Kurt Albert: Vor zehn Jahren verunglückte fränkische Kletter-Legende tödlich

11.11.2020, 05:22 Uhr
Kurt Albert brachte den Freikletter-Stil nach Franken. 

© oh Kurt Albert brachte den Freikletter-Stil nach Franken. 

Es ist Ossi Schmitt, der den zwölfjährigen Kurt Albert 1966 mit dem Klettervirus infiziert. Immer sonntags nach der Frühmesse fährt der Nürnberger Jesuitenpater in einem Kleinbus mit seiner Jugendgruppe des Caritas-Pirckheimer-Hauses in die Hersbrucker oder in die Fränkische Schweiz und zeigt Kurt und seinen Freunden die wichtigsten Kletter- und Sicherungstechniken. Bald kann Ossi Schmitt Kurt und seinen Freunden nichts mehr beibringen. Sie schließen sich der Alpenvereins-Sektion Nürnberg an.

Der am 28. Januar 1954 geborene und in der Nürnberger Südstadt aufgewachsene Junge will bald höher hinaus. Und das, obwohl er ein zunächst eher schmächtiges Kind ist, das zwar gute Noten in Mathe und Deutsch heimbringt, im Fach Leibesübungen als Grundschüler aber nur ein "befriedigend" schafft.

Albert, der nach der Mittleren Reife an der damaligen Veit-Stoß- und heutigen Adam-Kraft-Realschule ans Fürther Hardenberg-Gymnasium wechselt, durchsteigt bereits als Schüler schwere Touren in den Alpen: Die Eiger-Nordwand oder den Walker-Pfeiler an der Grand Jorasses zum Beispiel.

Die "jungen Wilden" fliegen hochkant aus dem Verein

Mit anderen fränkischen Vertikal-Sportlern, darunter Werner Zinsmeister und Wolfgang "Flipper" Fietz, erlebt er eine ereignisreiche Jugend. Ausgelassene Feiern gehören freilich dazu: Auf der Thalheimer Hütte der DAV-Sektion Nürnberg übertreiben es die jungen Männer offenbar: Sie geraten bei einer Übernachtung mit älteren Sektionsmitgliedern derart in Streit, dass Kurt Albert und seine Freunde den Verein verlassen müssen. Die Konkurrenz-Sektion Noris nimmt die Talente mit Handkuss auf.

Nach dem Abitur muss Kurt Albert zunächst zur Bundeswehr, dann studiert er in Erlangen Mathe und Physik auf Lehramt. In dieser Zeit reist er in die großen Nationalparks in den USA und ins Elbsandsteingebirge, das damals noch hinter dem Eisernen Vorhang liegt.

Ein Kletterpartner, der schmerzlich vermisst wird: Der gebürtige Nürnberger Kurt Albert (rechts vorne) war oft mit Stefan Glowacz (Mitte) und dem Forchheimer Holger Heuber unterwegs. Das Foto stammt aus dem Buch von Stefan Glowacz: "Expeditionen - Extremklettern am Ende der Welt, Delius-Klasing Verlag, 2011. Foto: Klaus Fengler

Ein Kletterpartner, der schmerzlich vermisst wird: Der gebürtige Nürnberger Kurt Albert (rechts vorne) war oft mit Stefan Glowacz (Mitte) und dem Forchheimer Holger Heuber unterwegs. Das Foto stammt aus dem Buch von Stefan Glowacz: "Expeditionen - Extremklettern am Ende der Welt, Delius-Klasing Verlag, 2011. Foto: Klaus Fengler © Klaus Fengler

Vor allem die Begegnung mit den sächsischen Kletterkollegen, die ohne technische Hilfsmittel klettern, Seile und Schlingen nur zum Absichern der Kletterer verwenden, beeindruckt den Nürnberger. Er will das Freiklettern auch in Franken und den Alpen etablieren. Dort wird oft mit technischen Hilfsmitteln, zum Beispiel Trittschlingen gearbeitet. Alle Routen, die Albert und seine Freunde in diesem minimalistischen Stil durchsteigen, kennzeichnen sie mit einem roten Punkt, den sie auf den Felsen tupfen.

