto britischer Jagdflugzeuge "Hawker Hurricane".

Nazi-Größen bei der Pause

Beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg fotografiert er den Richtertisch samt Notizen, Mikrofon und Tonanlage. Ein anderes Mal hält er drauf, als eine Gruppe Angeklagter, darunter Hermann Göring, Wilhelm Keitel und Alfred Jodl, beim entspannten Plausch in einer Verhandlungspause zusammensteht.

Die Stadt Nürnberg erinnert mit 30 Aufnahmen Chaldejs – allesamt Leihgaben seiner Tochter Anna Y. Chaldej – an den 76. Jahrestag des Kriegsendes. Sechs Farbfotografien des sowjetischen Fotografen Nikolai Petrow aus dem Russischen Staatsarchiv für Film- und Fotoaufnahmen in Krasnogorsk ergänzen die Ausstellung und verdeutlichen die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs in der von Luftangriffen fast völlig zerstörten Stadt Nürnberg. Alle Texte und Beschriftungen gibt es auf Deutsch, Englisch und Russisch.

Digitale Eröffnung

Die Wechselausstellung wird am Donnerstag, 22. April, um 19 Uhr mit einer digitalen Veranstaltung via "Zoom" eröffnet, bei der unter anderem der russische Botschafter Sergej J. Netschajew sprechen wird. Kurator Steffen Liebscher hält anschließend einen Vortrag über die Ausstellung und zeigt ausgewählte Werke.

Die Veranstaltung ist kostenlos. Zur Teilnahme ist eine E-Mail an memorium@stadt.nuernberg.de erforderlich, damit ein Link zur Veranstaltung zugeschickt werden kann.

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