Martin Walser: Wenn ich arbeite, spielt das Alter keine Rolle

2.1.2014, 17:37 Uhr
Martin Walser: Wenn ich arbeite, spielt das Alter keine Rolle

© Patrick Seeger/dpa

NZ: Wo treffen wir Sie denn gerade an?

Martin Walser: Ich bin am Computer und habe etwas ganz Tolles – seit zwei Wochen. Eine Software aus Amerika, die Firma heißt, glaube ich, Nuance. Ich kann diktieren, und die schreibt dann selber auf den Bildschirm.

NZ: Aber Sie müssen schon noch fei­len an den Texten.

Walser: Natürlich. Da diktiere ich die Tagebücher. Die müssen nicht mehr abgeschrieben werden, sondern die kann man so ins Gerät hineindiktie­ren, das ist fantastisch.

NZ: Und dann kann auch nichts mehr verloren gehen.

Walser: Ja, gut. Das ist ein andauern­des, technisches, sensationelles Erleb­nis.

NZ: Ihr Tagebuch, das Sie vergange­nes Jahr auf einer Zugfahrt verloren haben, ist nie mehr aufgetaucht, oder?

Walser: Nein, das ist weg.

NZ: Welches Thema trieb Sie damals um?

Walser: Das war vor über einem Jahr. Die Tagebücher, die ich unterwegs dabei habe, sind eigentlich Reisetage­bücher. Ich war damals in Helsinki, in Chicago, in Boston, in Kopenhagen, und da habe ich natürlich überall notiert. Nun gut, das ist weg.

NZ: Vor wenigen Wochen haben Sie im Literaturhaus Nürnberg gelesen. Als Sie aus dem Aufzug heraustraten, kam ein 86-Jähriger. Wenn man wäh­rend Ihres Vortrags die Augen geschlossen hat, war das die Stimme eines jungen Mannes. Verraten Sie uns das Geheimnis dieser Wandlung?

Walser: Das muss auch an Ihrem Gehör liegen, über das ich jetzt nichts sagen kann. Ich lese halt, wie soll ich sagen, ich lese, weil mich der Text, den ich lese, jeden Tag oder jeden Abend wieder interessiert und belebt. Ich will, dass ich den Text erlebe, wenn ich ihn lese. Und dann erleben den eben die Zuhörer auch.

NZ: Mit Ihnen werden ja auch die männlichen Hauptfiguren älter. Augus­tus Baum im jüngsten Roman „Die Inszenierung” ist wegen eines leichten Schlaganfalls im Krankenhaus. Doch er selbst scheint das verdrängen zu wollen. Wie gehen Sie mit dem Alter um?

Walser: Nicht immer gleich. Manch­mal muss ich es auch verdrängen. Aber es ist so, wenn man arbeitet, also wie jetzt gerade, dann spielt das Alter keine Rolle. Das merkt man, wenn man reist, oder wenn man Treppen steigen, Koffer tragen muss. Dann merkt man das andauernd. Und man merkt es an der Freundlichkeit der Menschen. Das, muss ich sagen, ist nicht ganz positiv. Ich kann kaum in einen Zug oder aus einem Zug steigen, ohne dass jemand sagt: „Darf ich Ihnen behilflich sein?”

Am Älterwerden nervt den Schriftsteller vor allem eines: Jeder will ihm ständig behilf­lich sein. Dabei fühlt sich Martin Walser noch fit.

Am Älterwerden nervt den Schriftsteller vor allem eines: Jeder will ihm ständig behilf­lich sein. Dabei fühlt sich Martin Walser noch fit. © Philippe Matsas-Opale

NZ: Und das ist unangenehm?

Walser: Das ist unangenehm, ja. Mache ich so einen gebrechlichen Ein­druck, dass man mir dauernd behilf­lich sein will? Das kapiere ich zum Bei­spiel nicht.

NZ: Aber wenn man das Glück hat, auf den Martin Walser zu treffen. Dann ist man doch von Natur aus freundlich?

Walser: Nein, nein. Das ist pure Men­schenfreundlichkeit. Die denken, der ist so alt, und dem muss ich helfen. Das sind oft junge Frauen, die wollen mir den Koffer tragen.