Die Rotpunktbewegung ist geboren

Die Rotpunktbewegung ist geboren. Die Szene, die immer internationaler wird, trifft sich gerne in der Wohngemeinschaft von Kurt Albert, Norbert Sandner und deren Freundinnen in Oberschöllenbach (Gemeinde Eckental). Ikonen des Freikletterns, darunter Lynn Hill aus den USA oder Jerry Moffatt aus England, geben sich im "Hotel Frankenjura" die Klinke in die Hand.

Der Sport nimmt in den 1980er- und 1990er-Jahren eine rasante Entwicklung. Wolfgang Güllich klettert 1991 mit der "Action Directe" im Krottenseer Forst bei Königstein die erste Route im elften Schwierigkeitsgrad. Für Kurt Albert, der zwar ebenfalls extrem gut klettert, ist sie aufgrund seines völlig anderen Körperbaus nicht machbar.

Er konzentriert sich auf Expeditionen und Erstbegehungen in fernen Ländern: Himalaya, Pakistan, Patagonien, Baffin Island, Madagaskar, Venezuela: Über dreißig Jahre lang ist Kurt Albert quasi nonstop rund um den Erdball unterwegs.

Seine Partner auf den abenteuerlichen Unternehmungen sind häufig der Franke Holger Heuber und der Oberbayer Stefan Glowacz. In vielen Vorträgen, unter anderem auf dem Fernweh-Festival in Erlangen, haben die drei von ihren Erstbegehungen berichtet.

Sein letztes Projekt ist die Besteigung des Roraima Tepui, ein über 2800 Meter hoher Tafelberg in Venezuela. Beim ersten Versuch im Frühling 2010 scheitern Albert, Heuber und Glowacz. Den zweiten, erfolgreichen Anlauf im November 2010 erlebt der gebürtige Nürnberger nicht mehr. Heuber und Glowacz durchsteigen die 16 Seillängen im oberen neunten und zehnten Schwierigkeitsgrad alleine. Ihr Freund hätte das gewollt, sind sie sich sicher.

Fotoalben und Tourenbücher durchforstet

Tom Dauer, der selbst mit der Kletterlegende wochenlang im Basislager am Fitz Roy in Patagonien auf gutes Wetter wartete, hat ausführlich recherchiert: Er hat nicht nur das von Kurt Albert herausgegebene Standardwerk zum Klettersport in Franken "Fight Gravity" gründlich gelesen, sondern auch mit Angehörigen, Freunden und Weggefährten von Kurt Albert gesprochen. Außerdem durchforstete er unzählige Tourenbücher, handschriftliche Aufzeichnungen und Fotoalben.

Entstanden ist ein facettenreiches Porträt eines Ausnahmetalents, der bis zu seinem Tod Klettern als seinen Lebensinhalt sah. In "Frei denken – frei klettern – frei sein", hakt Autor Dauer nicht nur die Meilensteine der sportlichen Karriere ab, er nähert sich auch dem Menschen Kurt Albert. Humorvoll, zurückhaltend, großzügig und selbstironisch – so charakterisieren ihn seine Freunde. Sie hätten auch in schwierigsten Situationen auf ihren Expeditionen nie gestritten, berichtet etwa Stefan Glowacz. Als Freigeist und jemanden, der sich nicht in gesellschaftliche Raster stecken lässt, beschreiben ihn viele andere. Und tatsächlich: Während viele seiner früheren Weggefährten in anderen Berufen Karriere machten und Familien gründeten, lebte Kurt Albert seinen Lebenstraum vom Klettern bis zu seinem tragischen Tod im Hirschbachtal.

Tom Dauer: "Kurt Albert. Frei denken – frei klettern – frei sein". Tyrolia-Verlag, 336 Seiten, 29,95 Euro.

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