"Macht süchtig": So entstehen die Twitterperlen in Nürnberg

28.9.2020, 06:00 Uhr
Ihre modernen Büroräume könnten auch gut nach Berlin oder in eine andere hippe Großstadt passen - aber Dali Ivkovic (links) und Julian Kaufmann sind Wahl-Nürnberger. 

© Michael Matejka Ihre modernen Büroräume könnten auch gut nach Berlin oder in eine andere hippe Großstadt passen - aber Dali Ivkovic (links) und Julian Kaufmann sind Wahl-Nürnberger. 

Jeder, der im Internet unterwegs ist, hat mit ziemlicher Sicherheit schon mal so ein Bild mit einem lustigen Spruch drauf geschickt bekommen. Je nach persönlichem Humor und Situation vielleicht etwas wie "Dafür, dass Kinder so teuer sind, funktionieren sie eher schlecht" oder "Alles unter neun Stunden Schlaf ist Blinzeln" oder "Cholerische Delfine heißen Ausflipper".

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Bild seinen Ursprung in Nürnberg hatte, ist ziemlich groß. Denn hier, in einem Hinterhof im Stadtteil Gostenhof, sitzt die Digitalagentur dijk, deren Betreiber Dali Ivkovic, 39, und Julian Kaufmann, 33, neben vielen weiteren Projekten für die Internetseite "Twitterperlen" verantwortlich sind.

"Man muss es nur gut machen"

Das Prinzip der "Twitterperlen" ist einfach: Jemand schreibt bei dem Kurznachrichtendienst Twitter einen besonders guten Beitrag: besonders lustig, besonders treffend, besonders relevant. Die "Twitterperlen"-Betreiber kontaktieren den User und fragen um Erlaubnis, den Beitrag weiter verbreiten zu dürfen. Der Tweet wird zur "Twitterperle": ein Spruch in weißer Schrift auf hellblauem Grund, optisch sehr nah dran am Original-Look des Sozialen Netzwerkes, mit kleinem Vogel und allem.

Das Konzept ist nicht zwingend neu: Es gibt viele weitere Seiten im Internet, die genau das machen. "Aber man muss etwas nicht als Erster machen, man muss es nur gut machen", sagt Julian Kaufmann, einer der beiden Agenturbetreiber. Gegründet hat die Seite vor rund sieben Jahren sein Geschäftspartner Dali Ivkovic.

Damals hatte er noch einen anderen Job, las seinen Kollegen im Büro "nur so zum Spaß" lustige Tweets aus dem Netz vor. "Die Kollegen wollten dann immer noch einen und noch einen hören", sagt er. "Das macht süchtig." Um die Pausen-Unterhaltung mehr Leuten zugänglich zu machen, legte er eine Facebook-Seite an - und die "Twitterperlen" waren geboren.

Fränkische Humor-Phänomene

Das war 2013. Jahrelang teilte er dort täglich drei bis vier Tweets. Julian Kaufmann kam zunächst als Urlaubsvertretung hinzu. Seit 2018 sind die beiden zusammen mit der Digitalagentur dijk selbstständig und betreuen auch die "Twitterperlen" gemeinsam.

Neben dem "Postillon", der bekanntermaßen aus Fürth kommt, und dem selbsternannten Internet-Clown "El Hotzo" mit Wurzeln in der fränkischen Schweiz sind die "Twitterperlen" der beiden Wahl-Nürnberger ein weiteres fränkisches Humor-Phänomen, das deutschlandweit erfolgreich ist.

Und zwar so erfolgreich, dass es mittlerweile neben den zehn "Twitterperlen des Tages" auch noch Sammlungen der besten Tweets zu unterschiedlichsten Themen gibt - und das jeden Tag.

Unterstützt werden die beiden dabei von einer Handvoll Mitarbeitern, die teilweise in Nürnberg, teilweise aber auch in Berlin oder sogar den USA sitzen. "Deshalb hat sich an unserer Arbeitsweise durch Corona eigentlich kaum etwas verändert", sagt Kaufmann. Die Kommunikation mit den Redaktionsmitgliedern lief bereits vorher komplett digital. "Es hat sich höchstens mal jemand einen Monitor nach Hause geholt, um bequemer arbeiten zu können", sagt Ivkovic.