NZ: Dem Augustus Baum geigt ja seine Ehefrau immer wieder die Wahr­heit. Bei Ihnen, so scheint es, sind immer die Männer das schwächere Geschlecht. Ist diese Beobachtung richtig?

Walser: Ja, nicht nur bei mir, sondern überhaupt in der Welt. Das ist ja ganz sicher. Ich reagiere da nur auf die schlechthin allgemeinste Erfahrung.

NZ: Wie kommt Martin Walser selbst mit seiner Endlichkeit zurecht?

Walser: Nur durch Arbeit.

NZ: Lässt sich aus diesen Worten deu­ten, dass es bei Ihnen keine Jenseits­hoffnung gibt?

Walser: Ja, wissen Sie, wenn Sie mich so abstrakt und rational fragen, dann sage ich natürlich: Nein, diese Hoff­nung gibt es nicht. Ich hab’ das mal so formuliert: Wir glauben mehr, als wir wissen. Und das ist einfach so. Ganz ohne Jenseitsvorstellungen kann man nicht leben.

NZ: Also auch kein Gott?

Walser: Natürlich kann man schwer­lich, also auch ich nicht, ohne die Vor­stellung von Gott leben. Das ist ein viel zu wichtiges Wort im ganzen Leben. Ich könnte niemals, ich kann das kaum in den Mund nehmen – also: Atheist werden.

NZ: Was bedeutet das?

Walser: Ich kann nur so sagen: Gott kommt immer wieder vor bei mir. In allen Jahrzehnten, in allen Romanen, in allen Manuskripten kommt er vor, weil er von Kindheit an vorgekommen ist, und ich habe ihn nie abstrakt, rational abschaffen können.

NZ: Davon zeugt ja vor allen Dingen Ihr Buch „Das Dreizehnte Kapitel” aus dem Jahr 2012. Dem ist ja auch sicher eine akribische Recherchearbeit vorausgegangen. Schließlich wird da Kirchengeschichte aufgearbeitet und das Ringen um Glauben und Liebe.

Walser: Wenn Sie das Buch gelesen haben, wissen Sie, dass eine Hauptper­son stark von Karl Barth beeinflusst ist. Und dieser enorme Theologe ist mir auch wichtig, weil ich vorher schon einmal ein Jahrzehnt mit dem enormen Theologen Kierkegaard ver­bracht habe. Und davor mit Pascal und davor mit Augustin. Und wenn man das alles mitkriegt, dann kann man nicht mehr aussteigen und sagen, es gibt das alles nicht. Ich finde es wunderbar, dass Menschen gelebt haben, die ihre Gotteserfahrung so vermitteln können, dass sie noch für mich wichtig wird. Und dann kommt das eben auch in einem Roman vor.

NZ: Kann man sagen, dass Sie zwar Romancier sind, aber den journalisti­schen Blick nie verloren haben? Sie haben ja einst als Journalist begon­nen?

Walser: Ja, aber ich war kein schrei­bender Journalist, sondern ein reden­der, ich war beim Radio. Und das ist schon ein bisschen was anderes. Ich weiß auch nicht, was das ist, ein jour­nalistischer Blick. Wenn Sie damit meinen, dass mich ethisch-reale Ver­hältnisse immer interessiert haben und auch belebt haben, dann stimmt das schon.

NZ: Eben. Sie erklären zum Beispiel im letzten Buch den Krabbenfang oder wie man einer Spinne begegnet. Das sind alles so Beobachtungen, die auch einen gewissen journalistischen Charme haben.

Walser: Aber das würde ich mit einem anderen Eigenschaftswort benennen. Also dann würde ich allenfalls sagen, das ist Realismus. Wenn ich einen Pro­fessor nach Amerika schicken muss, da muss ich ihn dort auch irgendwo unterbringen. Dann schicke ich ihn nach Chestertown in Maryland. Das kenne ich, weil ich dort selber Gastprofessor war. Und da habe ich dies und das erlebt, was ich meiner Romanfigur zugutekommen lasse. Das würde sich jeder merken, der einen solchen Krabbenfang einmal mitgemacht hat. Dazu muss man kein Journalist sein.

