Lucas Fassnacht: „Viele Leute haben Angst davor, sich zu binden“

1.10.2013, 00:00 Uhr
Der Poetry Slammer Lucas Fassnacht startet durch: Er hat seinen Debüt-Roman veröffentlicht und startet zwei Veranstaltungsreihen.

© Bilderbube/Sven Rödig Der Poetry Slammer Lucas Fassnacht startet durch: Er hat seinen Debüt-Roman veröffentlicht und startet zwei Veranstaltungsreihen.

Herr Fassnacht, wie würden Sie Poetry Slam jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?

Lucas Fassnacht: Poetry Slam ist ein Live-Literaturformat, bei dem das Publikum entscheidet, welcher der Teilnehmer, die jeweils eigene Texte lesen, gewinnt. Dadurch hat so ein Abend oft Event- oder Showcharakter. Weil es ja darum geht, das Publikum für sich einzunehmen, passiert auf der Bühne sehr viel. Requisiten sind nicht erlaubt, singen nur im Zitat. Aber du kannst den Körper einsetzen, mit der Stimme spielen, Faxen machen, gestikulieren, dich hinschmeißen, das Mikro umwerfen...

Wie groß ist die deutsche Poetry Slam-Szene?

Fassnacht: Es ist die zweitgrößte Bewegung weltweit nach den USA. In Deutschland ist Poetry Slam inzwischen schon sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen, fast jeder hat schon mal davon gehört. Inzwischen gibt es in jeder deutschen Großstadt einen Slam. Nürnberg war lange die einzige Großstadt, die nur einen Slam hatte: Den im K4.

Was macht einen guten Slammer aus?

Fassnacht: Dass er authentisch ist und nichts tut, nur weil es ankommt. Einen Text nur des Erfolges wegen zu machen, das befriedigt auf Dauer nicht. Ich war auf vielen Slams unterwegs und habe viele Texte gehört, deshalb traue ich mich zu sagen: Im lustigen Bereich ähnelt sich doch viel. Mann und Frau = Streit, das funktioniert immer. Aber ich finde das langweilig. Es gibt viele gute Slammer, die so arbeiten, aber die könnten viel mehr. Doch sie nehmen den einfachen Weg, der erfolgversprechend ist, bleiben dann aber hinter ihren Möglichkeiten zurück und nehmen sich selbst viel von dem Spaß, den man auf der Bühne haben kann.

Kann man von Poetry Slam leben?

Fassnacht: Die wenigsten leben nur als Slammer, sondern haben mehrere Standbeine, geben nebenher Workshops oder bieten VHS-Kurse an, moderieren, verkaufen Bücher. Ist bei mir ja auch so.

Ein schönes Stichwort: Ihr erster Roman heißt „Es geht immer nur um Sex“ und erscheint dieser Tage. Um was geht es?

Fassnacht: Da muss ich ein wenig ausholen. Sex ist für mich ein Kommunikationsmittel, und zwar das intimste und intensivste, das ich mir vorstellen kann. In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, wird Sex aber gerade durch die mediale Darstellung von Körperlichkeit reduziert auf nur mehr eine egozentrische Genussbefriedigung. Der kommunikative Part fällt da fast ganz weg. Dadurch wird der Partner zum Objekt oder gar zur Trophäe: „Wie viele One-Night-Stands hattest du?“ Das ist ein großes Problem in der Gesellschaft: Sich zu binden wird nicht mehr als etwas Positives wahrgenommen, sondern als Fessel und Gefängnis. Davor haben ganz viele Leute Angst, gerade in meinem universitären Umfeld merke ich das immer wieder. Da geht es viel mehr darum, sich selbst zu verwirklichen. Inzwischen gibt es ja sogar One-Night-Stand-Burnout, das nimmt immer mehr zu.

Ach was: Die jungen Menschen bekommen Depressionen, weil sie zu viel Geschlechtsverkehr haben?!

Fassnacht: Ein Freund von mir ist Psychologe, der hat mir neulich erklärt, dass das tatsächlich eine der derzeit gängigsten Burnout-Formen ist. Das heißt jetzt nicht, dass jemand fünf verschiedene Geschlechtspartner in der Woche hat, sondern einfach dass jemand viele oberflächliche Bindungen eingegangen ist in seinem Leben und irgendwann feststellen muss, dass die ihn alle nicht befriedigen. Er hat jedoch auch keine Möglichkeit, eine feste, verbindliche Beziehung aufzubauen, weil er es nie gelernt hat. So geht es auch Marius, dem Protagonist in meinem Buch, der eigentlich ganz klug und intelligent als Zyniker durch die Welt läuft und alles kritisch hinterfragt. Nur seine Sexualität nicht, die er sehr oberflächlich auslebt. Eben weil er Angst hat, sie anzunehmen als eine Möglichkeit, sich auszutauschen.

Sie veranstalten im Oktober eine neue Reihe in der Kulturkellerei: „Lucas Fassnacht plus X — Lesen für Bier“!

Fassnacht: Das Publikum darf Texte mitbringen: Einkaufszettel, Selbstgeschriebenes, Goethe-Zitate, wasauchimmer. Mein Gast und ich wählen Texte aus und tragen diese dann vor. Danach entscheidet das Publikum per Applaus, ob sie den Textvortrag oder die Textwahl besser fanden. Wenn die Besucher besser fanden, wie wir den Text vorgetragen haben, gewinnen wir ein Bier. Heißt es hingegen „der Text war cool, aber die Performance Mist“, dann kriegt derjenige, der den Text gestellt hat, einen ausgegeben. Die Idee ist, dass der Abend schön heiter wird, vor allem, wenn wir gut vorlesen und gleich am Anfang ein paar Bier gewinnen, die wir dann natürlich auch trinken. Dann wird es nach der Pause wahrscheinlich lustiger.

Wie trinkfest sind Sie?

Fassnacht: Nicht so sehr, das ist das Problem. Aber da muss ich durch.

Mit „Slam im Parks“ haben Sie ein zweites neues Format in der Pipeline.

Fassnacht: Das Parkcafé im Nürnberger Stadtpark hat neu aufgemacht und möchte künftig ein Kulturprogramm auf die Beine stellen. Da wir uns aber gar nicht in Konkurrenz mit dem Slam im K4 begeben wollen, versuchen wir, eine ältere Zielgruppe anzusprechen und das alles auch ein wenig gediegener aufzuziehen. Wir machen keine offene Bühne, sondern konzentrieren uns darauf, eine Show mit jeweils vier Gästen zu machen: erfahrene Slammer, die wir bewusst aussuchen und einladen. Das Niveau wird also sehr hoch werden.

Am Mittwoch, 2. Oktober, stellt Lucas Fassnacht um 20 Uhr in der Kulturkellerei, Königstraße 93, seinen Roman „Es geht immer nur um Sex“ vor. Die erste Runde von „Lucas Fassnacht plus X — Lesen für Bier“ steigt am 10. Oktober ab 20 Uhr in der Kulturkellerei, Königstraße 93. „Slam im Parks“, Berliner Platz 9, am 19. Oktober um 20 Uhr. www.lucasfassnacht.de
 

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