Corona trieb die Leute noch mehr in die Sozialen Netzwerke

Und auch sonst hat die Corona-Pandemie der Agentur im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben nicht unbedingt geschadet. "Es war eher so, dass Auftraggeber auf uns zugekommen sind, deren Messen jetzt beispielsweise ausgefallen sind, und die auf der Suche nach einer digitalen Alternative waren", erklärt Kaufmann. Wenn alles nur noch online stattfindet, ist man als Digitalagentur eben im Vorteil.

Und auch für die "Twitterperlen" bot und bietet die Corona-Pandemie unendlich viel Stoff. In einer nie dagewesenen Situation, in der alle Zuhause sitzen und auf Nachrichten warten, ist das Bedürfnis, sich online auszutauschen, enorm. Das trieb die Menschen noch mehr auf die Sozialen Netzwerke als üblich. "Und wenn auf der Welt irgendwas schlimmes passiert, wird jemand, der auf Twitter sowieso sehr aktiv ist, noch mehr posten als sonst", sagt Kaufmann.

Dass die Corona-Pandemie seit geraumer Zeit das dominierende Thema der "Twitterperlen" ist, liegt auf der Hand. Denn mit ihrer Auswahl wollen Ivkovc und Kaufmann das Geschehen in dem Sozialen Netzwerk bestmöglich abbilden, die Themen aufgreifen, die den Tag bestimmen. "Und die Welt ist eben nicht immer nur lustig", sagt Kaufmann.

Trotzdem bleibt die Seite ihrem Ursprung als kleiner Spaß zwischendurch treu: "Im Kern wollen wir immer noch unterhalten", so Ivkovic. Und so kommt es, dass auf der Seite manchmal "völlig alberne" neben "ernsten, aktuellen Themen" stehen. Lustige Einträge über den Familienalltag mit Kindern neben Beiträgen über sexuelle Belästigung, die "besten Tweets über Pizza" neben solchen über den Pflegenotstand, Flachwitze neben dem "Sturm auf Berlin".

Ein Nebeneinander, das nach Gefühl funktioniert. Ein durch jahrzehntelangen Aufenthalt im Internet geschärfter Gegenwartshumor hilft bei der Auswahl ebenso wie Vertrauen in das Gespür der Kollegen und Mitarbeiter. "Wenn einer unserer Redakteure ein Thema aufgreifen will, dann kann er das machen", sagt Kaufmann. Oft würden auch Themen aufgegriffen, die erwartungsgemäß keine großen Erfolg bei den Usern haben werden, aber relevant seien.

"Da sehen wir uns durch unsere Reichweite auch in einer gewissen Verantwortung", sagt Ivkovic. Schließlich haben die Twitterperlen-Auftritte etwa 550.000 Facebook-Follower, nochmal rund die Hälfte davon auf Instagram und 60.000 bei Twitter selbst. Zahlen, von denen manches Medium nur träumen kann.

"Das muss man aushalten können"

Und das ganz ohne Verpflichtung zur Neutralität: "Bei uns steckt immer Meinung mit drin, alleine durch die Auswahl der Themen", sagt Kaufmann. Das bedeute natürlich auch, dass man Kritik einstecken müsse. "Leider nur noch linke und unlustig moralisierende Tweets. Tschüss." lautet etwa eine von vielen Bewertungen der Facebook-Seite. Dass sie "linksgrün versifft" seien, müssen sich die beiden oft anhören. "Aber das muss man aushalten können", sagt Ivkovic.

Und das können die beiden offenbar gut - der Spaß an der Arbeit hilft sicherlich dabei. Derzeit probieren sich Ivkovic und Kaufmann an einem neuen Format - den "Videoperlen", die nach dem gleichen Prinzip kurze Clips des Videoportals TikTok vorstellen. Und wer könne sich schon eine Stunde lang hinsetzen, sich über lustige Videos kaputtlachen und das dann Arbeit nennen?

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