NZ: Zugegeben, das ist eine schlechte Überleitung: Sie haben einen Sohn, der Journalist ist, der 2009 die Öffent­lichkeit damit überrascht hat, dass Sie sein Vater sind – Jakob Augstein. Wie haben Sie das damals erlebt?

Walser: Jetzt muss ich Ihnen leider sagen, darauf kann ich nicht antwor­ten, weil ich dieses Thema grundsätz­lich nicht öffentlich behandle. Ent­schuldigen Sie bitte!

NZ: Lesen Sie denn die Wochenzei­tung „Der Freitag”, bei der Augstein Verleger und Chefredakteur ist?

Walser: Ich kriege sie, und manchmal lese ich darin auch.

NZ: Was sagen Sie den Leuten, die Ihnen immer noch einen latenten Anti­semitismus vorwerfen?

Walser: Die lesen mich nicht, die ken­nen mich nicht. Die wissen nicht, was ich seit 30, 40 Jahren geschrieben habe. Die sind einfach Zeitgeist-Op­portunisten.

NZ: Im weitesten Sinn geht es im „Tod eines Kritikers“ auch um Journalis­mus. Und auch da wurde Ihnen Anti­semitismus vorgeworfen. Wie gehen Sie damit um?

Walser: Auch wenn man grundlos in einen Skandal gerät, wird man die Fol­gen dieses Skandals nicht mehr los. Sie fragen ja jetzt auch danach. Jeder fragt dann danach. Aber ich habe damit nichts zu tun. Gott sei Dank!

NZ: Verraten Sie uns, auf was wir uns als Nächstes freuen können? Bei wel­chem Tagebuch sind Sie gerade?

Walser: Gerade befinde ich mich im Dezember 1979. Da steht: „Um 12.40 Uhr mit Pan Am über Nürnberg nach München.” Also damals flog man von Berlin mit der Pan Am über Nürnberg nach München.

NZ: Was passiert noch?

Walser: In diesen Tagebüchern pas­siert unendlich viel. Verstehen Sie, da ist ein Vierteljahr New Hampshire, da kommen alle möglichen Städte und Menschen vor und auch alle mögli­chen Verzweiflungen und so weiter. Als ich in Würzburg war, habe ich halt geschrieben, dass Napoleon gesagt hat: „Würzburg ist das brillan­teste Pfarrhaus Europas.“ Das war auf Balthasar Neumann gemünzt, der die bischöfliche Residenz gebaut hat. Wenn man mir so einen Satz in Würz­burg sagt, dann muss ich den auf­schreiben. So kriege ich überall etwas mit und nehme es auch mit.

NZ: Und Sie werden uns jetzt natürlich nicht den Plot Ihres neuen Buches ver­raten?

Walser: Meines nächsten Romans? Lie­ber nicht. Weil ich mich noch im Vor­feld aufhalte, und da will ich noch nicht darüber reden. Jetzt bin ich erst mal ganz mit dem Tagebuch beschäf­tigt, das beschäftigt mich wirklich.

NZ: Wie recherchieren Sie Ihre Geschichten? Spielen Twitter und Facebook eine Rolle, sind Sie mit aller Welt verbunden?

Walser: Nein, nein, nein. Damit habe ich nichts zu tun. Auch das Wort recherchieren ist mir fremd. Mir spielt die Wirklichkeit Themen und Stoffe zu. Ich reagiere entweder positiv und mache dann weiter, oder lasse es. Zum Beispiel sind vor 25 Jahren zwei Damen ins Haus gekommen und haben mir ein Päckchen Karten und Briefe überlassen. Ich beschäftige mich damit zwei Jahre lang, und dann schreibe ich das Buch „Die Verteidi­gung der Kindheit”. Das waren Dresdnerinnen, und da bin ich natür­lich auch nach Dresden gereist und habe mich in diese Stadt ungeheuer verliebt. Daraus ist ein Roman ent­standen. Aber nur, weil es mich selber sehr interessiert hat.

NZ: Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?

Walser: Arbeits-Möglichkeit. Das heißt: Ich will so gesund sein und blei­ben, dass ich genauso arbeiten kann wie in diesem Jahr. Das ist mir das Wichtigste. Ohne Arbeit möchte ich nicht leben. Meine Arbeit ist keine Plage, sie ist das Schönste, was es gibt.

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